Lucio, Dave, Moritz und ich haben uns also in der thüringischen Großstadt mit dem fancy Turm („Jentower“) eingetroffen – manch einer hatte eine längere Anreise als manch anderer – und uns erstmal ortsüblich/standesgemäß bei der besten lokalen Streetfood-„Kette“ Fritz Mitte mit Pommes und veganer Currywurst gestärkt, bevor wir dann den beschwerlichen Weg bergauf zum Kassablanca auf uns genommen haben. Ich verrate an dieser Stelle nicht, wer am meisten geächzt hat, aber es hat sicher was mit seinem betagten Alter zu tun!
Das Kassablanca liegt direkt am Bahnhof Jena West, heißt daher mit vollem Namen „Kassablanca Gleis 1“ und weist wahnsinnig viel Subkultur-Charme auf. Direkt am Eingang wird klar, dass Nazis hier absolut nicht willkommen sind – wobei ich mich auch frage, inwiefern sich rechtsgesinnte Menschen auf ein Adam Angst Konzert verirren würden. Das Kassa gehört zu meinen persönlichen Lieblingsvenues und wir haben tatsächlich vor vier (!) Jahren zu Beginn der Pandemie ein Interview über die Corona-Situation von Locations mit den Betreibenden geführt. So viel zum Vorgeplänkel.
Die Show ist nicht ausverkauft, aber das Kassa ist trotzdem recht schnell gut gefüllt. Als Support im Gepäck ist die Münsteraner Emo-Punk-Band Shoreline, die genau wie Adam Angst zu den gemeinsamen Lieblingen der gesamten Redaktion zählt – und die eröffnet dann auch pünktlich und mit viel Energie den Abend. Ein bisschen enttäuscht wirkt Hansol, als er fragt, ob schon mal irgendwer die Band in Jena gesehen hat, und die Menge komplett stumm bleibt – nach einigen Lachern wird er dann aber erlöst, als bei der Frage, ob sie denn wenigstens irgendwer schon kennt, doch einige Zustimmung laut wird. Tatsächlich ist auch an diesem Tag das neue Album erschienen, das zwischendurch ein bisschen härtere Klänge verspricht und auch die am Anfang eher zurückhaltende Menge in Jena abholt. Leider ist der Mikroklang komisch gemischt und Hansol ist beim Sprechen zwischendurch kaum zu verstehen. Teilweise ist der Ton sogar komplett weg, als würde jemand am Mischpult eher unbeholfen und mit schlechtem Timing zwischen Sprech- und Gesangeinstellungen hin- und herschalten. Trotzdem können Shoreline in der knappen halben Stunde die Menge schon mal ein bisschen anheizen und die Vorfreude auf Adam Angst wird nur noch größer.
Die halbstündige Umbaupause endet mit „Let’s twist again“ vom Band – wer auch immer das zu verantworten hat: Chapeau. Und dann betritt auch schon unsere Lieblings-Boyband-mit-Tattoos die Bühne. Völlig angebracht, im Sinn von sie haben diesen Song halt sicher für genau diesen Zweck geschrieben, werden unsere Ohren sanft mit dem Brecher „Angst“ vom aktuellen Album malträtiert und auf einen wunderbar lauten (und im Gegensatz zu Shoreline richtig gut gemixten) Konzertabend eingestimmt. Diese Stimmung lässt sich die Menge auch nicht zweimal sagen, direkt entsteht ein sehr körperliches Pit – wo Felix dann in der nächsten Songpause sogar ansagt, dass bitte aufeinander geachtet werden soll. So groß ist offenbar die Freude des Publikums, Adam Angst nach viereinhalb Jahren endlich wieder in Jena – und wieder im Kassablanca – zu haben. Das Pit wird jedenfalls auch bei den nächsten Songs nicht wirklich entspannter. Mit der Ansage, dass sie manchmal auch unkonventionelle Gefühle in Songs verwandeln, wird „Mord“ als fünfter Song des Abends eingeleitet und die Menge wechselt vom Schubsen zum gemeinsamen Schunkeln – Wahnsinn, was diese Band aus Punks macht.
Große Lacher beim Publikum löst die Einleitung zum Song „Alexa“ aus, als Felix mit „Alexa, stopp!“ das plötzlich aufkommende „Wir sagen daaaankeschön, für vierzig Jahre die Fliiippers“ unterbrechen muss – und das Publikum aber anscheinend gerne weiterhören will. Ähnlich verhält es sich, als in einer kurzen Pause irgendwer im Publikum völlig aus dem Nichts „We’re not gonna take it“ anstimmt und der gesamte Club aus voller Kehle den Twisted Sister/mittlerweile Donots-Klassiker brüllt. Was Felix dann quittiert mit: „Ihr seid lauter als das Publikum bei den Donots.“ - und nachschiebt: „Hoffentlich hat das jetzt keiner gefilmt, das gibt Ärger mit Ingo.“.
Zwischen dem gut gemischten Set aus Klassikern und neuen Songs lobhudelt David noch, dass das Kassa der schönste Club der Welt sei, unter anderem, weil man bekocht wird und sich den ganzen Tag wohlfühlt.
Besonders schöne, beinahe andächtige, Stimmung kommt auf, als Felix den Anti-AfD-Song „Die Lösung für deine Probleme“ am Klavier anstimmt und tatsächlich Taschenlampen ausgepackt werden – leider keine Feuerzeuge, aber gut, man kann vielleicht nicht alles an Kitsch auf einem Punkkonzert haben.
Nach ziemlich genau einer Stunde verlassen die Fünf das erste Mal die Bühne und lassen sich nicht lange um eine Zugabe bitten. Mit einer ominösen Instagram-Abstimmung zwischen „Affenemojis“ und irgendwas anderem, die bitte live direkt erledigt werden soll und bei der Gelegenheit direkt ein Follow dagelassen werden soll, wird sich auf ein Cover von The Hives‘ „Hate to Say I Told You So“ „geeinigt“ – und dann aber tatsächlich auch die zweite Variante aus Liebe für den besonderen Abend in Jena gespielt. Und wie könnte es anders sein, es ist natürlich „Schrei nach Liebe“ von Die Ärzte. 2019 haben Adam Angst den Song akustisch im Kassa gespielt, jetzt gibt es die Vollversion – und das Publikum geht natürlich total mit. Nach zwei weiteren klassischen Adam Angst Songs (Splitter von Granaten und Professoren) ist dann der Abend aber wirklich vorbei. Und wir sind (wieder mal) um grandiose Fotos von Dave, einen leichten Tinnitus und schöne Erinnerungen reicher. Adam Angst live lohnt sich tatsächlich einfach immer.