Schon zwei Mal musste das von Album der Woche präsentierte Pegasus Open Air aufgrund von Corona-Restriktionen verschoben werden. Das eigentlich traditionell Ende Mai in Mölln stattfindende und komplett ehrenamtlich organisierte Event hatte tendenziell zwar wohl unter weniger finanziellem Druck zu leiden als die großen Festival-Platzhirsche, ein herber Verlust für die musikalische Landschaft des Nordens war das Fehlen aber umso mehr. Und das Ende der Fahnenstange ist nach wie vor nicht erreicht. Eine Rückkehr an die alte Spielstätte ist den Veranstalter:innen bis heute verwehrt geblieben, auch wenn es danach aussieht, als könnte es 2022 endlich soweit sein. Kurzum: Noch immer ist alles anders, aber das muss nicht immer einen Stillstand bedeuten. Dank eines Kulturförderungsprogramms der Bundesregierung konnten die Menschen vom Pegasus Open Air Anfang September eine Sonderedition ihres Festivals veranstalten. Das Pegasus Waterkant findet nicht in Mölln statt, sondern macht sich im ebenfalls im Speckgürtel von Hamburg gelegenen Geesthacht breit. Statt im Mai findet das eintägige Konzert nun im Spätsommer statt und auf dem gesamten Gelände herrscht Maskenpflicht. Alles neu, alles anders, aber gleichzeitig auch Balsam für das nach Konzerten lechzende Publikum.
Dass solche Umstände auch ihre Vorzüge haben können, zeigt sich schon beim Betreten des Geländes, denn ja – das Flair der Geesthacht-Location dürfte in Deutschland verdammt wenig Konkurrenz haben. Mit dem Gang über eine Brücke erblickt man schon von weitem das groß angelegte Gelände, die Essenstände und die Bühne, die mit dem Blick aufs Wasser ein eindrucksvolles Panorama bieten. Das Gelände des Waterkants ist noch deutlich weitläufiger als die übliche Spielstätte in Mölln und das muss es auch sein, wenn man mit Montreal den wohl größten Headliner der eigenen Festival-Historie gewinnen konnte. Auch das Angebot an Essens- und Getränkeständen hat sich im Vergleich zur Möllner Variante deutlich erhöht. Trotz aller Traditionsbrüche gilt aber auch dieses Mal – das Pegasus Open Air bleibt kostenlos und Tickets muss man sich nur zur Kontrolle der Kapazität vorher gratis reservieren.
Abseits von Montreal erinnert im Billing aber trotzdem enorm viel an die vergangenen Möllner Jahre. Neben dem Stelzenläufer, der auch beim Waterkant über das Gelände stakst und Kinder mit Seifenblasen bespaßt, befinden sich gerade in den mittleren Reihen des Line-Ups mit #Arrested, Jack Pott und About Blank einige Namen, die alte Pegasus-Hasen bereits aus den letzten Jahren kennen dürften. Das Festival eröffnen dürfen allerdings Broken Eardrum, die noch sehr jung sind, sich aber allem Anschein nach gut im Repertoire einer Punklandschaft auskennen, die teilweise deutlich vor ihrer Geburt stattgefunden haben dürfte. Die Band lässt so die Ramones wieder aufleben und ergreift beim alten Konkurrenzkampf der Ärzte und der Hosen keine Partei und spielt einfach beide. Broken Eardrum legen damit den Eröffnungspunkt eines Programms, dessen Ausrichtung sehr deutlich ist – Punk, Rock und Alternative sind hier die maßgebenden Leitmotive. So auch bei den folgenden #Arrested, die ihre schnellen Alternative-Songs mit abgestimmten Outfits präsentieren und deren Keyboarder unter dem einheitlichen weißen Hemd die Frage aufkommen lässt, ob es eigentlich legal ist, seinen eigenen Merch zu tragen.
Jack Pott wiederum fahren nicht mit Outfits auf, aber haben ihre Bühne trotzdem verdammt schick aufgestylt und präsentieren ihren Bandnamen mit zwei Aufstellern, um die sich sogar Kletterpflanzen ranken. Das ist für eine Punkband auffallend stilbewusst, aber das sind Jack Pott sowieso. Ihre Mischung aus synthesizergetriebener Neuer Deutscher Welle und völlig erbarmungslos festhängenden Punkhymnen ist nach wie vor einfach Gold wert. Zum ersten Mal an diesem Tag wird es richtig schade, dass die Corona-Bestimmungen ein Moshpit-Verbot erfordern. Ähnlich kultig wird es bei About Blank, die wie üblich mit einem geradezu frenetischen Fanclub aufkreuzen, ihre Bühne mit einem Kaktus schmücken und jene pinke Couch zum Verweilen platzieren, auf der 2019 noch die Gäste der Album-der-Woche-Fanstage Platz nehmen durften. Zum Schluss lässt die Band dann standesgemäß Freibier verteilen – zum Trinken darf man die Maske zum Glück kurz abnehmen. Während sich die Sonne langsam dem Horizont entgegenbewegt und so die Atmosphäre des Geländes noch einmal schöner macht, begeben sich Drunken Swallows auf die Bühne, die es ähnlich wie #Arrested machen und Wert auf einheitliche Bekleidung legen – passend zur schimmernden Farbe des Himmels besonders fancy in Gold. Ist das noch Punkrock? Die abschließenden „Antifascista“-Rufe sind es jedenfalls.
Vor allem haben am Ende und bei bereits mittlerweile einbrechender Dunkelheit alle richtig Bock auf Montreal. Mit einem Mal ist das Gelände brechend voll und die Stimmung derartig ausgelassen, dass manche der Festivalregeln nur noch schwer durchzusetzen sind. Immerhin moshen alle mit Maske und es entfaltet sich eine Euphorie, die seit dem Einbruch der Pandemie wirklich nur noch selten zu spüren war. Nach eineinhalb Stunden Gig bleiben vor der Bühne viele selig jubelnde Menschen zurück, die eigentlich noch viel mehr wollen. Dieser Wunsch kann am selben Abend nicht mehr erfüllt werden, aber das Pegasus Waterkant bleibt als Vorahnung dafür zurück, wie sich Musik auch nach einer der größten Katastrophen der letzten Jahre wieder rehabilitieren könnte – vielleicht ja im vollen Ausmaß beim Pegasus Open Air 2022.