Im Kreuzverhör #37: Beatrice Egli und "Wohlfühlgarantie"
07.09.2021 | Album der Woche Redaktion
Mit dem Risiko, mir den Spotify-Algorithmus endgültig zu versauen, bin ich hochmotiviert in diese besondere Ausgabe des Kreuzverhörs gestartet. Besonders schrecklich auf ganz viele Weisen, wie sich in den ersten zehn Sekunden des ersten Tracks herausstellen sollte. Mit Schlager kann ich generell schon nichts anfangen. "Wohlfühlgarantie" liefert nun alles, was ich erwartet hatte. Lyrischen Meisterwerken mit elektrolastigen Vier-Vierteltakt, der definitiv keine Auszeichnung für Abwechslung verdient hat. Außerdem finde ich Beatrice Eglis Stimme - für die einer DSDS-Gewinnerin - auch gar nicht mal so gut. Schlager haben in der Regel ja die nervige Eigenschaft, besonders ohrwurmlastig zu sein und damit über die aktive Hörzeit hinaus zu foltern - aber nicht mal das schafft dieses Album. Ob das jetzt für oder gegen "Wohlfühlgarantie" spricht, habe ich noch nicht entschieden. Beim Hören hatte ich außerdem die Sinnkrise, dass die Menschheit wohl wirklich nicht zum Überleben gemacht ist, wenn es wirklich Leute gibt, die diese Musik unironisch und unter einem Alkoholpegel von mindestens fünf Bier hören. Ach, und was bekomme ich eigentlich dafür, dass die versprochene Wohlfühlgarantie nicht eingehalten wurde? Eine Stunde und vierzehn Minuten meiner Lebenszeit zurück? Warum dürfen solche Alben überhaupt länger als der Durchschnitt sein?! Ist das arbeitsrechtlich überhaupt okay, lässt sich da was über die AdW-Gewerkschaft machen?
"Ich liebe die Musik" heißt einer der 21 (!) Songs auf "Wohlfühlgarantie" von Beatrice Egli. Dieser Satz könnte gelogener nicht sein. Wer ein derartiges Album produziert, der kann Musik einfach nur hassen und hat obendrein offenbar noch nie erfahren, was es bedeutet, "Gefühle" zu haben. Anders ist es nicht zu erklären, dass wirklich jeder Song auf diesem Machwerk die im Titel suggerierte "Wohlfühlgarantie" zu erzeugen versucht, dabei aber durch nervtötende Penetranz letztendlich das exakte Gegenteil erreicht. Es ist auch wirklich komplett egal, was für eine Situation im Text eigentlich geschildert wird: Es geht um die unermesslich große Liebe ("Du gibst meinem Leben einem Sinn"), Trennungsschmerz ("Touché") oder ums Vögeln ("Wahrheit oder Pflicht"). Nur: Irgendwie bringt es Beatrice Egli tatsächlich fertig, diese doch eigentlich eher gegensätzlichen Situationen alle auf die exakt selbe Art zu vertonen. Handclaps, ekliger Beat aus der Konserve und ein Gesang, bei dem alle garantiert wieder das übliche Helene-Fischer-Argument "Aber singen kann sie ja" bringen werden, damit aber das Treffen von Tönen und nicht das Verkörpern einer ehrlichen Emotion meinen. Selbst ein durchschnittliches Sommer-Sonne-Strand-Influencerprofil auf Instagram ist echter als das hier. Dabei haben Menschen doch Gefühle - wie kann es dann sein, dass Beatrice Egli auf Spotify knapp eine halbe Million monatliche Hörer:innen hat? Hat Guantanamo eine Playlist für Gefangene? Hat Egli eine gigantische Serverfarm zuhause stehen, die darauf programmiert ist, ihre Songs 24 Stunden am Tag in Dauerschleife rotieren zu lassen - natürlich ohne Ton? Oder ist "Wohlfühlgarantie" eine Verdrängungsmethode für Menschen, die im Angesicht eines Traumas absolut keine Perspektive mehr sehen? Es ist unbegreiflich. Unbegreiflich schrecklich.
„Wohlfühlgarantie“ ist ein nihilistisches Konzeptalbum voller Grausamkeit. Bereits das Cover gibt Aufschluss über dessen wahre Bestimmung: Nur mit Mühe kann die Protagonistin die Maske des gesellschaftlichen Schauspiels aufrechterhalten, während sich im Hintergrund bereits das Tau eines Schiffes zu einem Strick verformt – eindeutig ein Verweis auf Trent Reznors „Further Down The Spiral“. Unter diesem Gesichtspunkt müssen auch die schmerzlich persönlichen Songs auf „Wohlfühlgarantie“ verstanden werden. Kurt Imhof zeigte auf, dass die von Richard Sennett beschriebene ‚Tyrannei der Intimität‘ von einer Enttabuisierung des Todesthemas initiiert wurde. Und tatsächlich ist der Tod auf „Wohlfühlgarantie“ allgegenwärtig. Die Protagonistin ist geplagt von Suizidfantasien („Ich geb mein Leben für dich“), Gedanken an spontane Selbstverbrennung („In mir da brennts“ - „Hab son‘ Feuerberg im Bau“) und verfolgt masochistische Pläne („Wer schleicht sich mit mir beim deutschen Filmpreis rein?“). Doch wer ist dieser ominöse ER, der als Heilsbringer unentwegt thematisiert wird? Die Lösung ist ganz klar: Gott. Doch auch Gott ist tot, und selbstverständlich hat die Protagonistin Satre in ihrer Lektüre nicht ausgespart. Mit Goethe muss man sagen: Die Geister, die sie rief, wird sie jetzt nicht mehr los. Die Lehren von Nihilismus und Existenzialismus haben sich in ihrem Gehirn mit der unerbittlichen Gewalt des 4-To-The-Floor eingehämmert. Aus der Erkenntnis gibt es keinen Ausweg, keine Wahl zwischen roter und blauer Pille in matrixesker Manier, worauf der Song „Wahrheit oder Pflicht“ eindeutig rekurriert. Die Protagonistin versucht zu entfliehen „wie ein Adler", „Reiß dich los!“ hört man sie in „Traumpilot“ rufen, doch der Fall des Ikarus erfolgt sogleich, wenn es in der nächsten Zeile heißt „Wir schießen durch die Sonne“. Tragisch. Tragisch. In der anhaltenden Thematisierung des Geschlechtsverkehrs versteckt sich darüber hinaus die Erkenntnis, in dieser heteronormativen Gesellschaftsform der Postmoderne lediglich in der Reproduktion und Mehrung des Kapitals im marxschen Sinne eine Bedeutung zu haben: „Wie ein Computer sollen wir funktionieren“, konstatiert sie auf „Herz an“. Es sind die Tantalusqualen des Sisyphos. Allein Camus gibt uns Hoffnung: Die Akzeptanz dieser qualvollen und sinnfreien Erfahrung, welche dieses Album als Allegorie auf das existenzialistische Leben eindeutig nachstellt, ist die Akzeptanz des Absurden, bis zur Erlösung durch den Tod: „Auch für dich wird sie einmal zu Ende geh'n , Am Rad der Zeit, da kannst du niemals drehen“ (aus „Sie“ von Beatrice Egli). Eines Tages wird uns das perpetuum mobile des Zeitenrades erlösen, doch solange sind wir gezwungen, unseren Stein immer und immer wieder den Berg hinaufzurollen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen. Mit Wohlfühlgarantie.
Ich habe es zugegeben, etwas zu lange vor mir hergeschoben, „Wohlfühlgarantie“ von Beatrice Egli anzuhören. Allerdings sind es auch 21 (!) Songs und eine Länge von knapp 70 Minuten. In dieser Zeit kann ich nicht nur einen guten Schokokuchen backen, sondern auch einfach laut schreien. Vor allem nach Letzterem war mir bei eigentlich jedem Song zumute. Aber mal im Ernst, was hab ich erwartet? Die Songs sind ohne Ausnahme ein nach Lego-Prinzip gebautes Konstrukt aus einfachsten Schlager-Rhythmen, welche selbst Oma Irmgard im Alter von 95 noch mitklatschen kann und pseudotiefgängigen Tumblr-Texten, welche dafür gemacht sind, dass Muttis sie im Minutentakt auf ihrer Facebook-Seite teilen können. Direkt Song Nummer eins beschreibt das Album im Refrain sehr gut: „Kopf aus (...)“ heißt es darin. Hab' ich versucht, war trotzdem eine einzige Qual. Wäre das schon alles, könnte das Album als „Ja ist halt ein Castingshowalbum aus Deutschland, das muss nicht gut sein!“ beschrieben werden. Aber dann kommen auch noch Autotune-Passagen aus der Hölle, Songs über Sex oder Clubhymnen (welche die Atzen vor Jahren schon besser gemacht haben) dazu. Ich weiß jetzt, wie sich Bill Murray am Ende von „Groundhog Day“ gefühlt haben muss. Wäre der Text nicht jedes Mal anders, würde ich ebenfalls denken, dass ich in irgendeiner abstrusen Zeitschleife gefangen bin. Aber noch mal die Frage, was hab ich eigentlich erwartet, wenn eine DSDS-Gewinnerin Schlager macht? Ich weiß es doch auch nicht. Ich geh jetzt 'nen Kaffee trinken, oder schreien, Hauptsache ich bin weg von diesem Album und muss nie wieder irgendwo „Wohlfühlgarantie“ lesen.