Als ich im Jahr 2019 das Popsalon-Festival leider verpasst habe, konnte ich mich noch mit dem Gedanken “nächstes Jahr auf jeden Fall” vertrösten. Dass dieses nächste Jahr sich noch auf zweieinhalb ausdehnen würde, wusste ich damals ja noch nicht. Aber nun steht das Wochenende endlich vor der Tür und ich freue mich wie ein kleines Kind, zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie wieder “normale” Konzerte ansehen zu dürfen. Wird es überhaupt wieder so wie vorher? Habe ich überhaupt noch die Kondition, um so einen Konzertmarathon durchzuhalten? Bin ich über die Jahre zu einem hinten-stehen-und-unbeeindruckt-mitnicken-Typen geworden? Diese und andere skeptischen Gedanken schiebe ich nach hinten und mache mich auf den Weg zu meiner ersten (und für den ersten Tag auch einzigen) Station, dem Rosenhof. Der Osnabrücker Frühling liegt in der Luft. 10 Grad und gelegentlicher Nieselregen.
Während die beiden Freund:innen mit denen ich da bin schon reingehen, warte ich noch auf meinen Pressepass, als sich plötzlich eine Gruppe sehr eifriger Menschen an mir vorbeidrängelt, als hätten sie was ganz wichtiges zu tun. Der vorderste der Gruppe hat eine Frisur, als ob er bis gerade noch ausgeklügelte Fallen für Perry das Schnabeltier ausgedacht hat. Als ich fünf Minuten später den Konzertraum betrete, finde ich die Strubbelfrisur auf dem Kopf des Stars des Abends wieder. Thees Uhlmann hat soeben leicht abgehetzt die Bühne betreten und beginnt sogleich das Konzert. Einen besseren Einstieg in uneingeschränkte Livemusik als mit den euphorisierenden Anekdoten des gut gelaunten Ostfriesen hätte ich mir nicht wünschen können. Ich bin nicht der allergrößte Fan seiner Musik, aber die ausgedehnten Geschichtenerzählerpassagen zwischen den Songs bringen mich an diesem Abend mehr als einmal zum Lachen. Aber wer kann auch bei Sätzen wie “mehr als Niedersachsen kann Deutschland nicht werden” die Mundwinkel stillhalten? Ungefähr anderthalb Stunden später ist das Konzert vorbei, jegliche Skepsis meinerseits sind verflogen und ich bin voller Vorfreude auf den morgigen Abend auf dem Weg nach Hause.
Der Samstag hält gleich drei Anlauf- oder vielmehr Anspielstationen für mich bereit. Den Einstieg macht die Newcomerin Blush Always, die im gut gefüllten Saal des Haus der Jugend mit grungigem Garage-Rock irgendwo zwischen Wolf Alice und Nirvana brilliert. An dieser Stelle merkt man dann doch mal wieder die Nachwehen von Corona. Blush Always spielt eigentlich mit Band, die konnte aber zum Konzert nicht erscheinen, weil die Künstlerin nur ganz kurzfristig für einen anderen Act eingesprungen ist. Dementsprechend springt der komplette Live-Funke nicht zu 100% über. Nach fünf Minuten Fußweg und einem kurzen Snack kommen wir in der Lagerhalle an, wo die nächsten beiden Konzerte des heutigen Abends stattfinden. Den Anfang macht das Straßenmusikduo Beranger, bestehend aus einem französischen Pianisten und einem australischen Drummer, die sich in Berlin auf der Straße kennengelernt haben (kannste dir nicht ausdenken, sowas). Die Band kombiniert wuchtiges Alternativerock-Schlagzeug mit klassischem Klavier und Pop-Melodien. Was in der Aufnahme oft eher seicht und glattgebügelt klingt, macht live erstaunlich viel Spaß. Die Drums stehen viel mehr im Vordergrund und die gesamte Produktion klingt viel fetter als in der Studioversion. Definitiv eine der großen Überraschungen an diesem Wochenende. Beranger entfachen spätestens ab der Hälfte des Sets zuverlässig Moshpits mit jedem neuen Song und nach zwei Jahren gehe ich zum ersten Mal wieder verschwitzt aus einem Konzert. Das Highlight des Abends und ein Stück weit auch des Festivals folgt auf dem Fuße, als die Münchener Blackout Problems circa eine halbe Stunde nach Beranger die Bühne der Lagerhalle betreten. Dass diese Band zum besten gehört, was deutsche Livemusik so zu bieten hat, muss man allen, die schonmal auf einem ihrer Konzerte waren, nicht mehr erklären. Von der ersten Sekunde an sprudelt einem von der Bühne aus die Energie nur so entgegen. Frontmann Mario pendelt regelmäßig zwischen Bühne, Pit und Soundbooth hin und her und einzig die Länge des Mikrokabels hält ihn davon ab, auch auf der Theke nochmal rumzuhüpfen. Auch Ex-Heisskalt-Drummer Marius endlich mal wieder live spielen zu sehen zaubert mir ein fettes Grinsen ins Gesicht. Tatsächlich enthält die Setlist der Blackout Problems an diesem Abend kein einziges Lied ihres ersten Albums “Holy”, dafür werden “Kaos” und “Dark” rauf und runter gespielt und auch die “Gods” EP kommt nicht zu kurz. Das war vielleicht nicht das objektiv beste Konzert meines Lebens, aber auf jeden Fall eines der emotionalsten, und das ging nicht nur mir so. Aus dem Publikum hört man immer wieder, wie schön es ist, Live-Musik endlich wieder so genießen zu können, wie sie am besten genossen werden sollte. Zusammen.
Bei einer derartigen Highlightdichte hat es der folgende Sonntag dann schon ein bisschen schwer, da noch einen draufzusetzen. Trotzdem stehen auch an Tag drei des Popsalon noch drei Konzerte auf meinem inneren Zeitplan. Den Anfang machen die Indie-Pop-Mittlerweilenichtmehrnewcomer Provinz im Hyde Park, der größten Location, die der Popsalon zu bieten hat. Die ist auch fast komplett voll und alle Anwesenden haben, wenn man von den frenetischen Jubelschreien aus Richtung Bühne ausgeht, die Zeit ihres Lebens. Alle Anwesenden? Naja. Tatsächlich fand ich die Show eher enttäuschend. Provinz stehen für mich auf der “Wir-leben-nur-davon-dass-unser-Sänger-ne-interessante-Stimme-hat”-Skala gleich hinter AnnenMayKantereit und auch live können die Jungs über diesen Eindruck nicht hinwegtäuschen. Um einiges unterhaltsamer geht es ein wenig später bei Maeckes und seiner Luftgitarre zu. An dem ist ganz offensichtlich nicht nur ein Fashion-Icon, sondern auch ein Alleinunterhalter verloren gegangen. Von der eben schon erwähnten Luftgitarre bis zum “kapitalistischen Liebeslied” wird hier einiges zur Erheiterung geboten. Letzteres beinhaltet die Aufforderung seitens Maeckes, wer jetzt auf die Bühne kommt und ihm fünf Euro in die Hand drückt, dem schreibt er spontan ein Liebeslied. Kurz nach dieser Einlage machen wir uns auch schon etwas verfrüht auf den Weg Richtung Bastard Club und dem letzten Konzert des Festivals. Das Berliner Trio Pabst wird hier nicht nur den besagten Club, sondern auch meine Trommelfelle ordentlich in Mitleidenschaft ziehen. Ich war ja auf einiges vorbereitet, aber die Kombi aus Pabst gnadenlosen Fuzz-Eskapaden und dem engen, halligen Club legt mir die Sorge nah, vielleicht doch nochmal schnell die Basics der Gebärdensprache zu lernen.
Leicht angeschwippst, schwitzig, halbtaub aber komplett euphorisch mache ich mich nach Ende des Konzerts auf den Weg nach Hause. Wie haben wir eigentlich zwei Jahre ohne das alles ausgehalten?!