Wahnsinn, wie schnell das wieder ging. War nicht neulich noch September 2022, als ich die Tickets für diesen Abend gekauft habe? Die Bestellung ging damals am Tag nach der Comeback-Show von Destination Anywhere am Pell Mell-Festival raus. Acht Monate ist das her. Und jetzt sitze ich im Zug, juckel durch die Siegerländer Gegend, aus einer "Back From The Dead"-Show wurden drei und ich hoffe sehr, dass die Besucher:innen des Vortex der letzten beiden Abende von der Band etwas übrig gelassen haben. Dank kurzem und sonnigem Fußweg vom Bahnhof erreiche ich das Vortex ziemlich genau zum Einlass um 19:00 Uhr, schaue kurz am Merchandise und an der Bar vorbei und stelle mich dann wieder vor die Tür, um den ganzen vor Vorfreude strotzenden Menschen beim Ankommen in Siegen-Weidenau zuzuschauen. Ich lerne spontan neue Leute kennen, mit denen im Verlauf des Abends noch Verabredungen für kommende Konzerte im Vortex getroffen werden und wieder einmal kommt mir der Gedanke, dass ich viel zu lange nicht hier war.
True Shit eröffnen den Abend zu dritt auf der Bühne und spielen eine Art Akustik-Punk mit Cajon und den passenden Texten. Ich höre Zeilen wie "Beer is my life" und die Kater-Hymne "Hangover" heraus und kann der Band wirklich etwas abgewinnen. Es ist zugegebenermaßen schade, dass der Konzertraum des Vortex aufgrund der sommerlichen Verhältnisse draußen noch recht spärlich besucht ist. Die Geschäfte der Bar werden gerade dafür umso besser laufen. Diejenigen, die aber die vernünftige Entscheidung getroffen haben, ihr Ohr True Shit zu leihen, lassen sich bereits zum lockeren Tanz verleiten und genießen das Aufwärmprogramm für den Saunagang, der noch folgen soll.
Kurzweilige Umbaupausen sind doch die besten. Ich verlasse das Vortex in dieser Zeit nicht, lasse mir aufgrund der mit jedem hereinkommenden Menschen steigenden Temperatur ein Kaltgetränk mitbringen und verfolge das Geschehen und das vom neuen Album bekannte Intro noch von recht weit hinten, ein Zustand, der heute immerhin eineinhalb Songs anhält. Destination Anywhere eröffnen wie erwartet mit "Erkennst du mich denn wieder?" und ich lasse mich nicht nur anstecken, sondern auch fallen. Es geht einmal durch die bereits durchdrehende Traube Menschen vor mir, bis ich mich vor der Bühne im stetigen Schweißkontakt wiederfinde. Die Band hat vor dem Konzert dafür sensibilisiert, die T-Shirts bitte anzulassen und rücksichtsvoll miteinander umzugehen. Es gibt nicht einen Moment für mich, in dem ich mich nicht absolut wohl fühle (das war in der Vergangenheit so nah vor der Bühne bei anderen Konzerten auch schon deutlich anders). Die Band schießt unter anderem "Komm, hör doch auf" hinterher, ein Song, bei dem es standesgemäß rund gehen darf. Doch während in der Mitte das Pit tobt, kann man auch in den ersten Reihen links und rechts außen entspannt die Show auf der Bühne genießen. Ich wähle heute den gesunden Mittelweg aus beidem.
Das auffälligste an Destination Anywhere selbst ist heute Abend das Dauergrinsen in den Gesichtern aller Bandmitglieder. Sei es nach "Loser-Hymne (Halb so gut wie du)", nach "Bassdrum" oder auch nach "Das ist kein TikTok": Die neuen Songs funktionieren live, kommen dabei gut an und machen den Jungs sichtlich großen Spaß. Wie man es von Shows der Band im Vortex gewohnt ist, bringen die Gäste der Band jede Menge Liebe und Applaus entgegen. Nahezu jeder Songtext wird in meinem Umfeld regelrecht mitgebrüllt. Pause macht dabei nur, wer kurz tief Luft oder ein Getränk holen muss, denn gegen ein volles und so frenetisch feierndes Vortex kommt auch die während der Pandemie erneuerte Lüftungsanlage nicht ansatzweise an. Destination Anywhere sind nach so vielen Jahren in der Lage, eine Setlist ohne Verschnaufpause oder vermeintlich schwächere Songs auf die Beine zu stellen und liefern einen Querschnitt durch alle Schaffensphasen der Band. Kaum ist ein Hit wie "Warten auf Godot" oder "Astronaut" beendet, eine Ansage zum Beispiel über Lüftungsanlagen oder die in Person von zwei Kindern anwesende Zukunft der Punkmusik gesprochen, da reißen die Bläser schon wieder ihre Instrumente in die Luft und im Vortex bricht die nächste gemeinsame Hochleistungssportübung los. Wenn die beiden Kinder dann auch noch so viel Spaß am Crowdsurfen haben, dass sie direkt drei Runden durch den Laden drehen wollen, setzt das der körperlichen Anstrengung nochmal zu.
Und dennoch: Gemeckert wird nicht. Viel zu groß ist der Spaß am Feiern, Tanzen und Mitsingen. Es gibt heute Abend wie gesagt keinen Song der Band, den nicht alle Anwesenden bejubeln, als wäre es die letzte von drei "Back From The Dead"-Shows einer Band, die man vor allem im heimischen Vortex schmerzlichst vermisst hat. Es bleibt daher nur jedem ans Herz zu legen, den anstehenden Festivalsommer und die Tour im Herbst zu nutzen, um mit Destination Anywhere alte und neue Tracks gleichermaßen zu feiern. Das breite Lächeln, das Band und Gäste heute den gesamten Abend über getragen haben ist ansteckend, auch wenn man Destination Anywhere noch nicht live gesehen hat oder die Musik der Band noch nicht so in- und auswendig kennt wie die (Stamm-)Gäste in Siegen. Versprochen!