Es ist Samstag und ich habe meinen Frühdienst erfolgreich hinter mich gebracht. Meine eigentliche Konzertbegleitung musste krankheitsbedingt absagen und meine Freundin, welche Musik dieser Art eher nicht so mag, springt ohne zu zögern ein, da sie um die Wichtigkeit für mich weiß. Dank des Kölner Verkehrs und einem Parkplatz der 20 Minuten Fußweg von der Venue entfernt liegt, verpassen wir leider die erste Band Gatheres. Natürlich ist das Wetter schlecht, wie immer, wenn ich einen Konzertbericht plane. Und so laufen wir durch Nieselregen und bei unangenehmen Böen zur Essigfabrik. Einlass, eine rauchen und dann rein in die gefüllte Halle.
Dort treten dann Acres auf, welche im August ihr erstes Album veröffentlichen werden. Die nächste halbe Stunde ist ein Wechselbad zwischen Begeisterung und ein wenig Ohrenschmerzen, da die Menschen hinter dem Mischpult die Höhen ein wenig zu laut lassen und die flächigen Gitarren damit einen latenten Tinnitus-Sound erzeugen. Dennoch machen die 30 Minuten Lust auf das neue Album. Danach gibt es noch einen kurzen Plausch mit dem Sänger der Band und einen viel zu teuren Einkauf beim Merch-Tisch. Mein Vorhaben, es bei dem „Sad Songs For Sad Dudes“-Shirt von Acres zu belassen, scheitert kläglich und nur mein schrumpfender Bargeldbesitz und meine Freundin halten mich von Schlimmerem ab.
Eine letzte Zigarette, dann werden Casey das letzte Mal in Deutschland auf der Bühne stehen. Der Raum ist für ein Kölner Publikum sehr ruhig und alle starren gebannt auf die Bühne, bis die Band diese endlich unter Applaus betritt. Die nächste Stunde vergeht zu schnell. Die Setlist ist der Traum eines jeden Fans. „Fluorescents“, „Fade“, „Little Bird“ und „Teeth“ sorgen für emotionalen Gesang und leichte Bewegung im Publikum. Auch „Happy“ wird gespielt und lässt die Halle in Ruhe versinken. Der Wechsel zwischen ruhigeren und schnelleren Songs funktioniert und zeigt, dass die Setlist gut durchdacht ist. Der Abend ist eine Zeitreise durch eine viel zu kurze Karriere.
Auch wenn das Publikum sich wenig bewegt (ein Mosh-Pit wäre auch unangebracht) wirkt es nie gelangweilt. Die Menschen singen mit, lauschen mit geschlossenen Augen, manche tanzen für sich allein – so wie beispielsweise Kassim, Sänger von Alazka (sollte er es nicht gewesen sein, hat er einen haargenau so aussehenden Doppelgänger, welcher neben dem Merch-Tisch tanzte). Das Publikum ist dankbar, die Band noch einmal sehen zu dürfen und bis auf ein paar Leute, die immer und immer wieder stagediven müssen, sind die Menschen vor der Bühne in Andacht dabei. Über eine Stunde hinweg trägt die Band in die Nacht hinein, bis Tom die letzten beiden Songs anmoderiert. Keine Zugaben oder „other bullshit“. Danach lädt er dazu ein ihn am Merch-Tisch zu treffen und reden. Die Band wirkt nahbar wie es in der Szene üblich ist und dennoch hat das an diesem Abend einen merkwürdigen Beigeschmack. Auch sein Hinweis, dass man nichts kaufen müsse und die Band auch nur aus Menschen bestehen würde, wirkt ehrlich und nicht wie eine hohle Phrase. Auch für die Band ist es ein Abschied, wie der Sänger auch sagt. Das letzte Mal Köln. Das letzte Mal Deutschland. Ich verlasse nach dem letzten Song die Halle. Tom zu sagen, dass seine Lyrics mich durch dunkle Tagen führten, brauche ich nicht. Das hat er sicherlich schon tausende Male gehört und meine Handykamera eignet sich nicht für Erinnerungsfotos. Ich habe was ich brauche. Einen Abschied. Also ab ins Auto, den neuen veganen Burger von McDonalds testen (ist empfehlenswert, auch wenn ich den Laden eigentlich nicht unterstützen will, aber wenn echt nichts anderes auf hat…) und zu Hause noch die Mate austrinken, während ich den Abend nachwirken lasse. Das war es also mit Casey. Schön war’s.
Das ist jetzt zwei Tage her und ich weiß jetzt schon, wie sehr mir diese Band fehlen wird. So schnell endet eine Liebe, welche doch gerade erst erwacht war. Casey sind mir unsagbar wichtig, auch wenn ich diese Leidenschaft erst seit kurzem verspüre. Manchmal erwischt Musik nicht den richtigen Moment im Leben. Das letzte Counterparts-Album „You’re Not You Anymore“ hat mich anfangs nicht so extrem begeistert, aber als ich mich emotional einfühlen konnte, hat es mich gepackt und zählt seitdem zu meinen Lieblingsalben. Ähnlich war es mit Casey als Band. Ich hatte sie vor Jahren als Vorband von Alazka (damals noch Burning Down Alaska) gesehen, aber nicht so sehr beachtet, wie ich es hätte tun sollen. Dann kam ihr letztes Album „Where I Go When I Am Sleeping“ raus, ich übernahm die Zweitmeinung in diesem Magazin ohne Erwartungen, und es packte mich komplett. Der Tiefgang, die Zerrissenheit, die Emotionen und die Präsentation sind einfach nur begeisternd und bis heute kaum zu erreichen. Das erste Album „Love Is Not Enough“ blieb mir weiterhin ein wenig fremd.
Vergangenen Januar hatte ich eine Phase, welche sich als emotionale Krise bezeichnen lässt. Niemand konnte für mich das sein, was es die Musik zu dieser Zeit war, auch wenn Musik immer eine vordergründige Rolle in meinem Leben gespielt hatte. Ich fühlte mich mit mir allein und war mir selbst fremd geworden. Über das exzessive Hören der letzten Counterparts-Alben rutschte ich dann irgendwie zu Casey und eben auch zum ersten Album. Und es war ein Rettungsboot. Sänger Tom vertonte auf dem Album kein Leiden. Er besang und beschrie das Zerbersten an der eigenen Gefühlswelt und das langsame Zerfallen der Welt um einen herum. Das war der Soundtrack der Wochen und auch der Weg nach draußen. Dafür danke ich der Band erst einmal.
Casey hätten so groß werden können. Es gibt Bands, deren Ende hätte man sich eher gewünscht. Ich habe einige Bands, die ich liebe und dennoch ein wenig hoffe, dass kein Scheißalbum rauskommt, weil die Wahrscheinlichkeit mehr und mehr steigt. Bei Casey ist das auf keinen Fall so, auch wenn mir wohl einige zustimmen werden, dass nach dem letzten Album kaum noch Luft nach oben war. Vielleicht wäre es nur noch bergab gegangen. So bleiben fünf Jahre Bandgeschichte mit grandiosen Songs, welche berühren und Trümmergemüter durch Krisen tragen können. Es bleibt eine Lücke und vielleicht wäre das nächste Album mies geworden. Das werden wir nie wissen und das ist auch nicht wichtig. Was mir bleibt sind Erinnerungen und Musik, die ich anderswo kaum zu finden vermag. Nahbar, emotional so kaputt, dass es weh tut und dennoch ein Freund in der Not. Die Band mag gehen, aber die Alben bleiben. Und ich bin dankbar dafür.