Samstagabend in Düsseldorf. Der diesjährige Winter kommt seiner Rolle an diesem Tag ausnahmsweise nach und es ist, zumindest gefühlt, bitterkalt in der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens. Ich zittere mich mit dem Rest der Reihe aus wartenden Montreal-Fans vor dem Zakk in Düsseldorf-Flingern-Süd wie ein Pinguin watschelnd pünktlich zum Einlass in Richtung Club. Dass die Neuankömmlinge die halbe Fichtenstraße blockieren und Autos immer wieder hupen und anhalten müssen, interessiert hier niemanden. Das „Zentrum für Aktion, Kultur und Kommunikation“ entspricht einem in meinen Augen vorbildlichen Laden und verfügt neben dem Konzertraum mit zwei Bars und Empore über einen heute stark frequentierten Kneipenbereich. Neben Pils gibt es standesgemäß gezapftes Altbier. Immer wieder schön in Düsseldorf.
Zeitlich genau nach Plan eröffnen Cryssis um 20:00 Uhr den Abend. Das Zakk ist bereits randvoll und das Publikum nimmt das Angebot zum langsam warm werden gerne an. Ich verfolge das Geschehen etwas seitlich der Bühne aus der ersten Reihe und spüre schnell, wie viel Spaß an der Sache die Band um den Tote Hosen-Drummer Vom Ritchie beim Spielen ihrer eingängigen Punkrockmelodien hat. Ich beobachte einige Leute in den ersten Reihen beim Mitsingen der Texte und wundere mich zugleich, warum ich von Cryssis vorher wirklich absolut gar nichts gehört habe. Vorbands bekommen oft zu spüren, dass die Leute eigentlich wegen jemand anderem da sind und lieber noch ein Bier holen gehen, während die Musik zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus dudelt. Cryssis hingegen werden von den Leuten an- und in Düsseldorf wärmstens aufgenommen. Direkt vor meinen Augen leistet Thomas Schneider schweißtreibende und bewegungsintensive Arbeit am Bass und fängt so immer wieder meinen Blick ein. Das sieht aber auch verdammt cool aus, wenn die am Metall des Basses reflektierten Bühnenlichter wie Laser durch den Nebel huschen. Dick York gibt dem Sound der Gruppe mit seinem englischen Akzent genau die richtige Note. Nicht nur ich bin positiv überrascht und die Zahl der Cryssis-Liebhaber dürfte sich heute Abend zweifelsfrei vergrößert haben.
In der Umbaupause beobachte ich ein Mitglied der Crew dabei, wie es für Montreal Wodka-Energy mixt und die Getränke vorbildlich auf der Bühne verteilt. Montreal stellen sofort klar, dass sie eigentlich nur zum gemeinsamen Trinken und Quatsch erzählen da sind. Da es aber unbedingt sein muss, eröffnen sie mit "Dreieck und Auge" ihre Show und bringen Düsseldorf damit von der ersten Sekunde an zum Eskalieren. Da die Setlist bandtypisch aus massenhaft mitsingbaren Gute-Laune-Songs besteht, wird diese Euphorie im Publikum auch heute nicht wieder abreißen. Genau wie am Pell Mell-Festival im letzten Jahr bringen die Drei nicht nur mich mit kleinen Spitzen gegenüber anderen Bands (heute trifft das Die Toten Hosen) und unfassbar viel Dummschwätz zwischen den Songs zum Lachen. Die Mischung aus Musik und Stand-Up-Comedy trägt bei Montreal nach wie vor Früchte. Es hätte eigentlich das 800. Montrealkonzert in der Geschichte der Truppe sein sollen. Aufgrund diverser Absagen und Verschiebungen reicht es heute leider erst für Nummer 798. Ob die Geschichte der Band stimmt? Ich habe keine Ahnung. Auch die Unwissenheit über die Plausibilität der Erzählungen gehört bei Montreal irgendwie dazu.
In der Setlist folgt auf das viel gefeierte "Katharine, Katharine"-Cover die Hymne vom hässlichen Pullover. "Pullover" könnte laut Bassist Hirsch auch glatt von Sondaschule sein. Aprospos: Ebenfalls laut Hirsch sind heute Mitglieder von Sondaschule, den Rogers und Massendefekt am Start. Grüße von der Bühne gehen selbstverständlich raus. Diese These wird heute zumindest teilweise plausibilisiert: Costa von Sondaschule wird unter tosendem Applaus auf die Bühne gebeten. Zusammen mit ihm performen Montreal "Ich stinke und schnarche", im Original von Sondaschule. Auch darf der Running Gag zu "120 Sekunden" nicht fehlen: Es werden zwei Personen aus dem Publikum auf die Bühne gebeten, die Digitaluhr zu halten, mit der Montreal die Länge des Liedes jedes Mal aufs Neue beweisen. Während die Frau aus der ersten Reihe den Gang auf die Bühne elegant geregelt bekommt, meistert ihr männliches Pendant den Aufstieg weniger kontrolliert und fällt dem Alkohol geschuldet mehr die Stufen hinaus, als dass er geht. Genauso wenig gelingt ihm zum Schluss das Halten der Uhr. Den Sturz auf die Bühne übersteht sie zur Freude der Band ohne Schaden.
Nach mehr als einer Hand voll Zugaben, in denen bei "Hardcore" auch Tote-Hosen-Drummer Vom Ritchie nochmal zum Einsatz kommt, beenden Montreal "eins der besten Konzerte dieser Tour". Unter dem Strich war der heutige Abend eine Reise durch alle Alben der Band, gepaart mit einer deftigen Portion Humor in den mehr oder weniger sinnvollen Ansagen. Als bester Gag bleibt mir die Betitelung der gegebenenfalls nicht vorhandenen Bar im Zakk in Erinnerung: Fata-Morgan-Bar.