Berlin, Sonntag, gefühlte vier Grad, regnerisch, aber zum Glück geht es gleich kuschelig, schwitzig und warm zu Gange. Ich befinde mich zum ersten Mal im recht neuen Hole 44, dem Nachfolger des Musik und Frieden, und als ich hineinkomme, wundere ich mich zunächst etwas über die sehr hohe und recht schmale Bühne. Aber egal, ich bin für Counterparts hier, welche ich letztes Jahr noch „zu Hause“ in Dresden hautnah bestaunen durfte und für fragendes Wundern und bestaunen bliebt nicht wirklich lange Zeit, denn schon steht die erste von vier Bands des Abends auf der Bühne.
Dying Wish
Dying Wish lassen dabei wenig Zeit klarzukommen. Sofort öffnet sich der erste Pit, sofort werfen die Menschen mit Gliedmaßen um sich und vergessen sämtliche Freundschaften und Etikette, der recht kleine, aber hohe Saal wird zur tropfenden Gladiatoren-Arena. Auf der Bühne stehen dabei Dying Wish um Frontfrau Emma Booster, welche den inneren Dämonen mit tiefen Growls und schrillen Schreien nach draußen lässt. Ihr unerwartet langes Set ballert ordentlich und lässt niemanden ruhig stehen oder trocken zurück, schon jetzt ist alles schweißgebadet, dabei haben wir gerade erst angefangen und es ist noch nicht mal acht Uhr abends. Am meisten beeindruckt mich der Typ im Rollstuhl, der im Pit rumfährt und (leicht) Leute mit seinem Gefährt anfährt, um das Violentdancing ebenfalls auszuüben. Wenn das so bleibt, kann das echt ein ziemlich guter Abend werden.
Paleface Swiss
Leider bleibt es zumindest für mich nicht so spannend. Konnten mich Dying Wish noch voll überzeugen und eine wahnsinnig harte und gute Show abliefern, so fallen Paleface Swiss leider etwas farblos durchs Raster. Auf dem Papier sollten sie mir eigentlich gefallen, so finde ich die Mischung aus harten, beatdown-artigen Shoutpassagen und den schnellen, schon fast gerappten Teilen bei einer Band wie Landmvrks ganz hervorragend, jedoch finde ich diese Mischung hier eher verwirrend und auch etwas langatmig. Dem Publikum ist das allerdings ziemlich wumpe. Die feiern das ab, als wäre der Headliner schon auf der Bühne, brüllen mit und lassen die Schweizer wissen, dass nicht nur Leute wie ich vor der Bühne stehen, gut für sie!
Kublai Khan TX
Auch Kublai Khan wissen mich weniger zu überzeugen. Ich konnte mit Beatdown nie wirklich viel anfangen und auch der klassische Hardcore aus der Riege von Terror und Madball schafft es selten, mich zu überzeugen. Daher haben die Jungs aus Texas bei mir eh schon keine so guten Voraussetzungen. Und obwohl ich mich gern vom Gegenteil hätte überzeugen lassen, finde ich das Ganze eher mäßig spannend und das Set auch etwas zu ausgedehnt, auch wenn die Crowd hier zum vorbereitenden Höhenflug ansetzt und auch schon sich teilweise auch schon in diesem befindet. Die Breakdowns knallen uns nur so um die Ohren, die Leute klettern nun vermehrt auf die Bühne und die Stagediver sind nun keine Besonderheit mehr. Nach knapp 40 Minuten machen auch Kublai Khan die Bühne frei und endlich wartet Counterparts darauf, das letzte und beste Set des Abends zu starten.
Counterparts
Der Anfang und die Setlist unterscheiden sich dabei wenig von denen der letzten Tour. Man hat einige Songs gestrichen und so gut wie mich meine Erinnerung trägt, keine neuen hinzugefügt. Das ist aber egal, denn die bestehende Setlist ist weiterhin voller Highlights wie „Witness“, „Your Own Knife“, „No Servant of Mine“ oder „Monument“. Und auch Songs des aktuellen Albums dürfen nicht fehlen. Im Kern haben wir aus jedem Album mindestens einen Song. Dazwischen beweist Frontmann Brendan Murphy immer wieder, warum die Ansagen der Band zu den zwar kürzesten, aber auch durchaus sympathischsten gehören. Er witzelt über Leute, welche die Songs nicht kennen, bedankt sich tausendmal sehr ehrlich bei allen vor, auf und hinter der Bühne und legt währenddessen mit der Band noch ein hochqualitatives Set hin. Und das Publikum tut dem ebenfalls sehr gut, denn die springen nun in Reihen auf und von der Bühne. Der Saal ist ein einziges Schlachtfeld und immer wieder fliegen Menschen von links nach rechts. Auch wenn ich nicht verstehe, warum das Licht in diesem Laden so wahnsinnig aggressiv aufs Publikum strahlt und so viel Nebel überall sein muss - es war teilweise wirklich anstrengend und tat in den Augen weh - wenn man zur Bühne gucken wollte und wieder jemand mit dem Strobo übertreiben musste. Aber egal, Counterparts enden mit „The Disconnect“ und lassen den letzten Part das Publikum übernehmen, auf einmal stehen da 15 Leute auf der Bühne, drängen sich ums Micro und schlagen von der Bühne auf Leute ein, die davor stehen, versteh ich nicht, muss aber so ein neuartiges Hardcore Ding sein, von hinten sah das aber eindrucksvoll aus. Danach dann Ruhe und nach 50 Minuten Feierabend, ich sage hier schon fast ‚endlich‘, da es dann doch irgendwann anstrengend ist, tausend Augen zu haben und so lange in einer wabernden Massen zu stehen.
Trotz der Tatsache, dass mir zwei der vier Bands hier nicht so zusagten, ich das Licht anstrengend fand und auch so eher gestresst war, gehe ich zufrieden zurück zum Flixbus, denn ich hatte am Ende des Abends Counterparts und mehr brauche ich eigentlich nicht zum glücklich sein. Die wunderbaren Menschen aus Kanada haben erneut absolut abgerissen und wahnsinnig viel Spaß gemacht, da ist mir auch egal, dass das Publikum teilweise wieder von der anstrengenden Sorte war und ich eben nur 50% der Acts wirklich gefühlt habe. Am Ende hatten sicher viele Leute hier Spaß und ich glaube, dass das wichtiger ist.
Danke übrigens einerseits an den Typen, der mich bei Dying Wish einfach willentlich mit all seinem Gewicht und der Schulter voran umgerempelt hat und den Typen, der mir einfach, ohne dass ich zur Bühne geguckt habe, auf den Kopf gesprungen ist und nur haarscharf meine Kamera nicht getroffen hat. Mögen eure Ärmel beim Abwaschen runterrutschen und nass werden! Nee, mal im Ernst, fangt mal an nachzudenken und seid nicht so, niemand muss nach so einem Sonntag wegen eurem Verhalten im Krankenhaus landen!
Bilder von Dave Mante / @ihr_gossenpoet