DIY-Musikvideos - eine Produktion im kleinen Stil
05.05.2020 | Paula Thode
Musikvideos bringen dem Hörer Visuals in Form einer Geschichte, eines Lyric-Videos oder mit einstudierten Choreographien. Durch Musikvideos werden Ton und Bild meist durch den Künstler selbst oder Schauspieler vereint und können den dazu herausgebrachten Song durch die visuelle Erzählung der Geschichte erweitern, oder ihn durch eine völlig andere Herangehensweise als der Track brechen.
Als eine Art Gegenrudern zum High-Quality-Musikvideo-Trend entscheiden sich mittlerweile immer mehr Künstler dazu, die Produktion wieder in die eigene Hand zu nehmen und sich alleine mit einer Kamera aufzumachen, um ein Video zu drehen. Egal ob man nun seinen Ruf als Untergrund-Rapper wiederherstellen möchte, oder einfach einen Retro-Vibe durch mehrere verwackelte Handy-Aufnahmen kreieren möchte, ein sogenanntes „DIY Musikvideo“ kann auf mehreren Ebenen funktionieren.
Mit einem Instagram-Aufruf dreißig Fans als Kameraleute umzufunktionieren klingt erstmal nach einer eher schwer umzusetzenden Idee. Juse Ju hat allerdings genau das gemacht. Zwischen Stopmotion-Shots eines Kickflips und dem Laufen durch die Straßen Kirchheims schließt der Künstler damit den Kreis zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Damit bekommt der Song „Becoming Juse Ju“, für den dieses Video produziert wurde, eine weitaus tiefere Bedeutung, als im Text schon vermittelt wurde.
Ein innovativer Weg, um einen größeren Austausch mit Fans zu haben und gleichzeitig dem Zuschauer einen kleinen Einblick in die Vergangenheit des Künstlers zu geben. Ein Video, welches nur aus zusammengeschnittenen Handy-Videos besteht, lässt die Mauer zwischen Fan und Musiker eher einreißen, als ein Video, das einen Rapper zeigt, der fünf Minuten mit einem Ferrari durch Berlin fährt.
Wenn man die Autofahrt jetzt durch einen nächtlichen Spaziergang mit Hang zur Zerstörungswut ersetzt und dazu die teuren Kameras durch „geliehene“ aus dem Elektrofachgeschäft eintauscht, hat man das nächste DIY Musikvideo: „Der Ruf ist ruiniert“ von der Antilopen Gang.
Die Antilopen Gang ist dafür bekannt, mit ihrem “Wir sind anti alles“ Lebensmotto durch die Charts zu gehen und mit jedem Thema eine breite Diskussionsrunde anzufechten. Im zuletzt erschienenen Antilopen-Gang-Album „Abbruch, Abbruch“ wird im Song „Der Ruf ist ruiniert“ die Veränderung der Band von der Anti-Alles-Aktion zum heutigen Bild der Gruppe thematisiert. Das Musikvideo zeigte dann aber im Bruch zum Song ein typisches Antilopen-Gang-Video aus früheren Zeiten. Wie man so ein Musikvideo für lau produzieren kann: Zwei Kameras kaufen, nachts damit durch die Straßen ziehen und dann am nächsten Morgen die Kameras wieder zurückgeben.
Die Antilopen Gang hat damit gezeigt, wie man trotz geregeltem Einkommen seinen Anti-Alles-Status durch zum Beispiel das Selbstdrehen von Videos beibehält. Während der Song „Der Ruf ist ruiniert“ mehr wie ein Trauern um die verlorene Jugend klingt, versucht die Band im Video noch einmal, mit „ausgeliehenen“ Kameras ihre Zerstörungslust auf den Straßen Berlins rauszulassen.
Mit einem komplett anderen Ansatz hat Fynn Kliemann sein Video zum Song „Zuhause“ gemacht. Eigentlich ist Fynn Kliemann mit seinem Langzeitprojekt, also dem Wiederaufbau eines alten Bauernhofs zum Kliemannsland, beschäftigt. Da dort auch alles do-it-yourself-mäßig abläuft, ist es kein Wunder, dass sein Musikvideo, sowie sein komplettes Album selbstgemacht, beziehungsweise mit etwas Hilfe von Freunden gemacht wurde.
Zuhause ist laut Fynn Kliemann kein Ort, sondern für ihn eine ganz besondere Person. Welche genau sagt er im Song nicht, aber der emotionale Wert dieses Songs ist so hoch, dass sich für das Video 43 Menschen von dem Sänger tätowieren lassen. Ein Lyric-Video, in welchem der Künstler selbst seinen eigenen Text auf Freunde und Familie tätowiert.
Das die Lyrics sozusagen für immer auf der Haut bleiben werden, bringt die Menschen im Video näher zusammen und verbindet sie durch die gemeinsamen Tattoos auf eine Weise, die den Zuschauer auch beeinflusst. Man fühlt, dass jedes einzelne, von einem Amateur-Tätowierer gestochene Tattoo, eine besondere Bedeutung für Fynn und den Tätowierten hat.
Zuhause mit Freunden - das passt in kein Filmstudio. Und da der Künstler sowieso seit Jahren Youtube-Videos zusammenschneidet, ist es kein Wunder, dass er seine Musikvideoproduktion nicht aus den Händen geben will.
Ein DIY-Projekt als Künstler zu starten, bedeutet eine starke emotionale Bindung zum Werk aufzubauen. Diese Verbundenheit spiegelt sich dann auch im Endprodukt wieder. So kann der Fan einen tieferen Einblick vom Künstler bekommen. Man kann die metaphorische Emotionsebene auch mit einer Nähe zu den eigenen Fans erweitern und das Projekt mit der eigenen Crowd gestalten.
Der DIY-Musikvideo-Trend ist also nicht nur besonders gut für Künstler mit wenig Geld oder für Künstler ohne Kontakte in der Videoproduktionsszene, sondern auch, um einem Song eine ganz besonders nahe Verbindung zum Künstler zu geben.
Paula Thode
Paula kommt eigentlich aus Cuxhaven, ist dann aber für ihr FSJ nach Hamburg gezogen. Dort hält sie es durch die Liebe zum Underground Hip Hop und aus Faszination zum autonomen Zentrum in der Schanze ganz gut aus. Ihre Liebe zur Musik hat sie durch die Antilopen Gang entdeckt und seitdem interessiert sie sich für alles, was nicht Mainstream-Deutschrap ist.