Daughters war für mich eine der Entdeckungen des vergangenen Jahres. Die von der Kritik geradezu überschwänglich gelobte Platte von 2018 diente dabei als Einstieg in eine Band, die mir bis dato völlig unbekannt war. Umso besser passte das genial inszenierte und tief verstörende „You Won't Get What You Want“ zu meiner beginnenden Faszination für experimentellen Noiserock. Ein Album, das die Grenzen meines persönlichen Geschmacks erst auslotete und dann mit brachialer Soundgewalt versetzte.
Dass ich nicht der Einzige bin, dem es so erging, beweist das restlos ausverkaufte Hafenklang an diesem Samstagabend. Trotz Verlegung in den großen Saal ist es proppenvoll und alles wartet auf die Band aus Rhode Island. Vorab aber ist Arto an der Reihe, der Support aus Italien. Die sphärischen Instrumentals des Quartetts erweisen sich als perfekte Einstimmung und werden mit einer Mischung aus freudiger Überraschung und interessierten Kopfnicken aufgenommen. Kleines Kuriosum am Rande: Die bis zu diesem Zeitpunkt sträflich vernachlässigte Nebelmaschine darf während des großartigen letzten Songs gleich doppelt ran, was zur Folge hat, dass die Italiener bereits vor ihrem endgültigen Abgang dem Sichtfeld der Konzertgäste entschwinden.
Nach den obligatorischen 15 Minuten Pause betreten dann Daughters die Bühne; Frontman Alexis Marshall mit grauem Blümchenhemd und Weste, seine Kollegen in durchweg schwarzer Montur. Was folgt, spottet jeder Beschreibung. Sobald die erste Welle an geballter Dissonanz auf den Saal niederbrandet ist es, als ob ein Schalter umgelegt worden wäre. Auf einen Schlag rücken die Bandmitglieder in den Hintergrund und der wild zuckende Alexis Marshall wird zum Fokus der Aufmerksamkeit. Mit irrem Blick und halb sabbernd lässt er das Mikro auf Monitore, Wände und seinen Schädel einkrachen; praktiziert einen Speichelfetisch erster Güte und bietet eine verstörende Performance, die den Joker im Vergleich wie einen lustigen Kindergeburtstags-Clown erscheinen lässt. Mal taucht er dabei in der hintersten Ecke des Raumes auf, mal mitten zwischen den Zuschauern; immer begleitet von ängstlichen Blicken und Befürchtungen, er könne sie ebenso verspeisen wie zeitweise sein Mikrofon. Das dazu unermüdlich wütende Noise-Gewitter macht die Beklemmung physisch spürbar, während Lyrics von Angst und Depression Mantra-artig durch den Raum schallen.
Erstes Opfer dieser beginnen Apokalypse wird die Snare von Drummer Jon Syverson, die anschließend ausgetauscht werden muss. Ein kurzer, fremdartig wirkender Moment der Stille, der sogleich vom Daughters-Frontman mit einem Vortrag über seine Verdauung überbrückt wird, ehe die Maschinerie wieder anrollt. Je weiter der Abend voranschreitet, desto bizarrer werden die Szenen. Mit jedem Song schaukelt die Menge ruckartiger vor und zurück, mit jedem Wort sinkt sie tiefer in den Wahn des Irren auf der Bühne. Das Hafenklang wird zum Schauplatz eines skurrilen Kults und Alexis Marshall zu ihrem dunklen Zeremonienmeister. Die allgemeine Hysterie erreicht ihren vorläufigen Höhepunkt im verzweifelten Geschrei von „Guest House“ – dem Track, der bereits das Album so fulminant abschloss. Im Live-Set folgt nun aber noch „Ocean Song“ und mithin eine monströse Soundwelle, die jeden Gedanken an einen versöhnlichen Abschluss niederreißt.
Das letzte und wohl einprägsamste Bild des Abends: Ein halbnackter Alexis Marshall, dem das Blut einer aufgebrochenen Narbe über die Stirn läuft, während er sich mit seinem Gürtel auspeitscht und die verbliebenen, kryptischen Zeilen von „Ocean Song“ rezitiert. Dann verschwindet er durch die Seitentür, der stetige Fuzz-Ton bricht ab, die Lichter gehen an und ein verstörtes Publikum blinzelt zu den Klängen eines abrupt einsetzenden Pop-Songs Richtung Bühne. Das Ende eines mentalen Zusammenbruchs, getarnt als Konzert.