Coldplay und die Welttournee - Wenn eine Idee fliegen lernt
01.02.2020 | Moritz Zelkowicz
Wahrhafte Haltung kennt man eher von den kleineren Bands, und das auch in kleinerem Rahmen. Fair getradetes und veganes Merch, Konzerte gegen Rechts oder Benefizkonzerte für soziale- oder Umweltprojekte sind Markenzeichen, mit denen die Underground-Szene ihre Wichtigkeit unter Beweis stellt. Je weiter man allerdings in den Charts nach oben schaut, desto weniger sieht man davon. Doch Coldplay haben bewiesen dass es auch anders geht. Mit dem neuen Album „Everyday Life“ kommt der Logik nach auch eine neue Tour. Bei der Größe der Band geht diese um die ganze Welt. Aber dann: Absage. Man will mehrere Jahre warten, um eine Welttournee möglichst klimaneutral und nachhaltig zu gestalten. Besonders das Fliegen sei ein großes Problem und Coldplay treffen damit den Nagel auf den Kopf.
Aber wie wird man den Anforderungen der Fans gerecht, die nicht zu Unrecht auf die überragende Live-Performance der Briten warten? Trotz der Aktualität des Klimaschutzes zeigten viele Coldplay-Fans wenig Verständnis und rollten eher mit den Augen. In der Punk- und Hardcore-Szene hierzulande besteht ein gewisses Feingefühl für soziokulturelle Problematiken. Doch bei vielen Coldplay Besuchern, die größtenteils auch nur „The Scientist“, „Fix You“ und schlussendlich natürlich „Viva La Vida“ hören wollen, wollen sich in ihrer Musik nicht damit auseinandersetzen. Die haben mit „Tage wie diese“ von den Toten Hosen schon den Zenit ihres musikalischen Politikums erreicht.
Und trotz dieser hervorragenden Ansage von Frontmann Chris Martin entwickelt sich die Aktion immer weiter zur ganz großen Farce. Denn zum Album-Release erschien ein Live-Stream, nicht in Großbritannien, nicht mal auf dem europäischen Kontinent. Nein, man entschied sich, diesen Song klimafreundlich aus Jordanien in die Welt zu streamen. Und auch wenn die Kulisse absolut hinreißend ist, so kann sich der interessierte Betrachter nur an den Kopf fassen und selbigen schütteln. Denn auch wenn keine weiteren großen Konzerte gespielt wurden, so gab man doch noch eins, wieder nicht in Großbritannien, diesmal ging es nach Los Angeles in die Vereinigten Staaten.
Und natürlich ist der erhobene Zeigefinger eigentlich schwachsinnig in dieser Geschichte. Aber man kann sich doch die Frage stellen, welches Signal es abgibt, wenn man die einzigen Auftritte nur mit dem Flugzeug erreicht, obwohl es ja das Ziel war, genau das nicht zu tun. Denn natürlich machten sich die eingefleischten Fans aus der ganzen Welt auf den Weg nach Los Angeles, um einen Blick auf ihre Helden zu werfen. Fanatismus schlägt gute Vorsätze. Auch von der Ostküste der USA stiegen einige in die Flieger nach LA. Es ist so absurd, man muss lachen, bevor die Tränen der Trauer die Wangen herunter laufen. Statt Coldplay zu den Fans fliegen die Fans nun der Band hinterher.
Aber es gibt auch böse Stimmen, die der Band lediglich das Surfen auf der Klimawelle nachsagen. Dafür spricht beispielsweise, dass „Everyday Life“ bereits das zweite Album in Folge ist, welches weder in Deutschland noch in den USA auf Eins chartete. So soll es Coldplay lediglich um die Aufmerksamkeit gegangen sein. Allerdings ist das schon auf den zweiten Blick absoluter Schwachsinn - schließlich war die Band trotzdem immer mindestens in den Top 10. So gesehen haben Coldplay einfach das Pech „zu berühmt“ zu sein. Fans aus aller Welt reisen in alle Welt, um die Band anzusehen.
Die Zeiten haben sich einfach geändert. Die Zeiten, in denen blink-182 mit ihrem individualisierten Jet oder Iron Maiden mit der Ed Force One regelrechte Könige waren, sind vorbei. Diese Art von Statussymbol ist einfach nicht mehr en vogue. Vielleicht wird der Verzicht auf Touren ein neues. Aber so löblich und wundervoll das aus klimatechnischer Sicht ist, so wird letztendlich fast jeder Fan hoffen, dass seine Lieblingsband einen anderen Weg findet. Doch da ist auch schon das große Problem, der Grund warum Coldplay überhaupt erst in dieser Situation sind. Wenn man eben international so gefragt ist und Konzerte über den Globus verteilt geben möchte, kommt man um das Fliegen nicht herum. Außer es findet sich eine andere, klimafreundliche Alternative. Hat zufällig jemand eine?
Moritz Zelkowicz
Moritz deckt als Franke den Süden Deutschlands ab. Er versucht beständig Teil der Lügenpresse zu sein, ist aber ansonsten im Marketing tätig. Musikalisch ist er überall dabei, ob Punk, Core oder Rap, erlaubt ist, was gefällt.