Generell ist man es ja gewöhnt, wenn ein Konzert folgendermaßen abläuft. Ticket kaufen, fragen, wer mitkommt, am Tag davor aufgeregt sein, hinfahren, Einlass, Bier holen, Support hören, aufs Klo gehen, zweites Bier holen und Hauptact genießen. Nun hatte ich ein Konzerterlebnis, welches alles nach der Aufregung komplett auf den Kopf stellt. Knapp eine Woche vor dem 17. Juli 2022 kündigte die Chemiefabrik Dresden an, dass die New Yorker Electropunk-Band The Death Set am Abend des 8. Subkulturellen Flohmarktes spielen solle. Die Vorfreude war riesig. Ihr aktuelles Album „How to Tune A Parrot“ habe ich als eines der besten Punk-Alben der letzten 10 Jahre betitelt. Guckt man sich nun ein paar Bilder und Videos ihrer Shows an, so sind diese voll von Energie, Krach und vor allem Chaos. Chaos ist hier ein sehr gut gewähltes Stichwort, denn davon hatte dieser Abend genug.
In der Bahn zum Flohmarkt erfahre ich schon, dass das Konzert sich verspätet. Statt um 19 startet es nun um 21 Uhr. Kein Problem, für kalte Getränke ist schließlich gesorgt. Allerdings konnte niemand wissen, dass es bis um halb 10 dauern sollte, bis die Band ankommt und ansatzweise fertig ist, um ihr Set zu spielen. Denn während ich im Biergarten der Chemiefabrik sitze und mein wohlschmeckendes Radler trinke, saß die Band nicht nur im sechs Stunden verspäteten Flieger aus London (ja, sie haben den Abend vorher in London gespielt, das ist ein Stück), sondern haben danach noch eine ebenso lange Autofahrt von Köln aus vor sich und das, nachdem sie vier Stunden am Flughafen Schlange standen. Wenn das nicht Punk ist, weiß ich auch nicht mehr.
Nun ja, als sie dann endlich im Barraum der Chemo standen, ging es alles sehr schnell und nach fünfminütigem Soundcheck, keinem Support und fünf Euro Eintritt geht es auch schon los und hier bricht das Chaos dann so richtig aus. Johnny Siera und Daniel Walker nehmen kurzerhand alles auseinander und vergessen mal eben, was für eine Odyssee sie gerade hinter sich haben. Die Bühne ist keine Bühne, sondern ein sehr hartes Trampolin, die Micros der beiden teilweise egal und sämtliche flache Oberflächen sind Klettergerüste für den Hobbyboulderer Siera, der auf den Tresen klettert, die Leute im Pit rumschubst und sie mit auf die Bühne zerrt, kurz nachdem er sich zum wiederholten Mal auf die Bassdrum gestellt hat. Es wirkt auf mich alles wie ein Fiebertraum. Die Songs werden schnell egal, 90 Prozent des Publikums kennt die eh nicht und sie verschwimmen zu einer bunten Masse. Einzelne Highlights wie „Overload Damage“ oder „Slap Slap Slap Pound Up Down Snap“ inklusive Handschlag mit dem Typen, der extra aus Prag angereist ist, bleiben auch nur deswegen im Gedächtnis, weil die Band mal kurz nicht komplett durchdreht. Ihr seht es ja auf den Bildern, aber die können diese Manege des Wahnsinns nur ansatzweise beschreiben.
Nach knappen 30 Minuten (also ungefähr so lang wie ein Album der Band) ist die musikgewordene Adrenalinspritze dann auch vorbei und so richtig verarbeiten, was hier gerade passiert ist, kann erstmal niemand. Es fällt mir hier wirklich schwer zu beschreiben, wie dieses Konzert war. Es war weniger eines, welches musikalisch überzeugt hat, denn es war laut, teilweise unverständliches Geschreie und zwischendrin die Electrobeats. Aber allein das Gewirr, welches hier nun schon des Öfteren erwähnt wurde, war es, was diese Minuten so einzigartig gemacht hat. Ich kann euch nur raten, dass ihr Mal eines ihrer Konzerte besucht, wenn ihr die Möglichkeit dazu habt, auch wenn es beinhaltet, dass ihr den ganzen Tag auf 30 Minuten Spaß wartet. Allerdings hätten selbst 10 Minuten gereicht, um diesem Tag einen gelungenen Abschluss gegeben!