Daves Hartkern Stübchen - Preludio / "Soon" von Twins
07.06.2022 | Dave Mante
Viele Menschen finden die Frage nach der Lieblingsband wahnsinnig schwierig. Verständlich, denn wie soll man bei so einer Anzahl an wahnsinnig talentierten Musiker:innen auch bitte den einen Favoriten auswählen? Ich persönlich finde es allerdings noch um einiges schwieriger, ein Lieblingsgenre zu bestimmen. Nicht nur deswegen, weil sich mein Geschmack mittlerweile zu dem eines musikalischen Omnivoren entwickelt hat, sondern auch, weil viele musikalische Kategorisierungen mehr Facetten aufweisen als Ikea Kallax-Regale verkauft. Allerdings bin ich durch Medien wie TikTok, Instagram und YouTube in letzter Zeit vor allem auf wahnsinnig großartige Bands im Genre des Melodic-Hardcores gestoßen. Gruppen wie No Home (gebt euch mal „Strangers“), Ghost Chant oder auch Mayfield mischen sich seitdem zwischen Casey und Counterparts in eine weite Riege meiner Playlists. Allerdings war es mir zu eingeschränkt, nur über Melodic Hardcore zu schreiben, daher habe ich einfach fix das „Melodische“ aus Daves Hartkernstübchen entfernt und möchte in Zukunft hier über Themen im Bereich des Hardcores sprechen, welche mir am Herzen liegen. Das bedeutet Empfehlungen, Nachrufe, Rants, Hot Takes und vieles mehr über Hardcore, Melodic Hardcore, Hardcore Punk und Post-Hardcore. Heute fangen wir etwas leicht an und fachsimpeln über einen absoluten Geheimtipp des Genres: das Album „Soon“ der Band TWINS.
Ein guter Freund von mir, der liebe Tom Jetski, hat irgendwann mal eine Band mit Freunden gegründet und diese haben es im Februar 2020 dann nach langer und harter Arbeit geschafft, ein Album herauszubringen. Heraus kam eine wilde Mischung aus Post-Hardcore, Mathrock und Screamo. Also Musik für Leute, denen es gefällt, wenn man sie aus tiefster Kehle anschreit. Das Album „Soon“ der Band TWINS ist eine einzige depressive Tirade der Traurigkeit und spiegelt nicht nur das innerste der Mitglieder wieder, sondern debattiert auch über Selbstzweifel, Schmerz und Trauer. Kurz aus dem Song „Library“, ‚[…] Every moment that we share and every memory we don‘t. Every place that has a meaning and everyone we call a home, you can wander around and in between. The different walls in my head pull phrases and beginnings out of the cracks. Find yourself a shelter, find yourself a home but don‘t deconstruct me‘. Dieser Song steht für mich Parade dafür, was für eine lyrische Macht in diesem Album steckt. Die Menschen dahinter müssen sich dabei keineswegs vor Größen wie La Dispute, Touché Amoré oder Pianos Become the Teeth verstecken, im Gegenteil. Dazu das heisere Geschrei und das chaotisch geordnete Brutalo-Instrumental ergeben ein Gesamtpaket der grandiosen Schreihalsmusik.
Ebenfalls in „Library“ wechselt die Gruppe zu deutschen Lyrics, welche so eindrücklich hineingesponnen wurden, dass ich beim ersten hören ungläubig lachen musste. Es sind also nicht nur die eindeutig großen Momente wie Lyrics und der generelle Sound von TWINS, sondern auch die kleinen Twists der Scheibe. Egal ob die unerwarteten Breaks im Tempo, die Sprachwechsel oder die einprägsamen Rhythmen, welche ich so auch noch nie gehört hab. Mein Lieblingssong des Albums ist dabei ganz klar „Bathroom“ und ich möchte hier einmal die Dimension klarmachen, in welche ich ihn einordnen würde. Nicht nur ist dieser Song einer meiner liebsten des Albums, sondern auch des Genres und auch generell in den letzten fünf Jahren. Vor allem das Instrumental hat es mir hier angetan. Der schnelle Wechsel des Tempos und dann dieser Break am Ende des Songs, hmm - purer Orgasmus fürs Zwerchfell.
Was ich mit all dem Lob hier sagen möchte: Ihr solltet diese Band hören, sie größer machen und am besten alles kaufen, was ihr davon findet! Solch grandiose Musik mit so wahnsinnig lieben Menschen findet man selten, wenn sie noch klein ist. Als Anspieltipps gebe ich euch ganz klar „Bathroom“, „Cockroaches II“ und „Library“ mit. Aber packt Taschentücher ein, also sowohl für eventuellen Orgasmus aber auch, um eure Tränen aufzufangen, wenn die Lyrics hitten. Und wenn ihr das Hartkern-Stübchen verlasst, nehmt euch doch noch ein paar lauwarme Kekse mit und kommt nächsten Monat gern wieder, für mehr todtraurige Musik.
Dave Mante
Aufgewachsen zwischen Rosenstolz und den Beatles hört sich Dave mittlerweile durch die halbe Musikwelt, egal ob brettharter Hardcore, rotziger Deutschpunk, emotionaler Indie oder ungewöhnlicher Hip Hop, irgendwas findet sich immer in seinen Playlisten. Nebenbei studiert er Kunstgeschichte, schlägt sich die Nächte als Barkeeper um die Ohren oder verflucht Lightroom, wenn er das gerade fotografierte Konzert aufarbeitet.