The 1975 und „Notes On A Conditional Form“: Beständigkeit durch Vielfalt
01.06.2020 | Paula Thode
Der Corona-bedingte Rückgang der CO2-Belastung durch die verminderte Nutzung von Autos und allgemein durch das vermehrte Zuhausebleiben sorgt für eine kurze Pause für das Klima. Aber laut Wissenschaftlern ist das noch längst nicht genug, um den Planeten und uns vorm „Hitzetod“ zu retten. Vermehrt wird auf dieses Thema in der Musik aufmerksam gemacht. The 1975 haben sich diesen Komplex scheinbar sehr zu Herzen genommen. Entstanden ist eine eineinhalbstündige Platte.
Das Intro ist eine nicht kommentierte Rede von Greta Thunberg, die mit leisen Klavierklängen unterlegt wird - das allein reicht zur Vermittlung des Inhalts. Kein Kommentar, keine Meinung zum Gesagten. Stattdessen kommt der Bruch der Stimmung im zweiten Song.
Dieser Bruch wurde im letzten Album schon benutzt und wirkt ein wenig einfallslos, gleichzeitig ist er dennoch passend. Der von Greta Thunberg kommende „Weckruf“ im ersten Song wird direkt von der Band aufgenommen und im zweiten Track „People“ auf den Fremdenhass und den daraus folgenden Mord an Menschen ausgeweitet. Der Song provoziert mit Einflüssen aus dem Punkrock und bricht damit die entspannte Stimmung des Albums.
Ab dem dritten Song erfolgt dann eine Art Zusammenspiel der verschiedenen Genres. Auf House folgt Indie und eine Prise Rock. Der experimentelle Umgang mit den verschiedenen Genres hebt das Album in eine andere Liga der Vielfältigkeit.
Das Album ist mit eineinhalb Stunden nichts zum „mal eben“ hören. Die Platte ist sehr experimentell und nutzt die Länge, um sich so musikalisch immer mehr zu erforschen. The 1975 beschäftigen sich auch mit Themen, die nicht kurz zusammengefasst werden können, sondern eine tiefe Auseinandersetzung fordern, um dem Hörer die Lage zu vermitteln. Es wird zwar durch die Menge an Input viel Aufmerksamkeit gefordert, aber trotzdem ist die Stimmung des Albums fast durchgehend entspannt.
Der rote Faden des Albums ist nicht genrespezifisch, sondern genreübergreifend. Wie kann man musikalisch auf Ungerechtigkeit und Probleme aufmerksam machen? Diese Leitfrage zieht sich durch das ganze Album und wird stückweise von den musikalisch vielfältigen Tracks beantwortet. Der Hörer wird mit einem Haufen Input zurückgelassen und kann entweder verdrängen oder den Weckruf der Band nutzen und sich mit dem Thema auseinandersetzen.
Das Album ist aber nicht ihre einzige Aktion gegen den Klimawandel. The 1975 haben im ersten Teil ihres Albumreleases eine Charity-Aktion gegen diese globale Krise gestartet. Hierbei haben sie ihren neuen Merch auf alte Shirts drucken lassen, um Material und Ressourcen zu sparen. Dazu ging ein großer Teil der Einnahmen an gute Zwecke, die sich aktiv gegen den Klimawandel einsetzen.
Wertung
Insgesamt überzeugt das Album durch die vielfältige Nutzung von Genres und die Mischung zwischen ruhigen Klängen und lauten Forderungen. Man kann zum Album seinen ersten Kaffee am Morgen genießen, gleichzeitig aber auch Songtexte kritisch hinterfragen und sich mit den angesprochenen Themen weiter auseinandersetzen. Über den Klimawandel zu schreiben ist längst kein Alleinstellungsmerkmal mehr in der Musikbranche, aber trotzdem setzen The 1975 bewusst weiterhin einen Wert darauf, auf Ungerechtigkeiten und Probleme aufmerksam zu machen.
Paula Thode
Paula kommt eigentlich aus Cuxhaven, ist dann aber für ihr FSJ nach Hamburg gezogen. Dort hält sie es durch die Liebe zum Underground Hip Hop und aus Faszination zum autonomen Zentrum in der Schanze ganz gut aus. Ihre Liebe zur Musik hat sie durch die Antilopen Gang entdeckt und seitdem interessiert sie sich für alles, was nicht Mainstream-Deutschrap ist.