Mix 'n' Match Episode 1 - Von den Beach Boys zu The Cure
20.03.2025 | Frank Diedrichs

Mix 'n' Match: die Regeln
In diesem freundlichen Playlist-Bauwettbewerb versuchen die Autor:innen, ein möglichst stimmiges Mixtape aus insgesamt zehn Tracks zu basteln. Tracks 1 und 10 werden in jeder Episode vorgegeben, die restlichen Anspielstationen sind frei verfügbar. Anschließend dürfen sich alle nochmal für ihre Untaten rechtfertigen, und danach geht's in den Showdown.
Wenn ihr euch also denkt "was für einen Schund machen die denn hier?!", schaut mal auf unserem Instagram-Kanal vorbei. Dort könnt ihr abstimmen und kommentieren, welches Mixtape diesen epischen Struggle gewinnen soll.

Frank Diedrichs
Meine Playlist erzählt die Geschichte einer Liebe, die mit Euphorie und Hingabe beginnt, dann von Zweifeln durchzogen wird. Sie endet schließlich in Schmerz, Resignation und Erinnerung. Sie zeigt, wie aus grenzenloser Nähe allmählich Distanz entsteht – bis nur noch der Schmerz bleibt, den mensch it aller Macht verbergen möchte.
Zu Beginn scheint Liebe immer unerschütterlich zu sein. „God Only Knows“ (The Beach Boys) beschreibt diese bedingungslose Verbundenheit, außer meiner Sicht grandios: Liebe als ein Versprechen, dass größer ist als mensch selbst. Mit „Sweet Thing“ (Van Morrison) folgt die Euphorie – eine Zeit grenzenloser Möglichkeiten, in der nichts die Liebe gefährden kann.
Doch dann mischt sich Unsicherheit ein. „Something“ (The Beatles) deutet erste Zweifel an, während „Landslide“ (Fleetwood Mac) die Erkenntnis bringt, dass nichts für immer bleibt. Ein unterschwelliges Unbehagen breitet sich aus – eingefangen in „I’m on Fire“ (Bruce Springsteen), in dem Verlangen und Unruhe aufeinandertreffen.
Die Distanz wächst. In „I Need My Girl“ (The National) ist die Nähe noch da, doch sie fühlt sich fremd an. „Skinny Love“ (Bon Iver) zeigt verzweifelte Versuche, das Unausweichliche hinauszuzögern. Schließlich kommt der Moment, in dem alles zerbricht – „True Love Waits“ (Radiohead) ist der letzte schmerzhafte Griff nach etwas, das längst verloren ist.
Es bleibt nur noch die Resignation. „On the Beach“ (Neil Young) fängt die Leere nach dem Ende ein – nicht mehr laut, sondern erschöpft und ruhig. Am Ende bleibt neben der Erinnerung häufig wie in „Boys don’t cry“ (The Cure) der Versuch den Schmerz zu verdrängen, mensch baut eine Fassade auf, um sich nicht die Blöße zu geben, dass andere das zutiefst schmerzhafte Leid sehen.
So erzählt meine doch sehr persönliche Playlist den Weg einer Liebe – vom Hochgefühl bis zum Verblassen, von der Hoffnung bis zur bittersüßen Erinnerung und stillem Leiden.

Moritz Zelkowicz
Es fiel mir wahnsinnig schwer, inhaltlich passende Connections zu finden, daher habe ich versucht Assoziationen zu sammeln.
Wir starten mit den Beach Boys und "God Only Knows", harmonisch, orchestrale Arrangements, ein Ausgangspunkt voller Schönheit und Melancholie.
Diese barocke Pop-Ästhetik führte mich direkt zu den Beatles mit "Here, There And Everywhere".
Nun gehen wir den ersten Schritt raus aus der Comfort Zone und geben der melancholischen Stimmung ein wenig Einsamkeit, das vermitteln mir Simon & Garfunkel mit "The Only Living Boy In New York".
Big Star bringen mit "Thirteen" deutlich mehr Energie mit und werden noch emotionaler. Fleetwood Mac reduzieren in "Landslide" das Arrangement, steigern aber die Emotionalität. David Bowie, die alte Drama Queen, bringt eben dieses in die Reise und gibt dem Prozess etwas dringlicheres.
Mit Roxy Music und "More Than This" sind wir nun stilistisch sehr nah an The Cure.
The Smiths dürfen natürlich in dieser Stimmung nicht fehlen. "There Is A Light That Never Goes Out" ist romantischer Schmerz in Reinform und treibt die Intensität nochmal in die Höhe.
Das letzte Bindeglied sind Joy Division mit "Love Will Tear Us Apart". Und dann sind wir auch schon bei The Cure und am Ziel. "Boys Don't Cry" fühlt sich an wie eine befreiende, aber dennoch traurige Katharsis, nach diesem Weg von orchestraler Schönheit, über introspektiven Folk, hin zu Post-Punk-Melancholie.

Hermann Breitenborn
Frank legt das Niveau direkt hoch an und gibt uns mit ‘God only knows' und ‘Boys don't Cry’ zwei absolute Klassiker an die Hand. Von vornherein war klar: Hier müssen große Brücken gebaut werden. Die Lieder hat jeder und jede schonmal gehört und doch gilt es, große Unterschiede mit gerade mal acht Stücken zu verbinden. Irgendwie müssen wir also vom lockeren 60er Baroque Pop zur stilprägenden 80er New Wave kommen (und ja, ich weiß auch, dass ‘Boys don't Cry’ von 79 ist. Doch wer behauptet, dass der Song nicht vollkommen den 80er Sound verkörpert, der belügt sich selbst)
Es gibt außerdem noch eine weitere Brücke zu schlagen - nämlich die vom sonnigen Kalifornien in den Süden Englands. Also, los geht's mit unserem transatlantischen Playlist-Versuch, der Dekaden und Genres verbinden soll.
Es ist natürlich leicht, von den Beach Boys direkt in Surf Rock abzudriften. Doch die fortgeschrittenen Kompositionen und ungewöhnlichen Instrumente, die Brian Wilson bei dem Stück verwendet hat, erfordern eine andere Herangehensweise. Wer einmal Paul Danos Darstellung von Wilson in ‘Love & Mercy’ gesehen hat, wird sich erinnern, wie manisch und perfektionistisch - um nicht zu sagen größenwahnsinnig - er sich im Studio bewegt hat.
Die Tracks der Playlist müssen melodisch sein, groß klingen, orchestral, mit poetischen Texten und einem Hang zur Performance.
Mit ‘Too late to turn back now’ von den Cornelius Brothers & Sister Rose verlassen wir die 60er zwar direkt, die Orchestrierung ist aber mindestens genauso dick aufgetragen und gleichzeitig von einer Leichtigkeit, die zum Tanzen anregt.
Viel tiefer verwurzelt in Klängen des Americana als Creedence Clearwater Revival - das geht gar nicht. John Fogerty hat nicht nur die schönste Frisur im amerikanischen Folk Rock, sondern auch eine der markantesten Stimmen. ‘Long as I can see the Light' ist nicht nur Garant für Gänsehaut, sondern kühlt unsere Playlist wieder ein wenig ab und macht Platz für einen der interessantesten und gleichzeitig viel zu tief unter dem Radar der meisten fliegenden Liedermacher des 20. Jahrhunderts.
‘Desperados under the Eaves’ wird von vielen als Warren Zevons lyrisches Meisterwerk angesehen. Wir hören Textzeilen, die zum Verweilen und Interpretieren einladen. Gleichzeitig illustrieren sie die Existenz eines Songwriters, Alkoholikers und Pianisten, der bei Igor Stravinsky gelernt hat (nicht zwingend in dieser Reihenfolge) im LA Mitte der 70er Jahre. Neben Jackson Browne und JD Souther sind im Refrain im Übrigen die zwei Beach Boys Carl Wilson und Billy Hinsche zu hören. Dadurch ergibt sich ein wunderbares Echo zu Franks Start-Song, an dem Brian Wilson sicher seine wahre Freude hätte. Damit aber nicht genug der Zusammenhänge: Warren Zevon selbst lebte nicht nur eine Zeit lang mit Stevie Nicks und Lindsey Buckingham in einer WG zusammen, die beiden sind auch im Refrain zu ‘Mohammed's Radio’ zu hören’, das auf demselben Album enthalten ist wie ‘Desperados’. Daher ist der nächste Song der Playlist ‘Seven Wonders’ des britisch-amerikanischen Powerhouses Fleetwood Mac, das neben ewigen internen Streitigkeiten auch durch großartigen Folk- und Pop-Rock bekannt ist. Somit haben wir in der Mitte der Playlist einen riesigen Spagat zwischen USA und UK gebildet, der uns auf europäischer Seite begrüßt mit ‘Road to Nowhere’ von den Talking Heads. Es hat schon etwas theaterhaftes, wenn uns David Byrne mitsamt Background-Sängern im musiklosen Intro begrüßt. Man kann den Chor vor dem inneren Auge förmlich die Bühne betreten sehen, bevor das Lied im Crescendo eine unglaubliche Energie versprüht.
Verträumte Synthesizer treffen im Anschluss auf eingängige Gitarrenmelodien in ‘Space Age Love Song' von A Flock of Seagulls. Der Songtitel selbst beruht übrigens darauf, dass den Mitgliedern kein adäquater Titel einfiel, bis Lead-Gitarrist Paul Reynolds anmerkte, dass es wie ein Space Age Love Song klingen würde. Wie ich finde auch ein entscheidender Faktor von New Wave: Es ist emotionale Musik, bei der Gefühl und Vibe mindestens so viel Gewicht tragen wie musikalisch-technische Genremerkmale.
Es ist die Zielgerade und wir werden noch einmal etwas intimer. Wo Flock of Seagulls noch 2,4 Millionen monatliche Hörer:innen bei Spotify haben, so sind es bei The Bolshoi nur knapp 130.00. Trotzdem - oder gerade deswegen - machen wir weiter mit deren Hit ‘A Way’. Die Zutaten sind noch recht ähnlich, doch ist der Klang nun weitaus düsterer und melancholischer. Das ist ja auch nur logisch, immerhin arbeiten wir auf The Cure mit Frontsänger Robert Smith hin - dem depressivsten Mann Englands, zumindest wenn es nach diesen Jugendlichen aus der DDR geht.
Depressiv, düster und getrieben geht es weiter mit einer wahren Instanz. Joy Division. Sagt alles, oder? ‘Komakino’ ist entstanden in einer irren Schwebephase zwischen ihrem Übererfolg ‘Unknown Pleasures’ und dem zweiten und letzten Album ‘Closer’. Dass selbst eine Band wie Joy Division sich nach einigen Tagen Aufenthalt in West-Berlin mit dem Schreiben eines Liedes quasi selbst therapieren muss, ist nur ein weiterer Beweis dafür, was für ein heftiger, kreativer Schmelztiegel diese Inselstadt damals war. (Nicht dass es dafür noch irgendeinen Beweis gebraucht hätte)
Und nun sind wir angekommen, Track 10, ‘Boys Don't Cry’, eine Hymne, ein Klassiker, ein Megahit.
Es war ein wilder Ritt, aber vom kalifornischen Sandstrand bis in die britische Metropole in nur zehn Schritten zu gelangen, ist auch keine leichte Aufgabe. Aber wenigstens haben wir gute Musik dabei.

Frank Diedrichs
Frank lebt seit über zwanzig Jahren in der Mitte Niedersachsens und unterrichtet Kinder und Jugendliche an einer Oberschule. Nach seiner musikalischen Erstprägung durch die Toten Hosen und Abstürzenden Brieftauben erweiterte er seine Hörgewohnheiten: Folkpunk, Singer-/Songwriter, Blues, Deutschpunk, US-/UK-Punk. Dabei kommt von Johnny Cash über The Beatles und Pascow bis hin zu Marvin Gaye eine Menge Vielfalt aus den Boxen, am liebsten als Vinyl.