Ein verregneter Donnerstagabend ist es, an dem ich die Stuttgarter U-Bahn in Richtung Wizemann betrete. Berufspendler sind unterwegs und die fünfte Jahreszeit scheint endgültig vorbei zu sein; Normalität ist im Süden der Republik eingekehrt. Doch schaut man genauer hin, so trifft diese Aussage nur bedingt zu. Denn kaum ausgestiegen, erblicke ich Piratenhüte, rasselnde Säbel und Bärte von unkonventioneller Länge. „Es lebe die Frrreiheit“, ruft jemand der allgegenwärtigen Piraten einigen Passanten zu, während er seinen Dreispitz zum Gruße hebt. Ein Grinsen kann ich mir schon jetzt nicht mehr verkneifen und der Weg zur Location dürfte nicht weiter schwierig werden. Denn welches Ziel sollten die Freibeuter verfolgen, wenn nicht das Konzert der Publikumslieblinge um Mr. Hurley?
Pünktlich um 8 Uhr werden die Scheinwerfer auf MacCabe & Kanaka gerichtet. Der Club des Stuttgarter Wizemanns ist zu diesem Zeitpunkt bereits zur Hälfte besetzt und das Publikum bester Laune. Wie im Laufe des Vorprogramms bekannt wird, ist das Set weitestgehend improvisiert. Kanaka ist ausgefallen, sodass man kurzerhand das Neu-Mitglied der Band ins kalte Wasser werfen muss. In Anbetracht dessen wird solide abgeliefert. Die ersten Besucher singen aus voller Kehle „Irish Rover“ in einer A-capella-Version mit, andere stimmen nahezu ungeduldig Songs des Hauptacts an. Nach ca. 45 Minuten und einer gelungenen Darbietung ohne größere Überraschungen zeigt sich einmal mehr der an jeder Ecke spürbare Humor der Besucher, aber auch der der heutigen Gastgeber.
Humor deshalb, weil die Umbauphase von Klassikern der 80er und 90er begleitet wird. Musikalischer Trash („Rhythm is a dancer“ oder „Captain Jack“) erheitert die heterogene Menge aus Metalheads, Gothics, Piraten und Freunden des Mittelalters. Zwischendrin ein paar unauffällige Studierende und sonstige Konzertfreunde. Kurz nach 9 beginnt der äffische Reigen, einige Besucher haben verspätet ihren Weg in den Club gefunden, deutlich gefüllter als zuvor ist es dennoch nicht. Dessen ungeachtet legt die Band mit „Achtung, fertig, Prost“ einen feuchtfröhlichen Einstieg hin. Die Atmosphäre könnte kaum besser sein.
Mit dem titelgebenden Track „Tortuga“ wird gekonnt nachgefeuert. Die Stimmungskurve ist auf kontinuierlich hohem Niveau, auch ein brandneuer Song findet seinen Weg in die Setlist. Diese besteht aus einer Mixtur aus üblichen Verdächtigen („Ach ja?“) und vielen Liedern des aktuellen Albums („Schlechtes Vorbild“), welche ebenfalls dankend angenommen werden. Dass das Schlagzeug (oder wie man die Gerätschaft am hinteren Bühnenrand nennen möchte) aus Wischeimern besteht und die Pulveraffen permanent aus Silberkrügen trinken, sind Begleiterscheinungen, die den Abend authentisch abrunden. „Wär´ ich Gouverneur“ auf dem Klavier, sowie ein Medley bekannter Pop-Stücke bilden die Zugaben, ehe man mit dem Youtube-Phänomen „Blau wie das Meer“ endgültig abräumt. Stuttgart feiert.
Das Wizemann war vielleicht eine Nummer zu groß gewählt, ein ausverkaufter, kleinerer Laden hätte nicht geschadet. Sei es drum: Es waren mit Sicherheit wenige Musiker, deren erste, eigene Headliner-Show in Stuttgart bereits über die Hälfte des Wizemanns gefüllt hat. Besonders werktags ist dies durchaus beachtlich und geschadet haben die freien Plätze der Stimmung ohnehin nicht. Um abschließend die Metapher der Einleitung aufzugreifen: Eine Detox-Kur können Pulveraffen zwar nicht offerieren, wohl aber die Fastenzeit für eine Weile aussetzen. Chapeau an die karibischen Freibeuter aus Osnabrück. Gelungene Nachspielzeit für Karneval & Fasching!