Es gibt unbeabsichtigte Parallelen zwischen dem damaligen Besuch des Pell-Mell Festivals und der Ausgabe 2022: Wieder kann ich terminlich bedingt nur einen Tag vor Ort sein und auch in diesem Jahr ist es trotz einiger Konzertbesuche mein einziger Festivalbesuch. War es 2019 noch der Freitag, an dem ich auf (noch) frisch aussehende und motivierte Besucher:innen traf, bin ich dieses Mal samstags zu Gast in Obererbach. Der Motivation, meiner eigenen und auch der der anderen Festivalgäste, tut das natürlich keinen Abriss. Optisch und im Gesamtzustand merkt man den Begegnungen auf dem Weg zum Festivalgelände schon ein wenig an, dass hier bereits mindestens einen Tag und eine Nacht gefeiert wurde. Aber genau das macht Festivals ja aus und so großartig: Mehrtägiges Feiern, Verkleidungen, so viele verschiedene Charaktere die friedlich aufeinander treffen. Optik hin oder her. Ich kann mir ein erstes Schmunzeln nicht verkneifen und fühle mich sofort wieder wohl. Am gestrigen Freitag waren es Bands wie Oceans, Givers, Dritte Wahl, Hafensaengers und Imminence, die sich das Festival in der Nähe von Limburg an der Lahn vorgeknöpft haben. Heute erreiche ich zu den letzten Klängen von Dying Breed das Gelände, lasse mich von durchweg freundlichen Sicherheitskräften checken und schreite grinsend ins Vergnügen.
Das Line-Up des heutigen Tages sieht zu diesem Zeitpunkt noch zehn weitere Konzerte auf zwei Bühnen und eine Aftershowparty vor. Ich selbst nutze die Umbaupause vor der Band Valiant Alley, um mir einen Überblick über das Gelände in diesem Jahr zu verschaffen. Auf den ersten Blick hat sich an der Aufteilung zwischen Ständen, Bühne und Toiletten nicht viel geändert. Im Jahr 2019 habe ich davon geschwärmt, wie groß die Auswahl in Sachen Speisen und Getränke war. Wenn die diesjährige Ausgabe des Pell-Mell Festivals hier mit einem Satz abgearbeitet ist, haben die Verantwortlichen wieder einiges richtig gemacht: Riesige Getränkeauswahl inklusive Gin und Longdrinks, Speisen von Currywurst-Pommes über Crêpes bis hin zum Foodtruck für Vegetarisches und Veganes. Hier ist wieder einmal für jede:n etwas dabei und auch ich kann mich über neun Stunden auf dem Gelände weder über Auswahl noch über Service oder fehlende Freundlichkeit beschweren. Chapeau und herzlichen Dank an dieser Stelle!
Valiant Alley und XO ARMOR bespielen gerade die Hauptbühne, bevor es ab der Band Kalaska auf der Hirschberg Gin Stage im Wechsel weitergehen wird, als ich verschiedenen Gesprächen und gemeinsamen Kaltgetränken mit einigen bekannten Gesichtern nachgehe. Ein Junggesellenabschied aus meinem Nachbardorf hat sich ebenfalls auf den über 80 km weiten Weg gemacht, um heute das Pell-Mell Festival mit all seinen Vorzügen zu besuchen und zu genießen. Die Musik schallt zu uns in den Bereich vor der Longdrinkbar herüber, es wird gelacht und immer wieder gesellen sich neue und auch Leute außerhalb des über 30 Personen starken Jungegesellenabschieds in die Runde, was den Gesprächen über Musik und die Welt keinen Abbruch tut. Ein weiterer Aspekt, für den man weltoffene Veranstaltungen wie dieses Festival nur mögen kann. Die Zeit vergeht dadurch wie im Flug, Kalaska beenden ihren Auftritt auf der Nebenbühne und From Fall To Spring legen ohne große Unterbrechung auf der Hauptbühne los. Die Band vereint Post-Hardcore mit Elementen aus dem Rap und hat, wenn man herumlaufenden Shirts und Merchandiseartikeln Glauben schenkt, einige Fans im Schlepptau. Das Publikum des Pell-Mell Festivals lässt sich nicht lumpen mitzugehen und auch dieser 45 Minuten andauernde Auftritt ist gefühlt nach wenigen Augenblicken vorüber.
Hostage, eine relativ junge im Jahr 2018 gegründete Metalcoregruppe aus Aachen, übernehmen auf der Hirschberg Gin Stage für 30 Minuten das Kommando. Es regnet wie aus Kannen, sodass viele Menschen versuchen einen trockenen Platz auf dem Gelände zu ergattern. Mein Fokus bleibt währenddessen ehrlicherweise auf der großen Bühne, wo sich eins meiner voller Vorfreude erwarteten Highlights des Tages ankündigt: Destination Anywhere beginnen mit dem Aufbau, bringen ihre (Blas-)Instrumente in Position und machen sich dazu bereit, nach etwa drei Jahren Pause auf die Bühne zurückzukehren. Ich habe im Vorfeld viel über dieses Comeback und die damit verbundene neue Single "Erkennst du mich denn wieder?" geschrieben um meine eigene Vorfreude rauszulassen, die Abschiedsshow in Siegen im Jahr 2019 in Erinnerung gerufen und in eben diesen Erinnerungen geschwelgt. Heute ist es also endlich soweit!
Nach einem Intro läuten Destination Anyhwere mit genau dieser neuen Single einen einstündigen Auftritt ein (auch wenn ein verständlicherweise aufgeregter Sänger David zwischendurch der Meinung ist nach 45 Minuten bereits von der Bühne zu müssen), wie er gebührender nicht hätte gefeiert werden können. Der Regen hat, als wäre es gewollt, pünktlich zum Beginn der Show ausgesetzt und wird heute nicht wieder zurückkehren. Zwischen einer guten Mischung aus alten und neueren Songs vom Album "Bomben" aus dem Jahr 2018 fliegt immer wieder Konfetti über unsere Köpfe, die Circle-Pits und springenden Fans sind kaum aufzuhalten. In altbekannter Manier spielen die Bläser sogar in der Mitte des Circle Pits und David sucht oft den persönlichen Kontakt zu den Leuten vor der Bühne. Diesem gefeierten Auftritt entsprechend wird auch David nicht müde zu betonen, dass die Band zwar versucht hat aufzuhören, doch nach kurzer Zeit bereits merkte dass da einfach etwas fehlt, spätestens nach der Veröffentlichung eines neuen Albums von Culcha Candela musste man einfach etwas tun. Man merkt den Jungs jedenfalls an, dass sie absolut ehrlich geflasht sind von dem riesigen Interesse und der Liebe, die sie von vor der Bühne erfahren. Die mehr oder weniger offiziell angekündigte Show im Siegener Vortex im Mai 2023 wird wenige Stunden später ausverkauft sein. (Anmerkung: Mittlerweile wurden zwei Zusatzshows angekündigt, in Summe sind alle drei Konzerte ausverkauft). Frei nach dem auch heute aufgeführten Cover von "Das schlimmste ist, wenn das Bier alle ist" heißt es nach minutenlangem Applaus und Verstummen der letzten Klänge aber erst einmal durchatmen und Getränke holen. Es ist mittlerweile dunkel und nach dem Regen angenehm geworden in Obererbach.
Da im Wechsel aufgetreten wird, folgt eine halbstündige Show der Berliner Band Herbst auf der Nebenbühne. Das Publikum hat es auf dem Gelände des Pell-Mell Festivals sehr einfach, muss sich nur umdrehen, ein paar Meter gehen und steht vor der kompakten Bühne neben dem Getränkezelt. Praktisch!
Herbst versuchen sich zwischen Rock und Metal zu platzieren und wissen mit deutschen, eingängigen Texten und melodischen Gitarrenriffs durchaus zu unterhalten. Ich verfolge den Auftritt etwas abseits der Bühne und nehme im Augenwinkel bereits wahr, wie der von Auftritten der Band bereits bekannte, schwarze Vorhang mit den weißen Buchstaben "Emil Bulls" vor die Hauptbühne gezogen wird. Ein paar Momente bevor sich die aktuell bei Herbst aufhaltenden Gäste auf den Rückweg zur großen Bühne machen, schlendere ich bereits hinüber und nehme den gleichen Platz wie bei Destination Anywhere, leicht rechts vor der Bühne in der zweiten bis dritten Reihe ein. Ein weiterer Vorteil des Festivals: Es wird nie so richtig eng vor der Bühne, wenn man sich nicht gerade ins Getümmel mittig vor den Bands begibt. Doch dazu gleich mehr.
Emil Bulls gehören seit einiger Zeit zu den regelmäßig auf meinem Plattenspieler rotierenden Bands. Nach zwei Konzerten in Köln und in der Nähe von Siegen steht heute meine erste Festivalshow der Münchener an. Die Texte sitzen und die Zuschauer sind durch die vergangenen Shows bereits so aufgewärmt, dass es nicht lange dauert bis das Publikum zum Sound der Band eskaliert. Aus sicherer Entfernung beobachte ich zunächst wie ein dauerhaftes Moshpit vor der Bühne entsteht, um mich anschließend selbst hineinzuwerfen. Mir kommen diese Ausflüge immer vor wie ein Tunnel, der aus Körperkontakt, viel Licht, singenden Menschen, dem Aufheben von Leuten und der Reaktion auf die Füße der Crowdsurfer aus der Luft besteht. Man begibt sich hinein, es passiert unfassbar viel auf einmal und man fällt am anderen Ende nass geschwitzt und außer Atem wieder heraus. Dann heißt es kurz erholen und das Ganze von vorn. Emil Bulls spielen ein brachiales Set, an dem es nichts auszusetzen gibt. Vor der Bühne sehe ich den einen oder anderen Teilnehmer des Junggesellenabschieds wieder, ebenfalls textsicher, sodass "Nothing In This World" als einer meiner ewigen Favoriten der Band inklusive gemeinsamen Hinsetzen und anschließender Ekstase gemeinsam gefeiert wird. Grüße gehen an dieser Stelle raus!
Der Ablauf bleibt im Anschluss der gleiche: The Oklahoma Kid laden auf der Nebenbühne zur Erholung ein. Nichts da! Auch der Modern-Metal der Jungs kommt gut an und beim vorletzten Konzert eines Festivalwochenendes hat auch kein anwesender Gast Lust auf Entspannung. Immerhin folgt der Hauptact des heutigen Samstags ja noch, denn Betontod beginnen bereits mit den Vorbereitungen für den Schlusspunkt des Pell-Mell Festivals 2022. Und wie sich das gehört, haben auch hier die Leute UND die Band nochmal richtig Lust auf Feiern, 23:30 Uhr hin oder her. Beim wohl noch nicht ganz so bekannten Opener "Das Kapital" noch zurückhaltender, wendet sich das Blatt spätestens mit Nummern wie "Schwarzes Blut", der in die Zeit fällt in der ich die Band kennenlernen durfte, und "Glück auf!". Crowdsurfing und Pogotanz ist hier dauerhaft zu bestaunen. Publikum und Band beenden das diesjährige Festival laut, feuchtfröhlich und ebenfalls ziemlich textsicher. Wie bereits geschrieben, der große Nachteil an guten Konzerten ist die Tatsache, dass sie gefühlt so unfassbar schnell vorüber sind. Nach einer Stunde Betontod geht das Licht an, "Im Wagen vor mir" in der Version von Betontod erklingt und die eigentlichen Konzerte der diesjährigen Ausgabe des Festivals sind Geschichte. Wer Lust hat, begibt sich zur Aftershowparty mit einem DJ-Set von Patrick von Caliban, ich jedoch muss zu später Stunde noch zurück in die Heimat und kehre dem Gelände gegen 0:45 Uhr den Rücken.
Es bleibt nicht viel zu sagen zu meinem diesjährigen Besuch in Obererbach. Das Pell-Mell Festival hat in meinen Augen erneut alles richtig gemacht, gute Bands gebucht, zwischen Klamottenständen und Speisen sowie Getränken alles zu bieten was das Herz begehrt. Mein Schlusssatz bleibt also völlig zurecht der gleiche wie im Jahr 2019: Pell-Mell Festival, wir sehen uns wieder! Verlasst euch drauf.