Mein Lieblingssong: Stadion
09.03.2023 | Album der Woche Redaktion
Meinen Bezug zum Thema Fußball habe ich jetzt schon seit einigen Jahren mit der Kündigung meines Sky-Abos verloren, obwohl ich früher einmal doch ein sehr begeisterter Stadiongänger war. Insofern hatte in letzter Zeit wenig Musik die Gelegenheit, mein Feuer für große Sportevents zu entfachen - und generell haben Songs bei Fußballspielen mit mir eine etwas komplizierte Beziehung. Vor einigen Monaten eilte allerdings ein Engel in Form meines Redaktionskollegen Moritz zu Hilfe, um diese missliche Lücke zu füllen. Weil Moritz sich nämlich neben seinem Job als Umweltminister von Deutschland, der Moderation mehrerer Podcasts, dem Schreiben messerscharfer Analysen über die Vermählung der adligen Oberklasse und irgendsoeiner nebenberuflichen Ausbildung noch nicht vollständig ausgelastet fühlt, ist er seit kurzem auch noch Stadionsprecher bei dem Viertligisten Berliner AK 07. Durch diese Connection hatte ich die große Ehre, kürzlich selbst in dessen Kabine Platz nehmen zu dürfen. Der beste Moment dieses Top-5-in-a-Lifetime-Ereignisses war aber nicht das Spiel an sich (der Gegner wurde übrigens mit 4:0 vom Platz gefegt), sondern der Soundcheck vor Einlass, bei dem Moritz unseren traditionellen Karaoke-Song "If This Tour Doesn't Kill You, Then I Will" von Pup über die wummernde Stadionanlage (!) laufen ließ. Noch nie war dieses seit Menschengedenken praktizierte Duett-Ritual so wirkungsvoll inszeniert wie an diesem Tag. Nächstes Ziel: Den Song über alle Sirenenanlagen der Welt beim deutschlandweiten Probealarm laufen lassen.
Butter bei die Fische: Ich bin Fußballfan. Ich liebe den Sport (meistens) und verbringe regelmäßig Zeit in kleinen und großen Stadien sowie auf den Sportplätzen der Region (Faszination Kreisligafußball - unschlagbar!). Man beschallt mich also regelmäßig mit mehr oder weniger gut ausgewählten Musikstücken aus den deutschen Charts oder mit von wem auch immer ausgewählten "Klassikern", die sich auch hartnäckig im hiesigen Radioprogramm halten. Aber ganz ehrlich und in den Worten von Bela B.: "Es könnte mir nichts egaler sein." Ich höre weder hin, noch verspüre ich nach einer fast 200 Kilometer langen Autofahrt zum Heimspiel meines Clubs, geschweige denn auf deutlich längeren Touren zu Auswärtsspielen oder Partien anderer Vereine, auf denen ich BEWUSST auf das Radio verzichte, große Lust auf Katy Perry oder Nickelback. Das geht dann meistens zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus, wenn überhaupt. Ganz anders sieht das bei Musik aus, die einen Verein oder die Leidenschaft drumherum behandelt. So lernte ich bereits im Kindesalter auf der Rückbank des Familien-PKW, damals noch von Kassette abgespielt Texte, die mich heute noch begleiten. Sei es auf den Fahrten in den Ruhrpott oder im Stadion, ich freue mich riesig wenn eine dieser Nummern läuft und bin mir dann auch keineswegs zu Schade, um lautstark mitzusingen. Eine dieser Nummern ist "Blau und weiß" vom leider viel zu früh verstorbenen IBO. Eine klassische Liebeserklärung an einen Fußballverein, die wohl auch nur nicht zu Kopfschütteln führt, wenn sie den eigenen Club behandelt. Das liegt weniger am Titel als viel mehr an den damit verbundenen Erinnerungen. Wie oft saß ich Vormittags in der Schule und summte "Heute Abend brennt die Sehnsucht, heute Abend hinter dem Zaun. Alle Freunde sind dabei um die Lady anzuschauen" vor mich hin, weil ich genau wusste dass mich einige Stunden später der besungene Zaun (mittlerweile öfter ein Fangnetz) vom grünen Rasen und dem unter Flutlicht spielenden FC Schalke 04 trennen würde. Und scheint die Hoffnung auf bessere Zeiten, wie aktuell, noch so klein zu sein: "Hundertmal schon totgesagt, doch dann stehst du wieder auf!" Glaubt es oder lasst es - ich hab Gänsehaut.
Man braucht nicht viel, um einen stadiontauglichen Mitsing-Hit zu schaffen. Zu viel ist wahrscheinlich sogar hinderlich: Ein zu viel an Tönen, Instrumenten, Text lässt die Stimmung auf den Rängen eher abkühlen anstatt sie anzuheizen. Das Riff zu „Seven Nation Army“ lässt sich auch ohne große musikalische Kenntnisse grölen, die wenigen Strophen von „You’ll Never Walk Alone“ kann man schnell auswendig.
Auf die Spitze getrieben wird dieses Konzept durch die „Bro Hymn“ von Pennywise mit einem der einprägsamsten, aber in jedem Fall simpelsten Refrains, den ein Song haben kann: „Oooooh oh oh oh, Oooh ooh oh oh oh“. Wohl vor allem deshalb hat sich dieser Track bei verschiedenen Mannschaften unterschiedlichster Sportarten als Torhymne etabliert. Darunter auch dem VfB Stuttgart, von dem mein Onkel begeisterter Anhänger ist. Ob ich diesen Chorus als junger und beeinflussbarer Mensch beim gemeinsamen Schauen einer Fußballübertragung wahrgenommen habe und er sich wie ein Bandohrwurm in meinen Gehörgängen eingenistet hat, darauf wartend, 10 Jahre später mit weiterem melodischen Punk-Rock gefüttert zu werden? Wer weiß. Ironischerweise ist mein VfB-fanatischer Onkel das absolute Gegenteil von einem Punk. Und ich habe gerade durch im Punk vermittelte Werte eine eher ambivalente Sicht auf Fußball-Fankultur, in der sich nicht selten eine auf unangenehme Art männliche Gruppendynamik manifestiert. Auch die „Bro Hymn“ zelebriert das Konzept Männerfreundschaft: Sie ist verstorbenen Freunden und Mitgliedern der Band gewidmet. Den Inhalt der Strophen kennt aber wahrscheinlich nur ein Teil der Fans, die im Stadion begeistert in den simplen Refrain einfallen: „Oooooh oh oh oh, Oooh ooh oh oh oh“. Es ist halt schon geil.
Nun, die Idee für diesen Artikel ist in meiner neuen Tätigkeit als Stadionsprecher geboren. Und in Doppelfunktion als Stadion-DJ habe ich eine sehr lange Liste an Songs, die im Stadion laufen. Bis auf ein paar wenige Ausnahmen gilt musikalisch im Poststadion: Erlaubt ist, was mir gefällt. Somit entwickle ich mit der Zeit eine stetig wachsende Playlist, die unendlich reich ist an absoluten Highlights. Aber auf zwei Momente freue mich besonders bei jedem Spiel. Da wäre zum einen "Zukunft Pink" von Peter Fox featuring Inéz. Der Grund ist beinahe ein bisschen traurig, denn es ist der einzige Song, bei dem das Publikum eine Reaktion zeigt. Meist ist es eher still im Stadion, aber hier regt sich etwas in den Leuten. Der zweite Song ist einfach ein persönlicher Liebling, der über Stadionlautsprecher nochmal anders scheppert. Die Rede ist von "Natural Born Killer" von Highly Suspect. Natürlich reagiert im Stadion da niemand außer mir, denn keiner kennt den Song wirklich. Aber dieser hochemotionale Song voller Höhen und Tiefen macht mir jedes Mal Gänsehaut und mir wurde schon zweimal zurück gemeldet, dass es anderen genauso ging. Und ich sage es wie es ist, das war einfach schön. Ich liebe diesen Job.