Wenn der Popsalon ruft, horcht Osnabrück auf. Auch in diesem Jahr bringt das Clubfestival wieder etliche Acts aus dem Indie-, Alternative- und Rap-Kosmos in die vier Spielorte in der Stadt. Aus terminlichen Gründen konnte ich in diesem Jahr leider nur bei zwei der drei Tage dort sein, genug gute Musik gab es dabei aber allemal zu entdecken. Der Donnerstagabend begann für mich allerdings erstmal mit einer kleinen Enttäuschung. Als ich schon ganz selbstbewusst den Schritt in den Saal der Lagerhalle, meiner ersten Station für diesen Abend, machen wollte, wurde mir mitgeteilt, dass Nand sein Konzert an diesem Abend leider gesundheitsbedingt absagen musste. Ein bisschen ernüchtert sah ich mich schnell nach einem Alternativprogramm um und landete schließlich bei der Indiepop-Band Monako im Haus der Jugend. Da ich den Act bis dato überhaupt nicht kannte, ging ich völlig ohne Erwartungen in das Konzert, was seit langem mal wieder ein sehr angenehmes Gefühl war. Schon bevor die Band die Bühne betritt ist der Raum davor gut gefüllt und schnell wird klar, dass das Popsalon-Publikum im Vergleich zum letzten Jahr nochmal ein Stückchen älter geworden zu sein scheint. Das könnte mitunter an dem mit 80 Euro recht happigen Ticketpreis liegen. Monako betreten pünktlich um 20:30 die Bühne und schaffen es prompt, mich mit ihrem Opener “All I’d Known Was To Lie” zu begeistern. Das Quintett ergänzt die Standardbesetzung aus Bass, Gitarre und Schlagzeug um ein Arsenal an Synthesizern und Keyboards, was dem Sound eine ungemeine Breite verleiht. Die wabernd-flächigen Instrumentals erinnern in Kombination mit dem vocoderartigen Effekt auf der Stimme des Sängers beinahe an Bon Iver. Leider kickt mich das restliche Set von Monako nicht ganz so sehr, bis zum Closer bewegt sich die Band aus Hamburg in sehr ruhigen Gefilden ohne große Ausbrüche. Der letzte Song wartet dann nochmal mit einigen musikalischen Überraschungen auf, die mich dann abschließend doch eine positive Bilanz für das erste Konzert des Abends ziehen lassen.
Danach geht es für mich auf geradem Weg zurück zur Lagerhalle, wo eine sehr andere musikalische Erfahrung auf mich wartet. Moon Hooch aus den USA sind eine Kombo aus einem Drummer und zwei Saxophonisten, die ab und zu auch Synthies und Effektgeräte bedienen. Das dabei entstehende Projekt ist vor allem live eine euphorisierende und schweißtreibende Erfahrung. Wo bei Monako noch Atem- und Redepausen zwischen den Songs gelassen wurden, scheint das Set von Moon Hooch von vorne bis hinten durchgeplant und auf den Klick genau getimt. Die beiden Saxophonisten motivieren sich gegenseitig zu einem wilden Solo-Ausbruch nach dem anderen und der Schlagzeuger, der spätestens nach den ersten zehn Minuten komplett in Nebel und Strobo-Licht eingehüllt ist, trommelt in wahnsinniger Geschwindigkeit auf die hintergründigen Synthiebässe. Das Ganze erinnert eher an eine Technoparty als an ein Bandkonzert. Es gibt so gut wie keine Wortmeldungen, alle Songs laufen mehr oder weniger fließend ineinander über, was in mir die Frage aufwirft, was für eine gigantische Lungenkapazität die beiden auf der Bühne haben müssen. Auch für Improvisation ist ordentlich Platz, immer wieder tauschen die Musiker Blicke aus und gehen auf die Spielereien des anderen ein. Das stimmungstechnische Highlight ergibt sich, als einer der Saxophonisten während eines längeren Solos des anderen am Bühnenrand abtaucht und kurz darauf als Bauarbeiter mit Harthelm und Warnweste bekleidet wieder im Scheinwerferlicht steht. In der Öffnung seines Instruments befindet sich nun eine knapp einen Meter große, leuchtend orange Pylone, die nun als eine Art “Verstärker” dienen soll. Ob das musikalisch einen riesigen Effekt hat, sei mal dahingestellt, die Stimmung im Saal verstärkt der Auftritt allemal. Leicht außer Puste verlasse ich nach etwas über einer Stunde die Location, um mich zu meiner letzten Station des Abends zu begeben.
Die kleine Freiheit, in der ARXX für mich den Abend beenden, liegt entspannte 10 Minuten Radfahrt von der Lagerhalle entfernt. Als ich dort reinkomme, stehen die beiden Britinnen bereits auf der Bühne, vor der sich ihrer Ansicht nach überraschend viele Leute befinden. Immer wieder betont Schlagzeugerin Clara, dass sie eigentlich um diese Uhrzeit (23:30) längst im Bett sein müsste. Bereits als Support auf einigen Shows der vergangenen Fjørt-Tour hatte ich mich in die sympathische, ein bisschen unbeholfene Art der beiden Indie-Musikerinnen aus Brighton verliebt, und auch heute sollte ich nicht enttäuscht werden. Der Rede-Anteil der Band ist, gerade im Vergleich zu Moon Hooch, riesig und es wird andauernd über alles Mögliche gewitzelt. Beide werden nicht müde zu betonen, dass an jeglichen Verspielern an diesem Abend ausschließlich der Rotwein schuld sei, den sie beide notgedrungen trinken mussten, um überhaupt zu so später Stunde noch Energie für ein Konzert zu haben. Wenn sie mal nicht mit sich oder dem Publikum small-talken, spielen ARXX an diesem Abend beinahe ihr ganzes Album “Ride Or Die”, sowie einige weitere Songs. Nach einer Stunde neigt sich auch das letzte Konzert des Abends dem Ende zu. Kaum haben ARXX die Bühne in Richtung Merchstand verlassen, ruft der DJ zur Aftershowparty. Angesichts meiner Erschöpfung und der fortgeschrittenen Uhrzeit verzichte ich und begebe mich stattdessen ins Bett. Übermorgen ist schließlich auch noch ein Tag…
Nachdem ich es am Freitag leider nicht zu einem Konzert geschafft habe, stehe ich am Samstagabend, diesmal in Begleitung einiger Freund:innen, vor der Bühne des Rosenhofs. Der erste Act des Abends ist Lostboi Lino, der zusammen mit Gitarristin Und Drummer kurz nach der geplanten Auftrittszeit die Bühne betritt. Gekleidet ist der Sänger, passend zu seinen lila gefärbten Haaren, in einem Retro-Trikot des VfL Osnabrück. Der Support der anwesenden Fußballfans ist ihm so schonmal sicher. Mein ganz persönliches Highlight dieses Konzerts ist aber ein anderes bekanntes Gesicht, denn der Tour-Drummer von Lostboi Lino ist niemand geringeres als Michael Dreilich, ehemals Trommler bei einer Münchener Band namens Blackout Problems. Und ihm beim spielen zuzugucken macht auch bei Lostboi Lino viel Spaß. Nach knapp 45 Minuten verlässt Lino die Bühne. Es folgt keineswegs das Ende der Show, stattdessen erklingt über die Anlage die gesampelte Stimme von niemand geringerem als Herbert Grönemeyer, wie er beim “Wir sind mehr” Konzert vor einigen Jahren eine Ansage gegen Rechts macht. Untermalt wird das ganze von einem ausufernden, epischen Intro von Michi und der Gitarristin Anna. Im Finale dieses Ausbruchs betritt der eigentliche Protagonist wieder die Bühne, um, nun in ein wallendes Blumenkleid gehüllt, seinen Song “Männer 2.0” anzustimmen. Die Stimmung findet hier ihren Höhepunkt und bleibt bis zum Ende des Konzerts energiegeladen und glückselig. Auch wenn ich den Songs von Lostboi Lino im Vorhinein nicht ganz so viel abgewinnen konnte, war auch ich am Ende durchaus angetan von der Liveshow des Trios.
Da das nächste Konzert an diesem Abend im selben Club stattfindet, haben wir zwischen den Shows genug Zeit, gemütlich ein Getränk zu uns zu nehmen. Der “Special Guest”, der erst sehr kurzfristig vor dem Festival angekündigt wurde und gleich die Bühne erklimmen wird, ist Betterov. Auch wenn mich dessen Debütalbum “Olympia” leider nicht mehr ganz so sehr überzeugen konnte wie noch die “Viertel vor Irgendwas”-EP, freue ich mich doch sehr auf dieses Konzert. Als sich das Licht abdunkelt und Betterov und Band ihre Show beginnen, dringt allerdings ein Geräusch an meine Ohren, das der Stimmung einen kleinen Abbruch tut: Unterhaltungen der Leute um mich herum. An dieser Stelle ein kleiner Exkurs in Sachen Konzert-Etikette. Wenn du keinen Bock auf die Musik hast, geh raus. Wenn du lieber die Basketball-Ergebnisse im Live-Ticker checken möchtest, als dem Konzert zu folgen, geh raus. Und bitte, wenn dir die Bolognese, die du und dein:e Partner:in am Wochenende gekocht haben wichtiger ist als der Typ, der gerade allein auf der Bühne einen ruhigen Klaviersong spielt, dann geh. einfach. raus. Ich bin normalerweise recht unempfindlich für sowas, und kurz zwischen den Songs quatschen ist ja auch völlig okay. Aber hier ist das Ganze wirklich so ausgeartet, dass die Hälfte der Gruppe hinter mir mit dem Rücken zur Bühne stand und sich zusammen Fotos auf dem Handy angeguckt hat. Sorry, aber das ist einfach respektlos, sowohl dem Rest des Publikums als auch den Künstler:innen gegenüber. So, genug abgekotzt, wie war denn jetzt das Konzert? Nachdem sich die Störenfriede im Publikum dann doch beruhigt hatten, richtig richtig gut. So gut, dass sich der Auftritt von Betterov innerhalb von ein paar Songs zu meinem Highlight des Wochenendes mauserte. Neben Hits wie “Dussmann”, “Nacht” und “Dynamit” spielt der Wahlberliner viel aus seinem neuen Album. Der für mich beste Song kommt allerdings erst ganz zum Schluss, als letzter Song der Zugabe. “Platz am Fenster” bringt mich mit seiner unendlichen Melancholie regelmäßig an den Rand der Tränen, und auch live entfaltet der Song eine unglaubliche Stimmung. Ein versöhnlicher Abschied für ein buntes Festivalwochenende mit Höhen und Tiefen.