Im Kreuzverhör #15: Juli - "Ein neuer Tag"
25.06.2019 | Merten Mederacke
Im Podcast des Silverstein-Frontmanns Shane Tolds habe ich von der Wichtigkeit des zweiten Albums für eine Band erfahren. Wenn das erste Album gut gelingt und eine große Zuhörerschaft erreicht, ist es unglaublich wichtig mit dem Zweitling daran anzuknüpfen. Selten erholen sich Künstler oder Bands von einem missglückten zweiten Album. Ich habe also bewusst ein Zweitlingswerk ausgesucht. Julis „Ein neuer Tag“ ist ein gutes Beispiel für ein solides zweites Album. Die ganz großen Hits „Die perfekte Welle“ und „Geile Zeit“ finden sich zwar auf dem Debütalbum, doch „Ein neuer Tag“ birgt mit „Zerrissen“ einen Track, der ebenso bekannt ist. Ich persönlich habe dieses Album erst dieses Jahr entdeckt – über ebenjenen Titel „Zerrissen“, denn der Chorus ließ sich 1:1 in einen selbstkomponierten Song, den eine Freundin auf einem Festival spielte, integrieren. Ich mag besonders den Opener von „Ein neuer Tag“ sehr gern. „Dieses Leben“ spricht vom Hoffnung, aber auch Schmerzen wegnehmen und vom Verlieren der großen Helden. Generell vom Hin- und Her des Lebens, was mich derzeit ausgesprochen pünktlich abholt. Dabei bringt der Song das Gefühl, immer das zu umarmen was grade passiert teilweise sogar noch akkurater auf den Punkt als Heisskalts „Gipfelkreuz“. Hinzu kommen die positiven Vibes und die Tatsache, dass der Song einfach nicht enden will. Er könnte zum Finale hinsteuern, doch es folgt ein gesäuseltes "Dabdabdadada", sachte Trommeln, leise Gitarren. Ein Lebenshauch, ein Chorus und noch ein Säuseln. Aber wenn die Zerrissenheit endet, ohne eindeutig geflickt worden zu sein, hinterlässt sie ein eher unschönes Gefühl. In „Bist du das“ taucht das alleine unter vielen sein auf. Das ist auch kein neues Gefühl, doch die Zeile „Es könnte ja sein / Ich bin einer von Milliarden / Aber wem soll ich das sagen?“ kann schon mächtig heftig treffen, egal wie gut oder schlecht sie gezielt ist. Und bereits auf der ersten Albumhälfte wird die introspektive Traurigkeit ob der Hilflosigkeit mit sich und den anderen durch „Zerrissen“ gekrönt.
Natürlich ist derlei Pop-Rock immer ganz besonders Geschmackssache und dieser Beitrag hätte sicher auch in einem Guilty-Pleasure-Special seine Daseinsberechtigung. Aber irgendwie ist Musik aus dem besonders schnelllebigen Popsektor schon ziemlich cool, wenn sie nach über einer Dekade immer noch gut ist, gefällt und einen mehr denn je abholt. Zumal es definitiv pathetischere Phrasendrescherei gibt als Julis. Was also haben Silverstein, Heisskalt und Juli gemeinsam? Diesen Beitrag.
Mitte der 2000er Jahre war Deutschpop ja plötzlich überall. Silbermond, Juli oder Wir sind Helden - hatte ich alles auf dem Rechner oder gar auf CD. Ich war immer eher der Wir-sind-Helden-Fan, aber das erste Juli-Album fand ich auch echt gut. „Ein neuer Tag“ war dann ein Geburtstagsgeschenk von meinem Onkel und auch wenn ich es anfangs nicht so mochte, wuchs es mir doch ein wenig ans Herz. Ja, die Hitdichte ist etwas geringer, aber Mitt-2000er-Deutschpop-Emo-Songs wie „Du nimmst mir die Sicht“ und „Zerrissen“ kann ich nur gut finden. An sich wirkt das Album erwachsener als der Vorgänger und das ist auch okay. Ein zweites „Es ist Juli“ wäre unglaubhaft gewesen. Aber irgendwie hat die Band damit dennoch ihren Reiz verloren. „Ein neuer Tag“ steht noch in meinem CD-Regal (was nach all der Zeit schon eine Leistung ist, da ich regelmäßig ausmiste) aber auf dem Rechner habe ich nur noch zwei Songs. Dennoch mag ich das Album und verbinde einiges an Erinnerungen mit Album und Band. War auch schön, das Album mal wieder komplett zu hören. Aber jetzt hör ich erstmal das Debüt-Album.
Oh wow. Okay. Juli… Juli und mein persönlicher Musikgeschmack sind ungefähr so weit auseinander, wie die Erde und das Restaurant am Ende des Universums. Denke ich an Juli, bin ich in meinem Kopf sofort wieder in der Schule. Ich weiß nicht woran es liegt, aber Juli waren für mich schon immer die „Abi-Band“, die ihre Erfolge in Schulforen und auf Sommerfesten der Freiwilligen Kinderfeuerwehr feiern. Klingt gemein, ich weiß. Dennoch, das ist meine unmittelbare Assoziation zu dieser Band. Aber ich tue Juli damit unrecht. Denn schließlich sind Juli (für eine gewisse Zeit) eine feste Größe im Deutschen Popgeschäft gewesen. Und der Erfolg gibt ihnen Recht. Das heißt allerdings nicht, dass ich auch nur einen Finger breit etwas mit der Platte „Ein neuer Tag“ anfangen könnte. Mal abgesehen von einer alles in allem sehr, sehr gut produzierten Platte, kickt mich dieser Shit leider gar nicht. Ich habe bei (fast) jedem Song ein Gefühl von: Wir bleiben schön brav bei Pop-Schema-F, damit diese Platte auch genau so erfolgreich wird wie der Vorgänger „Es Ist Juli“. Bloß keine Ecken, bloß nichts experimentelles. Die Lyrics? Meiner Meinung nach der Versuch, irgendwelche großen Gefühle zu besingen, in denen sich jeder Mensch wiederfinden kann. Immer wieder „geht es los“, wird irgendwohin aufgebrochen, Beziehungen werden hinter sich gelassen und Freundschaften besungen. Das ist so rund, weich und schön, dass es mich mich selber vollkotzen lässt. Zu viel Herzschmerz, beste Freunde- und Ponyhof-Ästhetik für meinen Geschmack. Bis auf den Song „Am Besten sein“ gibt es eigentlich keinen einzigen ausgestreckten Mittelfinger, keine echte Wut auf irgendetwas (selbst bei diesem Song klingt der Protest halbherzig und nicht wirklich authentisch) und schon gar keine Texte, die meine Weltsicht ins Wanken bringen oder mich in irgendeiner Form inspirieren. Hmmm, nix für mich, aber ich bin ja auch nicht die Zielgruppe.
Musikalisch ist bei dieser Platte alles in Ordnung. Punkt. Und da liegt mein Problem. Alles ist irgendwie richtig und gut. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Tatsächlich gibt es hier schon eher mal ein paar „Experimente“. Manche sind besser gelungen, mache eher so gar nicht (bei einer so hoch antizipierten Platte kommen Synth-Bläser dann doch eher mit einer Stadtfestcoverbandattitüde daher. Da hätte man sich vielleicht doch den ein- oder anderen Tröter ins Studio einladen können.) Sonst gibt es da aber nicht viel zu meckern. Gut durchdachte Arrangements, gute Musiker und eine Erste-Sahne-Produktion klingen auf allen Boxen gut und machen alles richtig. Tja, also was soll ich sagen? Irgendwie alles gut und dennoch holt es mich keinen Zentimeter weit ab. Juli haben hier einen Schlüssel zum Erfolg geschmiedet, der allerdings keines meiner persönlichen Schlösser öffnet.
Merten Mederacke
Merten hat Soziologie, Politik und Philosophie studiert. Seit Jahren treibt er sich auf Konzerten und Festivals herum und fröhnt allem, was Gitarre, Rotz und Kreativität so ergießen. Bei Album der Woche versucht er stets, den Funken seiner Passion auf jeden Lesenden überspringen zu lassen.