Fjørt stehen bei meinen Redaktionskollegen hoch im Kurs. Ich habe bisher aber nicht mehr von ihnen gehört als ihren Namen. Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte. Als ich die aktuelle Tournee Südwärts auf dem Smartphonebildschirm hatte, fiel mir mit Marburg eine der beiden magischen Städte, wenn es für mich um Konzerte geht, ins Auge. Die andere der beiden Städte ist Siegen. Das liegt an kurzen Anreisewegen, die bequem mit dem Auto zu erledigen sind und oft bekannten Leuten auf den „kleinen“ Shows, die mein Hobby teilen. Ich hörte also endlich mal rein und fand schnell Gefallen am Sound der Band. „Couleur“, das aktuelle Werk der Aachener, hat sich in den wenigen Tagen vor dem Konzert bereits einige (sehr viele!) Male auf meinem Plattenteller gedreht und diente mir als sporadische Vorbereitung auf den Samstagabend in Marburg.
Ich erreiche Marburg aufgrund der verschneiten Straßen exakt zur Showtime von The Tidal Sleep. Nur leider trennt mich zu dem Zeitpunkt noch ein Fußmarsch von einigen Minuten vom KFZ. Als ich dort ankomme und mich durch den gut gefüllten Vorraum in den Saal dränge, kann ich nicht sagen, wie viele Songs ich bereits verpasst habe. Was mich aber erstmal beschäftigt und fasziniert sind die vielen Menschen, die bereits im Raum sind. Fjørt werden später von circa 400 Gästen sprechen. Ich spüre den vorherigen Tag in Düsseldorf mit einigen Fußwegen und einem bewegungsintensiven Sondaschule-Konzert in meinen Beinen und Füßen und biege daher erst einmal nach rechts ab, weg von der Bühne, wo ein bisschen Platz ist und beobachte das Treiben hinter den Sound- und Lichttechnikern in angenehmer Nähe zur Getränkeausgabe. Aufgrund der überschaubaren Größe des KFZ ist das aber zum Glück immer noch nah dran am Geschehen auf der Bühne.
The Tidal Sleep begleiten Fjørt auf fünf ihrer Shows und wissen heute Abend nicht nur mich zu unterhalten. Die Band muss zwar auf einen ihrer Gitarristen verzichten und mit Ersatz aufspielen, macht aber dennoch den Saal bereits als Vorband gefühlt randvoll. Nur, dass da noch eine ganze Menge Leute im Vorraum stehen, sich ihr Bier schmecken lassen und schnacken. Der Abend verspricht gemütlich und vor allem heiß zu werden, die Stimmung ist sowohl im Saal als auch vor den Toren so ausgelassen, wie es sich für einen Samstagabend in einer Studentenstadt gehört. Die Band präsentiert energiegeladenen Post-Hardcore, verausgabt sich dabei vollends und weiß den vom Publikum entgegengebrachten Applaus durchaus zu schätzen. Dennoch habe ich das Gefühl, dass die Crowd gehemmt ist und es nicht abwarten kann, Fjørt heute Abend auf der Bühne zu sehen. Viel Bewegung kommt jedenfalls im Publikum nicht auf. Zudem geht es mir so, dass die beiden in Kostüme gesteckten Kinder auf dem Fjørt-Banner, welches bereits hinter der Vorband hängt, meinen Blick magisch anziehen und wahre Vorfreude auf den Hauptact in mir erzeugen. The Tidal Sleep bekommen etwa eine Dreiviertelstunde Stagetime (laut Plan, den Anfang habe ich ja bekanntlich verpasst) und räumen anschließend das Feld.
Fjørt brauchen circa 25 Minuten, um die Bühne herzurrichten. Es werden unter anderem sich drehende Lampenkonstruktionen aufgebaut, welche bereits während des Intros anschaulich zum Einsatz kommen, bevor die Jungs mit „In Balance“ loslegen. Was ab jetzt passiert, kommt mir vor wie in einer anderen Welt. Eine Welt, die von Strobos beherrscht ist, zwischen denen immer wieder die drei Lichtgestalten auf der Bühne vor meinen Augen auftauchen, um in der nächsten Millisekunde wieder im Lichtgewitter zu verschwinden. Meiner Meinung nach zeichnen sich Fjørt vor allem durch ihre Texte aus und auch die Besucher scheinen nur so an den Lippen der Band zu hängen. Ich kenne wie gesagt bis heute Abend nur die Titel auf „Couleur“, diese beherrschen aber die Setlist. Ich kann den Songs somit ganz gut folgen.
Chris und David wechseln sich im Gesang ab und wirken während ihren Parts vollkommen in sich gekehrt, während der jeweils andere meistens wie vom Blitz getroffen über die Bühne rennt und springt, dabei offensiv den (Körper-)Kontakt zum Publikum sucht. Leider erwischt es David in einer dieser Einlagen, sodass er auf der Bühne kurz das Gleichgewicht verliert und einen Sturz nicht verhindern kann. Dabei verletzt er sich mit seinem In-ear im Ohr (wo sonst?), ist aber zum Glück heute Abend der einzige im Raum, der unter Ohrenbluten leidet. David überspielt die Situation mit einigen lockeren Sprüchen und macht danach ungehemmt weiter.
Das Thema Dankbarkeit steht heute hoch im Kurs. Auch Fjørt sind sich darüber im Klaren, dass es eine Ehre und keine Selbstverständlichkeit ist, so viele Menschen auf dem eigenen Konzert vor der Bühne zu haben. Die Jungs nutzen sehr oft ihre Chance, das zu würdigen. Dennoch ist es ihnen ebenfalls wichtig, ein paar deutliche Worte an die Besucher zu richten. An der passenden Stelle, vor dem Stück „Paroli“, lassen sie ihrem Unmut über Rassismus und rechtes Gedankengut freien Lauf, Marburg weiß das mit Applaus und inbrünstigem Mitsingen des folgenden Titels zu würdigen. Immer wieder kommt mir der Gedanke, wie unglaublich der Sound heute Abend im KFZ ist. Fjørt pusten mich beinahe an die Rückwand des Saals und fordern meine Augen durch die Optik der Show ziemlich heraus. Immer wieder werfe ich einen Blick auf den Lichttechniker direkt vor mir. Seine Performance erinnert mich an einen DJ, der im Sekundentakt Knöpfe drückt, Rädchen dreht und dabei genauso abliefert, wie Fjørt heute auf der Bühne.
Auch der heutige Abend geht, wie das bei den guten Konzerten immer so ist, viel zu schnell vorbei. Ich lausche beim Verlassen des KFZ noch einzelnen Gesprächen anderer Gäste, keiner hat heute Abend etwas Negatives für die Aachener übrig. Sollte es irgendwann einen weiteren Besuch der Band in Marburg geben, ich werde dabei sein.