Raubkopien: Vom „Rock auf Knochen“ bis Napster
30.09.2020 | Steffen Schindler
Die Geschichte der Raubkopie beginnt mit der des Copyrights. Ende des 18. Jahrhundert wurden erste Gesetze verabschiedet, um den Urheber*innen die Möglichkeit zu geben, mit ihren Werken Geld zu verdienen. Ein ungenehmigter Nachdruck wurde verboten. Zunächst galten diese Gesetze nur für Texte, später wurde das Urheberrecht auch auf Noten und Bilder erweitert.
Als sich Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Geräte verbreiteten, die Töne aufzeichnen und vor allem wiedergeben konnten, wurde dieser Rechtsschutz bald auch auf Tonträger ausgeweitet. In den 1930er-Jahren hatten sich in den USA Musiklabels etabliert, die von der Aufnahme bis zum Vertrieb alle Schritte in der Produktion von Tonträgern übernahmen. Die Künstler*innen erhielten meist eine einmalige Zahlung, das Urheberrecht fiel an das Label, dass diesen Anspruch durch seine Marktstellung auch durchsetzen konnte. Parallel dazu entwickelten sich jedoch auch Bootleg-Labels, die in großem Stil das taten, was das Copyright eigentlich verhindern sollte: Illegalerweise wurden bereits veröffentlichte Platten nachgepresst (Raubkopien im engeren Sinne) oder unveröffentlichte Aufnahmen, wie Live-Mitschnitte und Demos, als „Bootlegs“ vermarktet.
In der Sowjetunion waren Raubkopien lange die einzige Möglichkeit, um an westliche Musik zu kommen. Eine Kuriosität stellen dabei die рёбра (Rippen) dar: In den 50ern und 60ern wurde Musik von Elvis oder den Beatles illegal auf alte Röntgenbilder gepresst.
Ab den 70ern fanden zwei entgegengesetzte Entwicklungen statt: Einerseits wurde durch die Audiokassette das Kopieren von Aufnahmen so einfach wie noch nie, gleichzeitig machte die Musikindustrie verstärkt dagegen Stimmung. Die britische Kampagne „Home Taping is Killing Music“ provozierte Reaktionen wie die der Punk-Band Dead Kennedys, die die B-Seite einer ihrer Kassetten unbespielt ließen und mit folgendem Hinweis versahen: „Home taping is killing record industry profits! We left this side blank so you can help.“
Trotz aller Bemühungen der Industrie blieb es in den 80ern und 90ern üblich, Musik aus dem Radio aufzunehmen oder für Freunde zu überspielen. Daran änderte auch die Einführung der CD nichts. Mit dem Aufstieg des Internets Ende der 90er-Jahre wurden File-Sharing-Dienste immer beliebter, auf denen die Nutzer kostenlos Mp3s zum Download bereitstellten. Der Musikindustrie gefiel das natürlich gar nicht und es wurde juristisch gegen diese Dienste vorgegangen. Vorreiter waren hier Metallica, die bei ihrer Klage gegen die Plattform Napster zwar im Recht waren, sich unter den Fans jedoch damit sehr unbeliebt machten.
Im Rückblick ist die Rolle von File-Sharing-Diensten ambivalent: Einerseits gelten sie als mitverantwortlich für eine „Gratis-Mentalität“ im Netz. Deren Leidtragende sind letztendlich die Künstler'innen und Kreative, deren Interessen ursprünglich durch Copyright-Gesetze geschützt werden sollten. Auf der anderen Seite macht der digitale Bereich heute mit Abstand den größten Anteil an den Umsätzen des Musikmarkts aus. Und dessen breite Akzeptanz ist auf vor allem auf den Erfolg der File-Sharing-Anbieter zurückzuführen. So ist laut Steve Jobs die Idee des iTunes-Store, einzelne Songs zum Kauf und Download anzubieten, von Napster inspiriert. Napster selbst ist mittlerweile zum Streamingservice geworden. Auf Youtube finden Liebhaber*innen jedes noch so obskure Bootleg. Das Internet hat Musik so zugänglich wie gemacht nie zuvor, aber sie auch dieses Mal nicht getötet.
Steffen Schindler
Steffen dankt Nirvana dafür, dass sie die Jugend auf dem Dorf erträglich gemacht haben. Seitdem ist er dem Klang der elektrischen Gitarre verfallen. Mittlerweile studiert er in Berlin Geschichte und Kulturwissenschaft.