Da wir ursprünglich beide aus der Nähe kommen (und deshalb auch beide schon mehrfach als Gäste auf dem Festival waren), war für uns recht schnell klar, dass wir nicht campen, sondern nachts nach Hause fahren wollen. Das hatte tatsächlich gar nichts mit den auf Social Media im Vorhinein viel und lautstark kritisierten Änderungen in der Campingpolitik zu tun (die unserer Meinung vollkommen legitim waren, da man auf wenig anderen Festivals direkt am Zelt parken kann und die Sicherheitsmaßnahmen bei dieser Trockenheit auch einfach mehr als verständlich sind), sondern lediglich mit unserer Lauffaulheit. Das Taubertal liegt zwar wunderschön am Fuße der mittelalterlichen, fränkischen Stadt Rothenburg ob der Tauber, die Tallage macht allerdings das Camping direkt am Festivalgelände nur mit einer geringen Kapazität für das vorher zu erwerbende Green Camping Ticket möglich. Der Rest des Campings findet auf der gegenüber von Rothenburg liegenden Hangseite statt und heißt nicht umsonst „Camping Berg“. Fast zwei Kilometer Fußweg bergauf machen so jeden eh schon anstrengenden Festivaltag zu einem richtigen Workout. Auf dem Weg nach oben könnte man zwar noch im „Steinbruch“, der dritten Bühne der diesjährig erstmalig fünf (!) Bühnen Halt machen und die Aftershow genießen, wenn nicht gerade Einlassstopp ist, weil zu viele auf diese Idee gekommen sind. Die Alternative, die für uns neben einem richtigen Bett statt Isomatte attraktiver schien, war der eine Kilometer Fußweg (ebenfalls mit etlichen Höhenmetern) zum Klingentor nach Rothenburg, wo der angrenzende kostenpflichtige Parkplatz oder ein weiterer Kilometer bis zum Bahnhof Mobilitätsmöglichkeiten bietet. Nicht vergessen werden darf, dass nicht nur knapp 15.000 Festivalgäste Rothenburg und das Taubertal unsicher machen, auch ist Rothenburg eine weltbekannte Sehenswürdigkeit und kann sich gerade im Sommer kaum vor Tourist:innen retten. Dadurch gibt es auch quasi keine Möglichkeit, in Festivalnähe in günstigen Unterkünften unterzukommen.
Da das Taubertal 2021 25-jähriges Jubiläum gefeiert hätte, wurde das 2022 mit der Neuetablierung von gleich zwei Bühnen gefeiert. Zum einen befindet sich im Burggarten oben in Rothenburg eine Bühne, die mit Lesungen, Yoga und ähnlichem besticht, zum anderen wird auch der Campingplatz Berg mit der „Campingbühne“ mit Musik versorgt. Das Lineup wurde von einigen im Vorfeld, gerade mit Hinblick auf das Jubiläum, eher kritisch beäugt. Klar ist aber, dass das Taubertal-Festival die unter Pandemiebedingungen vernünftigere und sicherere Schiene gefahren ist und wenig international gebucht hat. Das einzige wirklich kritikwürdige am Lineup war die Buchung von Kontra K (und einer Lesung von Monchi, aber das ist vermutlich diskutabler) als Mit-Headliner, der sich öffentlich mit Menschen aus dem rechtsextremen Spektrum zeigt - dafür, dass das Taubertal ein so linkes Festival ist und auch auf dem Timetable dieses Jahr Bands wie Wizo, Kraftklub oder die Rogers standen, wurde über Kontra K erstaunlich wenig reflektiert.
Das alles soll der Festivalfreude jedoch keinen Abbruch tun, und so geht es für uns am Freitag, den 11.08., mit einer Freundin, die Sani-Dienst auf dem Festival macht (man kennt sich eben im Landkreis) gen Taubertal. Mit problemlos (und mit wahnsinnig liebem Kontakt!) abgeholten Akkreditierungsbändchen und Presselanyards treten wir den Weg zu Fuß ins Tal an und begeben uns mit dem leicht verspäteten Einlass aufs Gelände. Wie immer befindet sich die Hauptbühne mit Blick auf (das nächtlich schön beleuchtete) Rothenburg direkt am Eingang Nord, links vom Hauptweg plätschert die namensgebende und leider aus Sicherheitsgründen vollständig abgesperrte Tauber. Auf der anderen Seite der Tauber liegt übrigens der Biergarten „Unter den Linden“, von dem aus man sowohl eine Erfrischung in der Tauber nehmen kann als auch die Musik der Hauptbühne perfekt hört, und der somit gleichermaßen von abkühlungsbedürftigen Festivalgästen als auch musikneugierigen Sparfüchsen angesteuert wird. Folgt man dem Hauptweg, gelangt man in Richtung der nett unter Bäumen liegenden Foodcourts und Aufenthaltsbereiche und schließlich zur zweiten großen Bühne im Tal - der Sounds for Nature-Bühne - die den Abschluss des Infields in Richtung Green Camping bildet. Dort sollte auch für uns das Bühnenprogramm starten, denn die Rogers betreten pünktlich um 16:00 Uhr die Bühne. Mit einer gewohnt guten Show machen die Düsseldorfer uns heiß für die drei vollgepackten Festivaltage. Durch den über das gesamte Festival stattfindenden internationalen Bandwettbewerb Emergenza überschneiden sich die größeren Acts auf den beiden Bühnen kaum und bei etwaigen Dopplungen geht das eher zu Lasten der Newcomerbands - was schade ist, aber der Timetable funktioniert so für die meisten Festivalgänger:innen sicherlich besser als bei anderen Festivals. Weiter geht es mit Itchy und Fever333 auf der Hauptbühne, die auch schon recht viel Publikum für den späten Nachmittag des Festivalfreitags anlocken - ebenso wie die Leoniden auf der kleineren Bühne, die unserer Meinung nach bei dem Andrang dort wirklich falsch gebucht sind. Flogging Molly (deren Alter uns tatsächlich etwas überrascht) liefern den ersten Auftritt der Irish-Folk-Bands des heutigen Abends, denn Fiddler’s Green spielen im Anschluss auf der Sounds For Nature-Bühne, die wir aber durch die Menschenmenge und die dadurch eher langsamen Bewegungsmöglichkeiten von einer Bühne zur nächsten für Kraftklub sausen lassen. Und Kraftklub begeistern (wieder, wir durften im Mai bei der Wiedervereinigung 2 in Berlin dabei sein). Die Aufenthaltsmöglichkeiten vor der Hauptbühne werden in ihren Kapazitätsgrenzen gesprengt und es scheint, als könnten alle 15.000 Menschen ungefähr alle Kraftklub-Songs von Anfang bis Ende mitgröhlen. Das nennt sich gelungenes Booking für dieses Festival.
Und schon neigt sich der erste Abend seinem Ende zu und wir treten erschöpft, aber glücklich, den Weg den Berg hoch an.
Auch der Samstag beginnt für uns um 16:00 Uhr - mit Massendefekt auf der kleineren Bühne. Eine Stunde später reißen LaBrassBanda mit ihrem bayrischen Blasmusik-Funk die Hauptbühne ab und begeistern auch uns vollends. Kaffkiez überbrücken die Zeit bis zum Auftritt von Wizo auf der Hauptbühne, die zufälligerweise genau unsere drei Lieblingssongs spielen, während wir für die ersten drei Songs im Graben sind. Faber fotografieren wir zwar (der wahrscheinlich den Preis für das ästhetischste Bühnenbild jemals bekommen würde), können mit der Musik und vor allem den Texten allerdings beide nicht sonderlich viel anfangen. Auch SDP fällt nicht ganz in unser Geschmacksfeld, weshalb wir uns lieber ein bisschen Essenspause vor Nathan Gray gönnen - an Essen gibt es nämlich sehr viel Verschiedenes, von Spanferkel über Pommes bis hin zur veganen Bowl wird ungefähr alles angeboten, was der wilde Festivalgast so verlangen könnte. Jedoch ist wie auf allen Festivals nichts für den schmalen Geldbeutel dabei. Für uns gibt es Flammkuchen und Taschenraclette - ungefähr die beste Erfindung der Welt. Nathan Gray ist mit Band da, die sich mittlerweile auch in „The Iron Roses“ umbenannt haben, was für uns leider heißt, dass Nathans besondere Akustiksongs, die zu unseren absoluten Lieblingen gehören, hinten runterfallen. Trotzdem schafft Nathan eine tolle Atmosphäre voller Safe Space-Gefühl - das jäh unterbrochen wird, als Nathan jemanden aus dem Publikum (das teilweise nur auf Callejon gewartet hat) entfernen lässt, der sich offenbar queerfeindlich geäußert hat. Nathan nutzt das auch direkt, um eine Ansprache zu halten, dass niemand verdient, so angesprochen zu werden und dass wir alle mehr wert sind, als sowas uns glauben machen soll. Schade, dass sich Queerfeindlichkeit auf Festivals (und in der Gesellschaft) immer noch so hält und umso besser, dass die Security da auch mal durchgreift, vor allem nicht erst nach mehrfachem Auffordern, sondern quasi von selbst. Den Abschluss des Abends machen für uns Callejon, die die vermutlich schlechtesten Lichtbedingungen des ganzen Festivals mitbringen, aber auch sehr viel Energie, als Kontrastprogramm für AnnenMayKantereit auf der Hauptbühne. Die konnten wir übrigens nicht fotografieren, weil da die Fotozeiten aus unerfindlichen Gründen auf den sechsten bis achten Song gelegt wurden (und die anwesenden Fotograf:innen wohl noch im sechsten Song rausgeschmissen wurden) und das sich dadurch mit den Fotozeiten von Callejon überschnitten hat.
Am Sonntag machen wir uns schon ein bisschen eher auf den Weg gen Rothenburg, denn Blond sind für 15:00 Uhr auf der kleineren Bühne angesetzt. Und doch wird es zeitlich sehr knapp, obwohl wir gegen 14:10 am Bahnhof angekommen sind. Wir sind nämlich nach den beiden anstrengenden Tagen ein wenig lauffaul geworden und wollten den kostenlosen Busshuttle vom Bahnhof ins Tal nutzen - der allerdings (und so weit hätten wir vorher denken können) die Stationen in der für uns ungünstigsten Reihenfolge anfährt. So sind wir über eine Dreiviertelstunde vom Bahnhof über Land, über die ganzen angrenzenden Dörfer und den Campingplatz Berg getuckert, bis wir endlich im Tal waren und immer noch fast einen Kilometer laufen mussten. Aber das kostet diese malerische Tallage nunmal - und wir mussten die Höhenmeter nicht überwinden. Im Tal angekommen hören wir Blond schon den ersten Song spielen und beeilen uns, diese coole Truppe noch von vor der Bühne sehen zu können. Die Hauptbühne nicht so ganz gefüllt und doch mit ihrer Art im Laufe der Show immer mehr Menschen angelockt, haben dann im Anschluss die Monsters of Liedermaching. Auf der kleinen Bühne spielt danach einer der wenigen (mit Ausnahme der Wettbewerbsteilnehmenden) internationalen Acts, die Australier Mid City, die aus irgendeinem Grund in Deutschland erfolgreicher sind als sonst wo auf der Welt, inklusive ihres Heimatlandes. Nachdem die Antilopen Gang krankheitsbedingt absagen musste, füllen Swiss und die Anderen den Hauptbühnenslot - die wir aber aus diesem Grund nicht sehen wollen und so warten wir auf das Lumpenpack an der kleineren Bühne. Die (wie immer) grandiose (und für die Bühne viel zu volle) Show ist dann auch schon unsere letzte des diesjährigen Taubertals. Kontra K wollten wir ebenfalls nicht unterstützen, Clutch war uns nicht wichtig genug (Shame on us!) und auf Biffy Clyro wollten wir keine drei Stunden warten - und den letzten Busshuttle nach Rothenburg gegen 21:00 Uhr verpassen. Der Betrieb des Shuttles wird nämlich täglich gegen 21:00 aus Sicherheitsgründen eingestellt, was für lauffaule, nach drei Tagen geschlauchte oder auch geheingeschränkte Menschen ohne Auto, das einen gegebenenfalls mit Genehmigung bis ins Tal befördern könnte, wirklich schade ist und den Festivalgenuss einschränkt.
Dennoch ist das Taubertal ein wunderschönes, fast familiäres Festival (es wird übrigens auch immer noch vom Gründer Volker Hirsch in Eigenregie organisiert), mit normalerweise sehr breit gefächertem Lineup, sodass für jede:n was dabei ist. Wir hatten ein tolles Wochenende und kommen sicher wieder! Der Vorverkauf für nächstes Jahr hat übrigens schon begonnen - Tickets findet ihr hier und weitere Infos über das Taubertal 2023 hier.