Wir Sind Helden - die einzig wahren Pop-Poeten
12.07.2022 | Johannes Kley
Im Jahre 2022 wimmelt es von deutschen "Pop-Poeten". Sowas wie Max Gießinger. Also platte, hirnlose Popmusik. Dabei hatte Deutschland schon einmal Pop-Poesie. Wir sind Helden. Vor allem das erste Album.
Nun kam es so, dass im Redaktionschat Uneinigkeit herrschte, ob Wir sind Helden wirklich gut sind.
Da ich alt bin und die Band damals seit dem ersten Musikvideo verfolgt habe, hängt da natürlich mein Herz ein wenig dran und die ersten beiden Alben, "Die Reklamation" und "Von Hier An Blind", waren damals echt was Besonderes. Das zweite hab ich irgendwann verkauft, weil außer "Nur ein Wort" und "Echolot" nicht so wirklich was dabei war, was mich umgehauen hat. Aber das erste Album, ist bis heute fester Bestandteil meiner MP3playerbibliothek (nach wie vor mit 128er Bitrate, weil ich es nie neu gerippt habe) und daher wird es hier auch mehr um dieses Album gehen, denn allein das reicht um zu zeigen, wie genial die Band war. Songs wie "Außer Dir" oder "Die Nacht" sind einfach unglaublich ergreifend und verschnörkelt geschriebene Gedichte, die mit Musik unterlegt worden.
Unzählige Stunden habe ich mit "Du erkennst mich nicht wieder" verbracht und den Schmerz gespürt, den Judith Holofernes beschrieben und besungen hat. Natürlich weiß ich, dass ich damals im perfekten Alter war, um Herzschmerz und Liebeskummer zu fühlen. Aber wer sich dem Leid, der Sehnsucht und der Resignation von diesem Song entziehen kann, ist vermutlich tot.
"Du erkennst mich nicht wieder
Allein
Mein Gesicht sei noch gleich
Und du weißt nicht ob das reicht
Um nicht alleine zu sein"
Sagt mir, dass ihr dieses Gefühl nicht kennt und diese Worte nicht schon so ähnlich gehört habt, Sekunden bevor euer Herz zerbrach. Judith wusste Gefühle in Texte zu packen, die durch die Kopfhörer direkt ins Herz gingen.
Und vergessen wir bitte nicht "Denkmal"! Der vielleicht beste deutschsprachige Song, der jemals geschrieben wurde. Damals konnte den alle mitsingen und ich liebe diesen Song bis heute. Allein diese vorgelesene SMS. Ich kenne das noch, dass meine Freunde im Handy vercheckt haben, dass sie mir eine SMS auf meinen Festnetzanschluss geschickt haben und die dann so beschissen vorgelesene wurde. Und der Text und die Melodie des Songs sind so eingängig und schön geschrieben. Würde ich noch auf Partys gehen oder mal eine Homeparty schmeißen, wäre dieser Track definitiv dabei und die Menschen, mit denen ich damals schon befreundet war, könnten alle mitsingen. Einer meiner liebesten linken Meme-Seiten auf Instagram ist laut eigener Aussage ein "denkmal (lied) fan acc" und diese Person scheint deutlich jünger zu sein. "Denkmal" ist zeitlos. Es gibt viele gute deutsche Songs. Aber "Denkmal" ist definitiv ganz oben mit dabei.
Zurück zum Pop-Poeten-Thema. Deutschsprachige Musik war zu der Zeit recht überschaubar. Es gab halt die alten Bands, wie Die Toten Hosen und Die Ärzte, Massen an Aggro Berlin-Künstlern und noch einiges dazwischen, aber die nachdenklichen, poppigen Rocksongs, die Wir Sind Helden plötzlich lieferten, waren damals, zumindest gefühlt, etwas total Neues. Natürlich gab es dann auch Juli, MIA und Silbermond, welche auch ihre tollen Songs hatten, aber die grundehrlichen und doch verschachtelten Texte, die Wir Sind Helden mit Gitarre, Bass, Drums und diesem unglaublich stylischen Umhänge-Keyboard ("Keytar") auf Alben und die Bühnen brachten, sind einfach unerreicht.
Da können mir die Radiostationen und Schlagersendungen tausend Mal erzählen, dass Max Gießinger und seine Industriemaschinenkünstler "Pop-Poeten" seien. Sie sind es nicht. Gibt ne gute Böhmermann-Folge dazu. Aber Wir Sind Helden haben der doch recht eingeschlafenen deutschen Musik einen Aufwind gegeben und ein paar Jahre lang war es cool deutschsprachige Musik zu hören. Das ist jetzt völlig normal, aber außer im Punk, gab es damals kaum gute, sinnvolle deutsche Texte auf dem Markt, außer ihr mochtet Joints, Nutten und Geld. Ich wage zu behaupten, dass nicht wenige Bands, die jetzt im alternativen Rockbusiness unterwegs sind, auf deutsch singen, weil sie gesehen haben, dass es möglich ist damit Menschen zu erreichen. Wie zum Beispiel die neue Größe des PostPunkPop Edwin Rosen.
Das erste Album ist fast zwanzig Jahre alt und doch ist die Relevanz der Band noch nicht ganz verblasst. Zu Recht.
Wenn mir also noch mal ein Mensch erzählen will, dass Wir Sind Helden scheiße sind, dann werde ich natürlich nicht zur Gewalt greifen, sondern wieder und wieder gewillt sein, zu erklären, warum die Person falsch liegt.
Ich möchte mit einem schönen Zitat schließen. Hört euch bewusst "Die Reklamation" an und lasst echt mitreißen.
Johannes Kley
Kolumnist und Konzertmuffel Joe ist Gesundheits- und Krankenpfleger in Bochum, liebt seinen Hund, liest leidenschaftlich gern, gibt ungern Bewertungen für Alben ab, ist Musikliebhaber, irgendwo zwischen (emotional) Hardcore, Vaporwave, Goth-Pop und Nine Inch Nails und versorgt euch unregelmäßig mit geistigen Ergüssen aus seiner Gedanken- und Gefühlswelt.