Polar: "Wir müssen mit einer Entscheidung leben, die eigentlich keiner will."
25.02.2018 | Johannes Kley
AdW: Wie war die Anreise ins kalte Deutschland?
Band: Gut! (lachend)
Nick: Gut! Wir hatten ein paar Bierchen auf der Fähre und dann noch ein paar. Wir haben bei einem Freund geschlafen, sind verkatert aufgewacht, aber jetzt geht’s uns gut. Ich bin frisch frisiert.
AdW: Ja, ich habe schon gehört, dass ihr hier gerade noch Haarpflege betrieben habt.
Nick: Ja, Fab hat das für mich gemacht.
AdW: Hast du eine Ausbildung zum Friseur?
Fab: Nein, nein. Ich fange einfach an und dann…einfach machen. Kennst du den Ausspruch „winging it“? (schwer ins Deutsche zu übersetzen. Ein bisschen wie „sicheres Auftreten bei völliger Planlosigkeit“)
Nick: Das nächste Mal sitzt du hier und bekommst eine neue Frisur!
AdW: Ich war leider erst beim Friseur, sonst natürlich gern!
In diesem Moment beginnt der Gitarrist einer anderen Band plötzlich damit, sein Riff zu üben und übertönt den Dialog ein wenig. Die Jungs nehmen es mit Humor, fragen freundlich, ob er woanders üben könnte, nicht ohne das Riff vorher zu loben.
AdW: Ihr habt eine große Fanbase in Deutschland und der gesamten EU, aber es gibt irgendwie nur eine Wikipedia-page auf Deutsch, keine auf Englisch. Wie kommt das?
Tom: Wir haben eine deutsche Wikipedia-Seite?
Einwurf des Tourmanagers: Ja, die habe ich gemacht.
AdW: Ja, die ist auch gut geschrieben und aktuell.
Tom: Ich denke, man muss groß genug sein um eine zu haben. Wir hatten mal eine für unsere alte Band. Die wurde dann offline geschaltet und war dann plötzlich wieder online. Keine Ahnung. (lacht)
Nick: Ich glaube, wir sind auch erfolgreicher in Deutschland als zu Hause.
Fab: Könnten wir nicht selbst eine schreiben?
AdW: Klar, könnt ihr machen.
Tom: Ne, lass mal. Es ist anstrengender als es klingt. Das weiß ich.
AdW: Aber ihr könntet es machen.
Tom: Wir haben ja noch ein bisschen Zeit. (lacht)
AdW: Nun zu etwas ernsthafteren Themen. Ihr habt viele Fans in der EU und jetzt kommt der Brexit. Man hört zwar, dass es eventuell Neuwahlen gibt, aber vielleicht ist es auch zu spät. Was denkt ihr darüber?
Woody: Es bringt Menschen auseinander. Da ist nichts Gutes dran. Ein paar Engstirnige in unserem Land haben eine Entscheidung getroffen, die Menschen auseinanderbringt. Wir sind da komplett dagegen. Einige unsere besten Freunde sind in der EU (zeigt auf den Tourmanager). Warum sollte man uns trennen? Ich denke, alle sollten näher zusammenrücken. Leider sind ein paar Menschen in unserem Land mit sehr engstirnigen Ansichten darüber, wie die Welt funktionieren soll. Und jetzt müssen wir mit einer Entscheidung leben, die eigentlich keiner will. Es ist eine schreckliche Entscheidung. Ich denke, es macht mehr kaputt, als es Gutes tun kann.
Tom: Jemand hat mal gesagt, ich weiß grad nicht wer - wir sollten Brücken bauen und keine Mauern. Offener und nicht geschlossener, weißt du? Es gibt einige Leute in Großbritannien, die sich gern hinter einer Idee von Politik verstecken, ohne zu wissen, was das bedeutet. Das sind rassistische und ausländerfeindliche Tendenzen, mehr nicht. Die wollen, dass niemand mehr reinkommt. Die verstehen es nicht. Da sind Menschen, die sagen, dass wir dann weniger Inder in unserem Land haben. So funktioniert das nicht!
Fab: Ich kenne Menschen, die für „Leave“ gewählt haben und jetzt sagen, sie wissen nicht mehr warum.
Woody: Das ist Dummheit. Und es hat Einfluss auf alles. Die jungen Leute sollten in die EU fahren und entdecken. Es ist so schön und jetzt passiert diese Sache. Es wird schwerer für junge Menschen, diese Kulturen zu erfahren und allein das ist tragisch.
Nick: Bisher konnten wir überall hin, sei es für Schule oder für die Liebe. Jetzt hängst du in Großbritannien fest. Wir als Band wollen das nicht. Wir lieben Europa!
AdW: Ich war jetzt schon drei oder vier Mal in Großbritannien und alles was ich gebraucht habe, war mein Personalausweis. Kein Pass oder sowas. Jetzt wird das natürlich viel aufwendiger und stressiger das Land zu besuchen, was quasi neben uns liegt.
Woody: Ich sag dir was Europa hat, was Großbritannien nicht hat: Menschen aus verschiedenen Ländern sind bereit neun oder zehn Stunden zu fahren, um eine Band zu unterstützen. Das ist unglaublich und wir kriegen das mit. Wir haben da echt gute Freunde gefunden. Und jetzt wird das leider für alle schwerer gemacht.
AdW: Das stimmt leider. Merkt ihr einen Wandel bei den Menschen oder Fans, seit die Welt verrücktspielt? Ich meine es gibt Trump, Brexit oder hier in Deutschland AfD und PEGIDA. All diese Rechtsrucktypen.
Woody: Man kommt da nicht wirklich drumherum. Es ist widerlich und es wird schlimmer, wenn diese Menschen an die Macht kommen. Ich denke es ist wichtig sich mit positiven und ehrlichen Menschen zu umgeben. Das ist der einzige Weg das zu bekämpfen. Die guten Menschen müssen zusammenhalten.
AdW: Ist das vielleicht auch der Spirit der Hardcore-Community, zu der ihr ja gehört? Ich habe in einem Interview mit dem Distorted Sound Magazine gelesen, dass ihr diesen Hardcore-Stempel nicht so mögt. Aber ihr gehört ja schon dazu.
Woody: Die Community ist fantastisch. Menschen kommen zusammen und bilden eine wundervolle Gemeinschaft. Wir sind da definitiv ein Teil davon.
Tom: Es ist nicht so, dass wir nicht das Label „Hardcore“ wollen. Wir wollen an sich kein Label. Die Hardcore-Community ist das, worauf wir diese Band aufgebaut haben. Aber wenn du liest „Hardcoreband Polar“ ist es so, als würdest du immer in die selbst Schublade gesteckt werden. Vielleicht wollen wir einfach mit einer Rockband auf Tour gehen. Darum labeln wir uns nicht. Es ist einfach die Band Polar!
Woody: Ja, wir sind einfach fünf Typen, die gerne Musik machen. Und wenn es wie Taylor Swift klingt, dann ist das so.
AdW: Das würde ich gerne hören.
Fab: Eines Tages!
Woody: Wichtig ist es eben, dass man offen gegenüber allen möglichen Einflüssen bleibt. Wir adaptieren eben auch viel. Darum sehen wir uns eben nicht als Hardcoreband. Wir sind einfach eine Band und froh, dass es Leuten gefällt.
AdW: Gutes Stichwort. Euch gibt es jetzt seit neun Jahren und da kommt ja nächstes Jahr ein großes Jubiläum. Können die Fans da was Großes erwarten? Eine Tour, ein neues Album vielleicht?
Tom: Oh, daran habe ich noch gar nicht gedacht.
Nick: Jetzt müssen wir wohl!
AdW: Oh tut mir leid. Ich kann das rausschneiden.
Nick: Wir können da nicht so viel sagen. Wir machen einen Schritt nach dem nächsten und nehmen uns Zeit.
Woody: Es geht halt immer vorwärts. Wir hatten unsere Meilensteine mit EPs und Alben. Wir werden da nicht hin zurückkommen. Wir wollen vorankommen. Wir haben neue Ideen. Es geht um Progression und nicht Regression.
Nick: Ja, wir gehen voran. Langsam. (lacht)
Tom: Ich denke, wenn der Moment da ist, werde ich eher damit beschäftigt sein, was das nächste Album ist, als in der Vergangenheit zu schwelgen. Wir konzentrieren uns sehr auf die Zukunft. Retrospektiv auf etwas zurückzublicken ist nicht so unser Ding.
Woody: Fab sagt immer: „Always forward, never back.“
Fab: Always forward, never back!
AdW: Klingt ein bisschen wie das Motto der DDR („Vorwärts immer, rückwärts nimmer“).
Fab: Könnte auch von der Eisenbahngesellschaft sein. (lacht)
AdW: Ich habe die letzte Woche damit verbracht, mir Interviews mit euch anzusehen. In einem habe ich gesehen, dass ihr eine Art Pre-Show-Ritual habt. Ihr habt eure Hände aufeinandergelegt und dann etwas gebrüllt, das ich nicht verstanden hab.
Fab: Wir schreien da immer das Dümmste, was uns einfällt.
Tom: Wenn wir auf Tour sind gibt es in den ersten Tagen immer irgendeinen blöden Witz. Niemand würde das witzig finden, außer uns. Das ist dieser doofe Inside Joke. Hände zusammen, eins, zwei, drei, sag was Dummes.
Nick: Wir hören Limp Bizkit bevor wir auf die Bühne gehen und machen uns fertig.
Fab: Wir versuchen, uns nicht zu viel Druck zu machen. Ein paar Drinks, ein bisschen Musik hören, was Dummes sagen. Einfach den Druck rausnehmen und dann auf die Bühne.
Tom: Vor einem Jahr oder so fing es an, dass wir uns echt Druck gemacht haben und dann wurde es schwer auf die Bühne zu gehen. Größere Tour, wichtigere Konzerte mit größeren Bands. Wir kamen total gestresst von der Bühne. Dann haben wir uns zusammengesetzt und uns gefragt, warum wir das machen. Und wir machen das für den Spaß an der Sache. Wir wollen auch Spaß haben. Es ist wichtig, mit einem Lächeln auf die Bühne zu gehen.
AdW: Ah, okay. Ich wusste nicht ob es ein Ritual ist oder ob ihr das nur fürs Video gemacht hattet.
Tom: Wenn Zeit dafür ist, machen wir das immer.
Woody: Es gibt eine Menge Insider-Geschichten über unsere Rituale. (lacht)
AdW: Wie schwer ist es dann für euch, vor hunderten Leuten zu stehen, sein Herz rauszubrüllen und über die eigenen Probleme zu singen? Es ist ja ein bisschen so wie aus dem Tagebuch vorzulesen, was man sonst nie tun würde.
Woody: Es ist eine Verbindung. Musik verbindet. Menschen gehen ja auf diese Konzerte, weil sie sich verbunden fühlen. Für mich als Sänger ist es ein bisschen Therapie. Ein bisschen Stress loswerden. Und ich denke für die anderen ist es auch so. Einfach das Schlechte rausspielen. Es ist schön zu sehen, dass die Menschen sich damit identifizieren können, was wir machen. Das macht unsere Shows so aufregend für uns.
AdW: Das ist richtig. Ich denke vielen Menschen geht es da so. Musik therapiert. Ich denke es ist Zeit auch mal Danke zu sagen, für die Musik die ihr macht. Wir hatten ja vorhin schon kurz darüber gesprochen, dass ich euer zweites Album damals von dir gekauft hatte. (2014, auf der Tour mit BAAO und Counterparts in Oberhausen. Eigentlich wollte ich einen Counterparts-Hoodie kaufen und bin einfach zu einem Merch-Verkäufer gegangen. Das war Woody und der verkaufte eben nur Polar-Stuff. Also habe ich eine LP und ein Shirt genommen. Am Ende war ihr Konzert das beste an diesem Abend) Das war ja eher Zufall. Damals war ich noch nicht so der Hardcore-Hörer. Dann kam „Black Days“ und damit habt ihr mich voll abgeholt. Der Song hat gesessen.
Woody: Ich glaube, damit haben wir die meisten Fans gewonnen.
AdW: Ja, der ist hart und trotzdem sanft. Das ist genial.
Fab: Ja, zu dem Lied haben die meisten eine Verbindung. Vielleicht sind es die Lyrics oder die Stimmung. Wir haben uns da erst neulich drüber unterhalten. Menschen schreiben uns bei Facebook über sowas.
Tom: Leute schreiben uns Nachrichten über Probleme, die sie haben und fragen uns nach Rat. Da habe ich Fab geholt und wir haben uns erstmal gefragt, warum sie uns fragen. Dann merkst du erst, was da für eine Verbindung entsteht. Ich meine, wir singen über die Probleme, die sie haben.
AdW: Ihr seid vielleicht die Menschen, die diese Leute am meisten zu verstehen scheinen.
Tom: Ich finde das merkwürdig. Ich kann problemlos meine Gefühle für tausend Fremde in einem Raum offenlegen. Aber wenn da jemand ist, den ich kenne, wird es schwierig. Ich habe eine stärkere Verbindung mit tausend Fremden, als mit manchen meiner besten Freunde. Das ist merkwürdig.
AdW: Vielleicht ist das aber auch so wie bei einem Psychotherapeuten. Der kennt dich nicht persönlich. Da fällt es leichter zu reden.
Tom: Das kann gut sein.
AdW: So, wir nähern uns dem Ende.
Woody: Du hast uns noch gar nicht gefragt, woher unser Bandname stammt.
AdW: Ich habe in einem anderen Interview gelesen, dass ihr „Polar“ gewählt habt, weil es kurz und eingängig ist. Aber da steckt keine große Bedeutung dahinter.
Woody: Du hast deine Nachforschungen angestellt.
AdW: Ja, ich habe meine letzte Woche damit verbracht. Meine Freundin hasst euch jetzt.
Woody: Viele Freundinnen hassen uns. (lacht)
AdW: Ja, aber sie mag eh keine Hardcorebands, also ist das nichts Persönliches. (Band lacht.) Eine Frage habe ich noch. Seht ihr euch als politische Band?
Fab: Nein. Absolut nicht.
AdW: Ich habe mir das Video zu „Until The Light“ nochmal angesehen und das ist ja diese Gratwanderung zwischen persönlich und politisch. Es geht schon ein wenig in Richtung Regierung, die es zulässt, dass es Menschen so geht. Ich weiß nicht wie es in Großbritannien ist, aber in Deutschland beispielsweise gibt es einen Kampf gegen Obdachlose, aber nicht gegen Obdachlosigkeit. Sie werden aus dem Sichtfeld vertrieben und bleiben doch auf der Straße
Tom: Das ist schon politisch, aber es ging weniger um Politik als um eine Sache, die uns am Herzen lag. Wir sind eher eine Band, die mit dem Herzen arbeitet. Im Song geht es nicht unbedingt um Obdachlosigkeit und als das rauskam ging es uns nicht darum, es als politisches Problem zu sehen, sondern zu zeigen, wie wir uns fühlen.
Nick: Wir sehen viele Obdachlose jeden Tag, vor allem in Birmingham und da haben wir uns gesagt, dass wir da vielleicht helfen sollten.
Woody: Wir wollen die Aufmerksamkeit darauf lenken.
Nick: Genau. Es sind so viele Dinge. Wir haben hier so viel Essen stehen und wir können das nie essen. Warum geben wir es nicht denen, die es brauchen? Also haben wir kleine Lunchpakete gemacht und verteilt. Das hat sich gut angefühlt.
AdW: Wenn man die Kommentare bei YouTube so liest, hat das gut funktioniert.
Nick: Es war aufregend. Wir haben da ein paar coole Geschichten gehört. Auch schreckliche und traurige.
Tom: Darum haben wir das auch dokumentiert. Wir wollten eigentlich nur helfen.
Woody: Es ist wichtig und schön für Obdachlose wie Menschen behandelt zu werden und nicht zur Seite getreten zu werden. Menschen wollen nichts mit ihnen zu tun haben. Und wir waren in diesem Moment bei ihnen. Wir haben sie normal behandelt und das ist wichtig.
Fab: Wir haben da auch etwas mitgenommen. Genauso wie wenn Menschen uns um Rat fragen. Und weil wir als Band eine andere Plattform haben, können wir auf solche Probleme aufmerksam machen. Und wir bekommen Feedback, und auch live bekommen wir viel zurück. Das ist eine Belohnung.
AdW: Okay. Um das Ganze nicht so düster enden zu lassen, habe ich eine Frage zum Abschluss. Was ist euer liebstes Videospiel?
Woody: Fifa!
Fab: Fifa!
Nick: Fifa!
Tom: Ich nehme Zelda!
AdW: Gute Wahl!
Nick: Wir reisen viel zusammen und da spielt man dann halt viel Fifa und Tom spielt mehr als jeder von uns. Der hat auch die Nintendo Switch und sowas.
Woody: Ich spiel auch gerne Gears Of War.
Tom: Halo war ein Klassiker! Was ist dein Spiel zur Zeit?
AdW: Puh. Momentan wohl Skyrim. Ich habe es nach all den Jahren endlich geschafft es zu spielen. Ansonsten Zelda - „Breath Of The Wild“.
Tom: Das ist genial. Das hat mein Tourleben verändert.
AdW: Ich habe lange gebraucht um an Zelda ranzukommen. „Ocarina Of Time“ hat mein Vater durchgespielt und ich kam nie an meinen N64 dran.
Tom: Als ich meinen N64 bekommen habe war ich sieben Jahre alt und bin direkt hängen geblieben. Fab war da 25 oder so. (lacht)
Fab: Ich erinnere mich an Duck Hunt. Mit der Knarre. (Band lacht.)
AdW: Das wäre es dann. Danke, dass ihr mich hier eingeladen habt. Ich freu mich auf nachher. Nach vier Jahren sehe ich euch endlich wieder live.
Woody: Viel Spaß dabei!
Fab: Auf jeden Fall!
Johannes Kley
Kolumnist und Konzertmuffel Joe ist Gesundheits- und Krankenpfleger in Bochum, liebt seinen Hund, liest leidenschaftlich gern, gibt ungern Bewertungen für Alben ab, ist Musikliebhaber, irgendwo zwischen (emotional) Hardcore, Vaporwave, Goth-Pop und Nine Inch Nails und versorgt euch unregelmäßig mit geistigen Ergüssen aus seiner Gedanken- und Gefühlswelt.