Samstagabend in Münster. Es ist mein erster Besuch im Skaters Palace und ich habe im Vorhinein vermehrt gelesen, wie suboptimal die Parksituation rund um die Location sein soll. Ich komme circa zwei Stunden vor Einlass in der Stadt an, heute dann ohne Weihnachtsmärkte und Stadt bummeln (wie beim Grand Münster Slam im letzten Jahr), dafür mit mächtig Glück ,was das Parken angeht: 250 Meter zur Location, 700 Meter zum vorher zu besuchenden und viel zu lange nicht gesehenen Freund. Läuft! Also ich. Beide Strecken.
Der Skaters Palace an sich kommt bei mir schon nach dem ersten Schritt hinein richtig gut an. Das liegt zum einen an den Menschen, die ihn heute besuchen und zwischen denen ich mich immer wieder wohlfühle und zum anderen an seinem Aufbau. Eine lange Theke mit ausreichend Personal, eine zweite Zapfstelle im Konzertraum und das alles im Flair eines alten Industriegebäudes. Im Konzertraum selbst stehen Pfeiler, wie man sie aus dem Kölner Palladium kennt. Das sorgt für tote Winkel im Hinblick auf die Sicht zur Bühne und dadurch für Korridore, durch die man unkompliziert vom Ort des Geschehens hinaus und wieder hineingelangen kann. Hier werden später die Rogers einen randvollen Skaters Palace begeistern. Auf die beiden Vorbands RAUM27 und Rustikarl bin ich heute null vorbereitet. Es ist also mal wieder Zeit dafür etwas Neues kennenzulernen.
Rustikarl stellen sich als Punkrockband aus Brilon im Sauerland vor ("wir kommen aus einem verkackten Dorf" - im Vergleich zu Münster stimmt das wohl). Vor der Bühne fallen mir schnell unnormal viele wirklich textsichere Gäste auf, die sowohl zu "Und wenn es dich gibt" als hinterfragendes Stück zum Thema Gott als auch zu "Leber brennt" ("Das ist unser Saufsong!"), zu dem Rustikarl Alkohol in Dosen im Publikum verteilen, komplett ausrasten. Ich habe mich auf dem Fußweg zum Eingang der Location über den geparkten Linienbus mit HSK-Kennzeichen vor der Tür gewundert, jetzt fällt der Groschen. Man merkt Rustikarl an, dass hier fünf Freunde mit einem gemeinsamen Hobby auf der Bühne stehen und keine professionellen Vollzeitmusiker. Sänger Christian wird nicht müde zu betonen wie besonders eine Einladung nach Münster, dazu von den Rogers, für die Band ist. Der Funke springt trotzdem über und während die Mitgereisten lautstark "Mein Freund ist Sauerländer" feiern frage ich mich, wie viele Münsteraner Gäste damit etwas anfangen können. Mir als zumindest dem Sauerland nahe Angesiedelter geht es da anders und schon jetzt steht fest, dass Rustikarl nicht weiter unter meinem Radar bleiben werden.
RAUM27 als zweiter Support kündigen sich selbst als härteste Popband Deutschlands an und fallen schon vor der Show vor allem durch das Bühnenbild auf, unter anderem schmücken Blumen das Schlagzeug. Auch der Auftritt der laut ihrem Internetauftritt "zwischen Bremen, Nordseeküste und Dorf" beheimateten Musiker ist für mich ein Novum und zum Beginn der Show bin ich noch im festen Glauben, von dieser Band noch nie etwas gehört zu haben. Dass sich ein Song der Band seit Ewigkeiten in meiner Lieblingssongs-Playlist befindet, wird sich erst deutlich später herausstellen. Heute fühle mich besonders dabei ertappt in oberflächliche Gedanken abzudriften. Während sich auch hier herauskristallisiert, dass eigens für RAUM27 Leute nach Münster gereist sind, will ich nicht verheimlichen, dass mir die Musik der Band gefällt. Dennoch fühle ich mich schnell an AnnenMayKantereit oder Kraftklub erinnert, beides übrigens gar nicht meine Bands, und bekomme mit dem Titel "Traurig aber ist so" die Retourkutsche der Band. RAUM27 nehmen die musikalische Nähe zu den genannten Künstlern selbst auf die Schippe und führen vor Augen, dass nicht jeder auf deutsch grölende Sänger Henning May heißt und die Band die Musik auch nicht in allen Belangen neu erfinden kann, auch wenn viele Leute das immer wieder zu erwarten scheinen. Wirft man die eigene Oberflächlichkeit über Bord, kann man mit RAUM27 verdammt viel Spaß haben. Auch die Band ist sich nicht zu schade dafür, den Körperkontakt mit dem Publikum zu suchen und den Wunsch zu äußern, möglichst viele Leute davon auf der eigenen Tour 2023 wiederzusehen. Als letzte Nummer gibt es dann den mir doch bereits bekannten Titel "Oft gesagt". Meine Gedanken dazu: (KLICK!) "Ach! Die sind das?!" Mein Abend hat sich also eigentlich vor den Rogers schon richtig gelohnt.
Nachdem die Bühne für den Auftritt der Rogers hergerichtet wurde, schickt der DJ das Publikum mit J-Kwons "Tipsy" in massiver Lautstärke und der daran anschließenden "Bro Hymn" von Pennywise mitten hinein in die Show, für die die allermeisten heute Abend hier sind. Die Rogers eröffnen erwartungsgemäß mit "Rambazamba & Randale" und hauen mit "Die Nachbarn von oben" direkt einen Klassiker hinterher raus. Münster ist bei fast allem, was die Band ihnen entgegen schmettert, textsicher am Start. Ausnahmen davon stellen die Songs dar, die es heute vom neuen Album zu hören gibt. Davon gibt es heute bereits drei Titel, bei denen das Publikum temporär gespannt zuhört: "Robben", "Mein Leben gegen die Wand" und "Gute alte Zeit". Letzterer hätte laut Band ein paar Jahre vorher veröffentlicht sicher seinen Weg auf den "Tony Hawks Pro Skater 2"-Sampler gefunden. Ich selbst freue mich nach den erhaltenen Eindrücken nochmal deutlich mehr aus das neue Album "Rambazamba & Randale", welches am 14. April endlich das Licht der Welt erblicken wird. Man merkt den Rogers auf jeden Fall an, dass sie es genießen wieder auf der Bühne stehen zu dürfen. So gibt es zwischen all den Titeln, die man sich als Fan auf einem Konzert der Düsseldorfer wünscht, auch immer wieder Zeit zum Plausch. So bekommt zum Beispiel die Fahrradstadt Münster heute als Ansage zu "Geh mir nicht mehr auf die Eier" Chris vollste Verachtung für E-Scooter und dessen Fahrer*Innen zu hören.
Dass die weiteren bereits veröffentlichten Songs der neuen Platte ("Arbeiten" und "Komm wir sterben aus") live gespielt gut funktionieren, stellen Band und Publikum gleichermaßen unter Beweis. Die restlichen Tracks überraschen all diejenigen, die heute Abend nicht zum ersten Mal auf einem Konzert der Band sind, nicht wirklich. Doch es sind genau die Nummern wie "Mittelfinger für immer" und "Anders als ihr", die vollkommen zu Recht auf der Setlist stehen und Garanten für eskalative Situationen sind. Auch das obligatorische Cover von "Kreuzberger Nächte" lässt die Besucher*Innen in großer Anzahl die gefüllten Becher in die Luft recken. Ich achte heute etwas mehr auf die Kleinigkeiten und beobachte unter anderem, wie die Mitglieder der Vorbands am Bühnenrand auf verschiedene Songs der Rogers reagieren oder wie Bandmitglieder von der Bühne zum heimlichen Zug an der Zigarette zwischendurch den gleichen Bühnenrand aufsuchen. Größtenteils kleben aber auch meine Augen meistens an den Vieren auf der Bühne, die schweißnass ihre Lieder spielen.
Ansonsten ist das heute endlich mal wieder ein Konzert, an dem es zumindest auf die Künstler bezogen nicht viel auszusetzen gibt. Dass Konzerte keine Kindergeburtstage sind und vor allem der angebotene Gerstensaft die Hemmungen sinken lässt, ist mir völlig klar. Dennoch gibt es auch heute Abend wieder Spezialisten, die auf ihrem Rückweg von der Bar vor die Bühne auch den eher abseits positionierten Gästen wie mir ungebremst in den Rücken springen. Unvorbereitet immer nicht ganz so toll.
Habe ich mich im vergangenen Jahr in Siegen noch darüber gefreut, dass die Rogers ohne Zugabe und "Das ist unser letzter Song!"-Ansage (bei der man dann weiß, dass es eigentlich der Viertletzte ist) auskommen, geschieht heute wieder genau das Gegenteil. Ich weiß, das ist ganz normal so und die wenigsten Bands verabschieden sich mit Ansage und ohne Zugabe. Ich freue mich trotzdem immer wieder, wenn es auch mal ohne offensichtlich nicht endgültiges Verlassen der Bühne abläuft. Von diesem winzigen und wirklich meinem persönlichen Geschmack geschuldeten Manko abgesehen steht unter dem Strich aber ein wirklich runder Abend im Münsteraner Skaters Palace.