Im Kreuzverhör #57: Sixx:A.M. - "This Is Gonna Hurt"
02.04.2024 | Mark Schneider
Dieses Format ist und bleibt ein großes Mysterium. Da dachte ich mir völlig spontan, nach all den Entgleisungen und anhörbaren Höllenqualen die hier bereits stattgefunden haben, ich gebe einfach mal ein ganz normales Album vor. Und was passiert? Es ist nicht Höllenqual und Entgleisung genug für das ganz anderes gewohnte ADW-Volk. Und doch liegt es so weit außerhalb der Komfortzone aller Teilnehmenden, dass nicht einmal ich die Welle der Entrüstung noch aufhalten konnte. Ich gebe zu, mit dem durch seine Zugehörigkeit zu Mötley Crüe bekannten Drittel der Band Sixx:A.M. Nikki Sixx schon mit ein bisschen Absicht einen Charakter ausgewählt zu haben, dessen musikalisches Hauptschaffen ganz hoch im Kurs meiner Redaktion steht. Dazu gesellen sich DJ Ashba, der vor der Reunion bei Guns N' Roses tätig und maßgeblich am meistdiskutierten Album der Band "Chinese Democrazy" beteiligt war sowie James Michael, der dem Ganzen seine Stimme schenkt. Gründungsanlass der Band war der Soundtrack zu Sixx' Buch "The Heroin Diaries", welches vor vielen Jahren vor allem aufgrund seiner Absurdität sowie einer jugendlichen Faszination für das beschriebene Rockstarleben mit allen unvernünftigen Facetten den Weg in mein Bücherregal gefunden hat. Im Jahr 2011 setzte "This Is Gonna Hurt" den Auftakt als erstes von vier weiteren auf diesen Soundtrack folgende Studioalben. Auch "This Is Gonna Hurt" hat ein mehr oder weniger begleitendes Buch aus der Feder von Nikki Sixx im Gepäck, welches größtenteils mit Bildern des bekennenden Fotografen gefüllt ist. Und genauso wie es die drei auf "This Is Gonna Hurt" folgenden Alben nach wie vor tun, unterhält mich auch dieses Album immer wieder mehr als gut. Gerade der so weit weg von Mötley Crüe befindliche Sound, und da rede ich aus Erfahrung, macht vor allem in den ruhigen Momenten wie sie "Smile" oder "Sure Feels Right" bescheren den großen Unterschied aus. Und an diesem Punkt muss ich eine Lanze brechen und mich kopfschüttelnd abwenden, wenn dann ernsthaft inhaltliche oder musikalische Vergleiche zu Mötley Crüe herangezogen werden. Weiter weg können zwei Welten nicht liegen, in etwa so wie unser Kreuzverhör und die Tatsache, dass wir uns eigentlich doch alle lieb haben und hier nur gerne das letzte Wort haben. Ich zumindest.
Die Aussage "Früher war alles besser" sorgt je nach Situation für dauerhaft anstrengenden Gegenwarts-Pessimismus, rückwärtsgewandte konservative Politik oder irrationale Melancholie zu einer Zeit, in der die Geheimratsecken noch nicht tiefer als der Grand Canyon waren. Nur was Gutes kommt mit dieser Einstellung eigentlich selten raus. Manchmal stimmt der Satz aber eben doch, zum Beispiel ganz eindeutig dann, wenn man ihn auf den gegenwärtigen Stand des Kreuzverhörs bezieht. Früher, zu den goldenen Zeiten, da haben wir uns hier noch Woche für Woche die gruseligsten Auswüchse der Musikindustrie um die Ohren gehauen, da folgten Platten, die wie das Festhalten eines AUX-Kabels klingen auf Kinder-Punkbands, Y-Titty spielten in einem Format mit John Cage und ganz zwischendurch war plötzlich mal eine der genreübergreifend geilsten Platten der 2010er dabei. Und heute? Da hören wir eine Band, die ihr Album zwar "This Is Gonna Hurt" nennt, dabei aber so zahnlos wie ein Neugeborenes klingt. Sixx:A.M. sind der 783. Abklatsch aller Alben von Slash und Miles Kennedy, die wiederum ein Abklatsch von vergangenen Zenturien sind, in denen Poser-Alternative-Rock noch cool war. Ich öffne den Wikipedia-Eintrag von Sixx:A.M.: Oh, welch Überraschung, das ist ein Soloprojekt von Nikki Sixx, dem Bassisten von fucking Mötley Crüe - der Band, die quasi bis heute als Glam-Rock-Abziehbild fungiert, aber nicht mal so lustig geschminkt war wie Kiss. Jede Dekade soll ihre schlecht alternde Spaßmusik haben - aber dann lasst sie doch da, wo sie hergekommen ist.
Kinders was machen wir denn hier? Weder ist das hier das blähende Œvre der Furz Brothers, noch die Compilation von Hans-Christian Gewalt aus Essen-Huttrop, der mit einem Vorschlaghammer rhythmisch und brüllend seinen Sperrmüll verkloppt, während seine sieben-jährige Tochter Sue-Ellen Gewalt ihre Opernrevue aus der zweiten Klasse mit der Geige begleitet, schlecht. Also Gesang und Geige, beides schlecht.
Nein, das ist einfach nur ein mediokres Rockalbum, welches sogar immer wieder gesanglich seine Höhen hat. Es erinnert immer wieder an Alter Bridge, aber dafür fehlt, dass es ab und zu mal wehtut. Vielleicht der größte Makel des Albums ist, dass Titel und Cover auf das größte Gemetzel seit den Musikvideos zu Slayers „Repentless“-Singles deuten. Und dazu gesellen sich dann noch Songs wie „Sure Feels Right“, was klingt, als käme es aus dem Scrubs-Soundtrack, aber vermutlich ist es dann dafür zu soft. Und mit dieser herben Enttäuschung verabschiede ich mich und hoffe beim nächsten Kreuzverhör auf einen Kasachischen Hobby-Sumoringer, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, die Emotionen der Buslinien in Luxemburg, vor allem von Düdelingen nach Rümelingen, klanglich umzusetzen, mit Xylophon, Staubsaugern und einer Bockwurst.
Ein Albumtitel als pragmatische Warnung an die Hörenden, ähnlich den Aufklebern mit dem Hinweis „Parental Advisory Explicit Content“? Das Hören von „This Is Gonna Hurt“ von Sixx:A.M. war schon anstrengend: pathetischer Hard-Rock, der immer gleich klingt. Mit James Micheal hat die Band einen Sänger, der durchaus sein Mundwerk, äh, Handwerk versteht, aber bei jedem Song gefühlt mit ausgebreiteten Armen auf einer Klippe steht und sich gegen den Orkan stellt, daneben sturm- und regengepeitscht Nikki Sixx und DJ Ashba, ihre Gitarren malträtierend. Das Songwriting ist mit Sicherheit der Sozialisation Nikki Sixx‘ bei Mötley Crüe geschuldet und wird langjährige Fans zufrieden stellen, aber Hard Rock war für mich schon immer ein Genre, welches mit Pathos und instrumental angezogener Handbremse Menschen erreichen möchte, die bei Hardrock das Gefühl haben, sie würden nun aber mal so richtig harte Musik hören. Dabei verurteile ich gar nicht Sixx:A.M persönlich. Die Band hat sämtliche Hardrock-Kriterien in ihren Songs grandios umgesetzt. Meine Kritik richtet sich eher gegen das Genre. Es hätte auch Aerosmith, Scorpions, Bon Jovi oder Van Halen sein können. Nach 53 Minuten konnte ich das Album aus meiner Mediathek löschen, die Schmerzen blieben erträglich und ähnlich wie so häufig im Leben, muss mensch ab und zu vor Augen geführt bekommen, was nicht fehlt im Leben.
Mark Schneider
Mark kommt aus der wunderschönen, ländlichen Provinz zwischen Siegen und Marburg an der Lahn. Ob kleine Acts im Club oder Musikgiganten vor Tausenden: Besucht wird, was laut ist und Spaß macht! Dabei sind im Genre (fast) keine Grenzen gesetzt.