Tag 1 (Freitag)
Es ist Anfang Juni. Für die alteingesessenen Park- und Ringrocker von nah und fern ein fester Termin im Kalender, um sich wieder Dosenbier, Dixiklo und dermaßen vielen Livebands zu widmen, von denen nur ein Bruchteil des Line-Ups überhaupt zu packen ist. Ich selbst behauptete in der Vergangenheit stets, es eine Nummer (eher sechs Nummern) kleiner zu mögen. Sei es Balarock oder Pell-Mell-Festival, ich hatte einfach bisher noch nie das Bedürfnis, mich auf die überfüllten Freiflächen eines der beiden größten Festivals Deutschlands zu begeben. In diesem Jahr siegten jedoch meine Neugierde und der einfache Gedanke, dass man Erfahrungen dann beurteilen (oder auch verurteilen?) sollte, wenn man sie selbst gemacht hat. Mein Ticket besorgte ich mir also schon ohne das Line-Up zu kennen und ab diesem Tag hieß es hoffen. Hoffen darauf, dass man auf Veranstalterseite das Festival zurück zum im Namen zu findenden "Rock" führt und nicht wieder zu viel Apache oder K.I.Z. auf den Flyer packt. Immerhin, dieses Hoffen hat sich gelohnt, denn ganz oben thronten in diesem Jahr unter anderem die Namen Green Day, Billy Talent, Broilers, Parkway Drive, Corey Taylor, Machine Head, Avanged Sevenfold, Beartooth und Kreator. Aber auch Kraftklub und die ärzte, die bei mir zum einen ein "könnte man sich zumindest ansehen" und zum anderen ehrlichen Jubel auslösten. Måneskin, Queens Of The Stone Age oder Electric Callboy habe ich jedoch eher gleichgültig hingenommen. Die Stimmen für mehr Rock und Metal aus der Community wurden aber immerhin erhört und umgesetzt. Dass hier auch die im letzten Jahr gesunkenen Besucherzahlen eine Rolle spielen könnten, ist eine reine Vermutung von mir. Ein Indiz: Für 2024 hörte ich von keinen reduzierten Tickets über Vorteilsportale, im Gegensatz zum letzten Jahr. Der Vorverkauf schien also eher gut zu laufen.
Vor dem ersten Tag bei Rock im Park wird mir schnell klar, wie viel Planung im Vorfeld nötig ist: Wann und wo darf ich mit meinem Ticket mein Bändchen abholen? Wie funktioniert das bargeldlose Zahlen am Festivalgelände und wie das Aufladen des Chips vorab, ohne diesen überhaupt in der Hand zu halten? Wie verlaufen die Wege zwischen den Bühnen vor Ort? Wie komme ich in die vorderen Wellenbrecherbereiche, wenn ich eine Show aus der Nähe sehen möchte? Einige dieser Punkte lassen sich gut planen, manche ergeben sich jedoch erst vor Ort. Was die Bands angeht, habe ich mir einen groben Plan ausgearbeitet, was unbedingt sein muss, wen ich vielleicht sehen möchte und wo ich wirklich spontan entscheiden möchte. Plane ich hier vielleicht viel zu streng? Sollte ich mich eher treiben lassen und vor Ort schauen, wie der Hase läuft? Ich merke früh, dass Rock im Park aufgrund der schieren Größe nicht "einfach hinfahren und loslegen" ist. Typisch für mich stehe ich am ersten Tag bereits zwei Stunden vor meiner ersten eingeplanten Show der Donots vor dem zwischen Campingplätzen und Funpark (mit Autoscooter und Karussell) aufgebauten Lidl und muss das erste Mal breit grinsen. Das liegt zum einen daran, dass beim Betreten des Lidl laut Callejon läuft und zum anderen daran, dass es hier von Campingstuhl bis Verpflegung wirklich alles zu Discounterpreisen zu kaufen gibt, was auf den Zeltplätzen gebraucht wird (oder gebraucht werden könnte). Jedoch hat es einen faden Beigeschmack, dass die exakt gleiche Dose Radler am Festivalgelände in den Plastikbecher geschüttet wird und dort fast 700% teurer ist als hier.
Die Lage des Festivalgeländes zwischen Max-Morlock-Stadion, Dutzendteich und dem Panorama der Kongresshalle ist für diese Veranstaltung einfach nur herrlich. Da ich zum Fußball schon vor Ort war, habe ich die grobe Orientierung schnell gefunden. Der gewählte Eingang führt mich direkt zwischen beide Bühnen, sodass ich einen kurzen Blick auf die "kleinere" Mandora-Stage werfen kann und bei den sommerlichen Temperaturen im Frankenland an einer der wichtigsten Stellen des Geländes vorbeikomme: Die Trinkwasserstationen. Dass Trinkwasser kostenlos in Becher oder mitgebrachte Faltflaschen gefüllt werden darf, ist ein riesiger Pluspunkt für die Veranstaltung und eine Möglichkeit, die rege genutzt wird. Beim Betreten der Utopia-Stage spielen "The Interrupters" gerade ihr Cover von "Bad Guy" und auch die Hand voll Songs danach nehme ich noch dankend mit. Meine ersten Erfahrungen mit dem System der beiden Wellenbrecher sammle ich dann vor dem Konzert der Donots. Hier kann ich zumindest am Nachmittag noch recht entspannt vor die Bühne kommen und staune zu Beginn des Konzerts nicht schlecht, als die Leinwände zeigen, wie viele Menschen an diesem Freitagnachmittag bereits um 15:10 Uhr auf dem Gelände der Utopia-Stage stehen.
Donots, Freitag, 15:10 Uhr
Selten hat Ingo mit so viel Recht "WAS IST DENN HIER LOS?!" ins Mikrofon gebrüllt, wie an diesem Freitagnachmittag. Das Infield ist brechend voll, die Donots drehen dementsprechend auf. Ich habe im zweiten Wellenbrecher zum Glück nicht einen Moment das Gefühl, keinen Platz zu haben. Eine der Sorgen, die ich vor meinem ersten Festivalkonzert dieser Größenordnung hatte, löst sich also gerade in Luft auf. Dass die Donots ihr Handwerk verstehen und vor allem live die Massen in Bewegung versetzen können, macht die folgende Stunde zu einer der kurzweiligsten, die ich mir vorstellen kann. Einen fast schon erwarteten Gastauftritt der Antilopen Gang gibt es bei "Kaputt", spielen diese doch zu späterer Stunde noch in der Halle. Die Sonne brennt, die Donots reißen das Zeppelinfeld ab und mein Festival beginnt genauso großartig, wie ich mir das vorgestellt und gewünscht habe. Einzig zu erwähnendes Manko ist hier die Auslasssituation aus dem zweiten Bereich nach dem Konzert, wo über viele Minuten nichts vor oder zurück geht. Wenn Einlass, Auslass, Toilettenstandort und Wasserstelle auf einer Stelle stattfinden, kann das einfach nicht gut gehen.
Billy Talent, Freitag, 18:30 Uhr
"Dieser Billy Talent, den kennt man doch auch". Kein Spaß, dieser Satz wurde tatsächlich so gesagt. In der Zwischenzeit habe ich mich um mein Abendessen gekümmert und einen Döner für stattliche 10€ konsumiert, was bei kaum einer Speise außer der Bratwurst für 5€ günstiger geht, eher darüber. Immerhin war er gut, das tröstet etwas über die Investition hinweg. Die in der App einsehbare Restbetragsanzeige des Geldes auf dem Armband korrigiert sich aufgrund des Preises für Bier und Softdrinks mit 6,50€ schon am ersten Tag in großen Schritten nach unten. Kaum vorzustellen, wie das aussehen würde, wenn auch das Wasser noch bezahlt werden müsste.
Billy Talent selbst habe ich ehrlich gesagt vor langer Zeit zuletzt aktiv gehört, ihr Album "Billy Talent II" war Teil meiner Jugend- und Schulzeit und vor allem "Fallen Leaves" oder "Red Flag" werden wohl nicht nur in meinem Kopf für immer abgespeichert sein. Der Eindruck der Show der Kanadier ist dauerhaft positiv, ich kenne dann doch mehr Texte und Songs, auch von späteren Alben, als mir bewusst war. Dass manche Töne in den Höhen nicht perfekt sitzen, ist aufgrund des großen Ganzen zu verschmerzen. Jede sich vor die Sonne schiebende Wolke nehme ich dankend hin, da nach wie vor vor allem zu Beginn des Konzerts die Sonne vom Himmel brennt. Auffällig auch, dass der freie Raum auf dem Feld weniger wird. Dass Green Day die Leute auf die Fläche holen, war aber von Anfang an zu vermuten.
Green Day / Marsimoto, Freitag, ab 20:40 Uhr
Die beiden Acts Green Day und Marsimoto haben zwar beide etwas mit der Farbe Grün zutun, ansonsten aber auch rein gar nichts gemeinsam. Und dennoch tauchen Sie hier in einem Absatz auf, was ich gerne erkläre. Ich gebe zu, noch nie die größten Berührungspunkte mit Green Day gehabt zu haben und ihre Musik eher in die Kategorie "Hits kennen und mögen" einordne. Dennoch hatte ich die Band vorher auf meine "Vielleicht"-Liste gesetzt und irgendwie ist ein Act in dieser Größenordnung ja auch Pflichtprogramm. Dachte ich. Und anscheinend viele andere auch: Während Hits wie "Basket Case" oder "She" zwar gut ankommen, aber das Feld auch noch nicht komplett zum Aufdrehen bringen, wird es auf der Fläche voller und voller. Ich gehe hier fest davon aus, dass sich die Stimmung bei "American Idiot" oder "Boulevard Of Broken Dreams" zu späterer Stunde noch intensiviert hat, habe mich aber nach etwas weniger als einer Stunde aufgrund der gefühlten Überfüllung für das krasse Kontrastprogramm Marsimoto entschieden. Was soll ich sagen? Die letzten 70 Minuten Marsimoto bei Rock im Park für immer (das Karriereende der grünen Kunstfigur steht bevor) sind zwar sehr basslastig, aber auch sehr unterhaltsam. Da gefühlt die ganze Welt bei Green Day steht, war ein Ausflug direkt vor die Bühne ohne weiteres möglich und mit eigenem Bierwagen im ersten Bereich und ganz viel grünem Nebel wurde noch einmal zu "Illegalize It" oder "Tijuana Flow" mitgegangen. Dass Marsimoto als Ersatz für Bad Omens eingesprungen ist, kam im Vorfeld bei einigen Besuchern nicht allzu gut an. Meinungen und Geschmäcker sind zum Glück verschieden, sodass diejenigen, die jetzt hier stehen, eine richtig gute Zeit haben dürfen. Auch mit Rap.
Antilopen Gang, Freitag, 22:50 Uhr
Mit dem letzten Ton von Marsimoto setze ich im strammen Gang den Weg zur Orbit-Stage an. Mit den Örtlichkeiten habe ich mich am Nachmittag bei Kvelertak bereits kurz vertraut gemacht. Womit ich nicht gerechnet habe: Der Innenraum ist voll, kein Zugang mehr. Stattdessen werden die ankommenden Besucher auf die Tribünen verteilt und so setze ich mich heute zum ersten Mal in der ersten Reihe der Seitentribüne, quasi auf Augenhöhe mit der Bühne, kurz hin und genieße den Gig der Antilopen Gang, die aufgrund der begleitenden Band und Songauswahl schon lange mehr als eine reine Rapcrew sind. Die Antilopen Gang bedient, wie erwartet, beide Ränder des Spektrums ihrer Musik und spielt neben Danger Dans Klavierstück "Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt" auch "Der goldene Presslufthammer", bei dem sich Ingo Donot für den Gastauftritt am Nachmittag revanchiert und den Refrain übernimmt. Alles weitere passiert irgendwo dazwischen. Die Antilopen Gang liefert eine Stunde aktionsreich ab. Und nach einigen wenigen Songs der Broilers auf der Mandora-Stage, die dort den Abend auf den Open-Air-Bühnen beschließen, beendet Trettmann in der Halle in meiner Abwesenheit den Tag dann endgültig. Für mich heißt es nach guten zwölf Stunden vom Festivalgelände für den ersten Tag Abschied zu nehmen.
Tag 2 (Samstag)
Der Samstag beginnt früh und in gewohnter Abfolge nach dem Frühstück erst einmal mit einem Kaltgetränk am Lidl (Ja, Dose... Aber denkt an die fast 700%!)
Der zumindest vorgenommene Zeitplan ist heute randvoll: H-Blockx eröffnen die Hauptbühne um 12:55 Uhr, für mich Pflichtprogramm. Der weitere Plan sieht Blackout Problems, Madsen, gegebenfalls Counterparts, Kraftklub mit der Option zu Machine Head zu wechseln, Corey Taylor, Hatebreed und vielleicht im Anschluss Parkway Drive vor. Heute Mittag ist es bei Rock im Park wirklich herrlich: Gut Betrieb, noch nicht überfüllt, überwiegend Sonnenschein und der Ausblick auf Dutzendteich sowie H-Blockx. Das geht definitiv schlechter!
H-Blockx, Samstag, 12:55 Uhr
Diese Band ist für mich heute ein absoluter Pflichtbesuch! Und auch wenn ich Sorge bei der Uhrzeit hatte, stehen H-Blockx wirklich vielen Menschen gegenüber, von denen nicht wenige den Opener "Countdown To Insanity" genauso lauthals mitsingen können, wie die weitere mit den "alten" Hits wie "Little Girl", "Move" oder "The Power" gespickte Setlist. Bei dem Wetter könnte ein Start in den Festivaltag kaum schöner ausfallen, sodass die leider nur mit 45 Minuten angesetzte Show nicht nur viel zu schnell vorbei ist, sondern auch nicht nur in mir den Gedanken befeuert hat, doch noch die anstehende Tour besuchen zu wollen.
Blackout Problems, Samstag, 14:20 Uhr
Mit dem Gefühl, als sei der Gig der Antilopen Gang in dieser Halle vor wenigen Momenten erst zu Ende gegangen, stehe ich am frühen Nachmittag erneut vor der Orbit-Stage, dieses Mal im Innenraum. Blackout Problems sind eine der vielen (vielen!) Empfehlungen aus der Redaktion, denen ich zu lange kein Gehör geschenkt habe. Hier habe ich das Gott sei Dank bereits nachgeholt und die Band in den Tag eingeplant. Diese Entscheidung bereue ich in den folgenden 40 Minuten keine einzige Sekunde lang. Berührungsängste kennt Sänger Mario einfach nicht. Er springt auf die Biertheke, taucht im nächsten Moment mit Gitarre auf dem Mischpult auf. Die Show hat es in sich, der Innenraum der Halle ist für diese Uhrzeit brechend voll. Welch kluge Entscheidung, sich Blackout Problems auch live zu geben. Gerne wieder!
Madsen, Samstag, 15:35 Uhr
Heute soll also endlich mein Konzertdebüt bei Madsen stattfinden. Um nichts zu verpassen, wird der Fußmarsch zurück zur großen Utopia-Stage schnellen Schrittes bewältigt (die Quittung dafür werde ich erst viel später am heutigen Tag zu spüren bekommen) und tatsächlich der exakt gleiche Stehplatz im zweiten Bereich eingenommen, den ich vom Auftritt der Donots am Vortag kenne. Bei Madsen behaupte ich, da die Band bereits vollen Einzug in meinen Alltag gehalten hat, grob zu wissen, was mich erwartet. Die Band um Sänger Sebastian eröffnet nach dem Intro mit "Ein bisschen Lärm" und lässt im Laufe der nächsten Stunde keinen Hit aus. Sei es das immer unterhaltsame "Nachtbaden", "Kein Mann für eine Nacht" oder die unausweichlichen Nummern "Du schreibst Geschichte" und "Lass die Musik an": Madsen bekommen großes Lob und viel Zuspruch, sowohl von mir als auch von allen Stimmen, die ich um mich herum vernehmen kann. Welch großartiger Start in Tag zwei! Zeit für einen Snack.
Kraftklub, Samstag, 19:00 Uhr
Nach der Stärkung und einem kurzen Abstecher zu Counterparts in die Halle wird es Zeit für etwas Neues. Kraftklub habe ich bisher immer von außen belächelt, ohne mich kritisch oder genauer mit der Musik der Chemnitzer Kombo beschäftigt zu haben. Der Plan heute sieht vor, ähnlich wie am Tag zuvor bei Green Day, der Band die faire Chance einzuräumen, mich auf ihre Seite zu holen. Kraftklub eröffnen mit "Songs für Liam" und hauen mir direkt DEN Song um die Ohren, auf den ich am wenigsten gespannt war. Ehrlicherweise überrascht mich die Band aber vor allem durch politische Statements, kurzweilige Unterhaltung unter anderem in Form des Nirvana-Covers "Territorial Pissings" mit Wanda oder dem doch unerwartet raplastigen "500 K". Auch die zwei "Balladen", bei denen die Band sich ins sitzende Publikum begibt, machen in dieser Festivalatmosphäre großen Spaß. Fazit: Kraftklub haben ihre Chance genutzt und meinen unreflektierten Blick von außen etwas ins Positive wandeln können. Das macht mich noch nicht zum Fan, aber immerhin zum akzeptierenden Mitmenschen. Oder sowas in der Art.
Corey Taylor, Samstag, 21:30 Uhr
Ein weiterer Gig aus meinem absoluten Pflichtprogramm! Slipknot, Stone Sour: Bands, die ohne Corey Taylors markante Stimme wohl kaum das wären, was sie heute sind. Heute Abend steht Corey "solo" (mit Band) auf der Bühne, spielt aber neben den Songs seiner Soloplatten nicht nur unter anderem Stone Sours "Made Of Scars" sondern auch den allseits bekannten und besonders emotionalen Titel "Through Glass". Während die Sonne untergeht und das Festivalgelände in die künstlichen Lichter vor allem von den Bühnen taucht, gibt es "Before I Forget" und später im Set "Duality" als Slipknot-Songs obendrauf. Vor allem bei letzterem dreht das Publikum in meinen Ohren am allermeisten auf. Wie viele tausend Leute hinter mir stehen, kann ich aufgrund der Atmosphäre nur erahnen. Ich bin aber umso glücklicher, auch hier den Weg in einen der Bereiche vor der Bühne gewählt zu haben. Alles in allem ein wahnsinnig guter Auftritt!
Hatebreed, Samstag, 22.50 Uhr
Den Late-Night-Abriss bei Hatebreed kann ich mir heute, ich möchte fast sagen zum Glück, aufgrund erneuter Überfüllung im Innenraum und dem verpassten Beginn durch Corey Taylor im Vorfeld, nur von der Tribüne geben. Die Action vor der Bühne in Form von unfassbar vielen Moshpits unter dem brachialen Sound der US-Amerikaner fesselt meinen Blick beinahe mehr als die Band selbst. Hatebreed spielen einige der Songs, die ich aus früheren Tagen noch gut kenne und nach Corey Taylor fühlt sich der Abschluss dieses Tages für mich fast ein bisschen wie das Revue passieren lassen vergangener Zeiten an. "Destroy Everything" nehmen Band und Fans nach wie vor ernst und als würde das gleiche beim ersten richtigen Sitzen nach diesem langen Tag auch für meine Füße gelten, beende ich den zweiten Part Rock im Park 2024 mit dem Gedanken daran, dass morgen endlich die ärzte folgen werden. Um 20:45 Uhr. Die Zeit bis dahin kann ja wieder lustig werden.
Tag 3 (Sonntag)
Heute ist es Zeit für etwas Abwechslung im gewohnten Ablauf. Ohne den Lidl auch nur zu Gesicht zu bekommen, beginnt mein Tag in einem naheliegenden Biergarten mit Blick auf den Dutzendteich. Den Biergarten kenne ich bereits von einem kurzen Besuch in Nürnberg im Sommer 2020, nur dass damals nicht so viele "normale Leute" hier waren. Es läuft AC/DC, die Stimmung ist bereits am Mittag bestens, die Sonne leistet trotz anderslautender Vorhersage wieder ihren Pflichtbeitrag, und das Schinkenbrot mit halber Maß schmeckt durch all das umso besser. Heute soll sich vieles um die geplanten Bands herum spontan ergeben, auf dem Zettel stehen lediglich Betontod, Dropkick Murphys, Skindred und die ärzte.
Betontod, Sonntag, 15:10 Uhr
Auch wenige Stunden später lacht die Sonne weiter über dem Zeppelinfeld und speziell über der Mandora-Stage, auf der Betontod meinen Festivaltag eröffnen sollen. Der Weg in den ersten Bereich und direkt vor die Bühne ist um diese Uhrzeit gewohnt unkompliziert, doch auch hier staune ich beim Sichten der Leinwand wieder nicht schlecht, wie viele Leute, gefühlt bis zum Horizont, vor der Bühne stehen und sich das Spektakel aus Bühnenbild mit umgeworfenem Polizeiauto, Pyrotechnik ("ist doch kein Verbrechen" - Ohrwurm des Wochenendes), Graffitisprayern und den Songs der Band aus Rheinberg geben. Betontod sind alte Hasen im Geschäft und wissen genau, welche Tracks es braucht, um mit schönen Mitmacheinlagen und -chören ein Festival zu bespielen. Die nötige Portion Kritik an Kapitalismus und Politik gibt es erwartungsgemäß genauso wie, übrigens am gesamtem Wochenende, Ansagen zum Thema Europawahl. Das Publikum hat sichtlich Spaß, der Band geht's genauso. Die 50 Minuten hätten hier auch gerne etwas länger ausfallen dürfen.
Dropkick Murphys, Sonntag, 17:05
Ach, das sind gar keine Iren? Spaß beiseite. Dropkick Murphys bezeichnen sich selbst als irisch-amerikanische Folk-Punk-Band und die Hits der Gruppe, allen voran "I'm Shipping Up To Boston", "Rose Tattoo" oder "The State Of Massachusetts" als Hymne auf die Heimat sorgen dafür, dass bei mir im zweiten Wellenbrecher außerordentlich viel getanzt wird. Sogar kleinere Pits werden eröffnet und unter der Nürnberger Sonne, die es nun schon den dritten Tag am Stück mehr als gut mit uns allen meint, wird zum Klang von Banjo, Dudelsack und Ken Caseys Stimme der dritte Nachmittag von Rock im Park genossen. Ein Auftritt, der mich einfach aufgrund des Genres nicht vollends umhaut, aber doch zu unterhalten weiß.
Skindred, Sonntag, 18:50 Uhr
Ich würde lügen, wenn ich behaupte, nicht zu spüren, was ich meinen Beinen seit Freitag zumute. Welche Idee könnte da besser sein als mir eine Band anzusehen, die zum einen in der Halle spielt und mir zum anderen zwar unbekannt ist, aber auch aufgrund der vorher angespielten Songs nicht gerade unsympathisch erscheint. Und als hätte ich ein wenig darauf gehofft, kommt es wie es kommen muss: Halle voll, Tribünen auf (und randvoll), Mark darf sitzen. Meine ersten Gedanken, als Skindred ihr Konzert eröffnen, sind dann aber gänzlich andere: "WHAT THE F*CK?!" Sänger Benji hat die Menge vom ersten Moment an komplett in der Hand. Er verteilt Mitsingparts ans Publikum oder fordert zum Mitklatschen auf und DIE GESAMTE HALLE macht mit. WOW! Kommt das Publikum mal nicht so gut rein, motiviert er mit den Worten "Scheise, nein!" und gibt die nächste Chance, die dann prompt dazu genutzt wird, es besser zu machen. Was spielt diese Band eigentlich? Metal? Hip-Hop? Punk? Reggae? Falsch! Es ist alles durcheinander. Geil!
Vor dem Festival habe ich viele Witze darüber gemacht, dass ich mir zweieinhalb Tage um die Ohren schlagen muss, um dann endlich die ärzte sehen zu können. Jetzt, wo sich der Moment endlich nähert, muss ich diese Scherze gänzlich revidieren: Am liebsten würde ich morgen wieder aufs Zepellinfeld laufen. Und übermorgen. Um danach dann aber vielleicht genug davon zu haben. Oder?
Einen Moment zum Kopfschütteln gibt es dann aber doch noch: Queens Of The Stone Age befinden sich gerade in den letzten Zügen ihres Gigs auf der Utopia-Stage, der bereits in meinem Umfeld zwischen Genie, Wahnsinn und "Das ist halt Rock'n'Roll" ausgelotet wird. Josh Homme und seine Truppe sind bereits einige Minuten drüber. Der Sänger schimpft, flucht, hat zuvor das Mikrofon ins Publikum geworfen und fällt auf. In meinen Augen eher negativ.
die ärzte, Sonntag, 20:45 Uhr
Das Gute an Josh Hommes Aktionen: Weniger Wartezeit bis zum für mich wohl wichtigsten Auftritt des Festivals. die ärzte hängen einen Vorhang mit mutmaßlicher Werbung für einen Handwerker inklusive Berliner Telefonnummer vor die Bühne, ich rufe kurzerhand an und lasse mich am Telefon von Bela, Farin und Rod sehr gerne "verkackeiern". So geht Wartezeit in kurzweilig bei der besten Band der Welt! Passend zum mittlerweile bereits bekannten Ergebnis der Europawahl eröffnen die ärzte mit "Deine Schuld", nachdem ganze drei Vorhänge nacheinander vor der Bühne gefallen sind, und setzen mit "Ein Sommer nur für mich" oder "Our Bass Player Hates This Song" auch im Verlauf weitere klare Statements. Dass "Zu spät" oder sogar auch "Westerland" ihren Weg in die Show finden, nehme ich dankend hin, da mir diese Songs bei den bisher besuchten Konzerten der besten Band der Welt noch nicht serviert wurden. Der Mix aus (bei einer Festivalsetlist zu erwartetenden) "bekannteren" Songs und denen, bei denen der großen Masse manchmal die Texte auszugehen scheinen, gefällt mir ganz gut. So kann ich, und auch vereinzelte Leute um mich herum, zum Beispiel bei "BGS" oder "Anti-Zombie" ein bisschen den Fanboy raushängen lassen. Die von Farin bereits bestens bekannten Laolas bestehen heute zum Beispiel aus Mittelfingern Richtung Wahlergebnis, zudem wird das bekannte "Alle sitzen und springen beim Wort 'Unrockbar' auf" kurzerhand zu "Alle bleiben stehen und setzen sich nur ganz kurz bei jedem 'Unrockbar' hin" umgewandelt.
Dass die Musik nur die halbe Wahrheit bei einem Konzert von die ärzte ist, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Wie ausufernd der Klamauk der Drei dann wirklich ausfällt, hängt nicht wenig von der Tagesform der Band ab oder davon, wie sich gewisse Situationen einfach entwickeln. Farin Urlaub hat heute ein riesiges Problem mit dem ihm gegenüberstehenden Riesenrad, textet regelmäßig Hasstiraden zum Beispiel bei "Zu spät" ("Doch dann ist es zu spät, dann drehst du dich nicht mehr!") in die Songs und lässt kaum eine Ansage aus, um sich über "die Augen", "dieses verdammte Herz" oder auch manchmal einfach die Farbe des Rads auszukotzen. Bela verliert bei "Der Graf" kurz den Faden, weil auf der Nachbarbühne ein großes Feuerwerk in den Nürnberger Nachthimmel geschossen wird und textet kurzerhand "Der Graf sehnt sich so sehr nach einem echten Feuerwerk, doch der Graf ist auch nur ein Gartenzwerg" als Reim allererster Güte in seine Nummer. Zwischen den Songs eskaliert die Situationskomik regelmäßig und auch, wenn man nachher wieder sehr oft lesen wird, dass diese Band zu viel quatschen würde, stehen die meisten inklusive mir hier mit Tränen vor Lachen in den Augen vor der Utopia-Stage.
Doch nicht nur der Auftritt von die ärzte muss vorübergehen, sondern mit dem letzten Ton des Outros, der folgenden Ankündigung von Slipknot als ersten Headliner des Jubiläumsfestivals 2025 und einem allerletzten, überglücklich genossenen Kaltgetränk endet auch mein Rock im Park 2024. Der Körper wird ein paar Tage zur Regeneration brauchen, doch unter dem Strich steht für mich ein Festival, an dem es kaum etwas auszusetzen gibt, wenn man Lust auf viele (gute!) Leute, viel Bewegung auf den Beinen aber auch die ganz großen Acts hat. Die nötige Abwechslung kann man sich zum Beispiel immer wieder in der Halle holen, wo die vermeintlich Kleinen die Hütte trotzdem brechend voll machen. Kritische Auslasssituationen wurden über Nacht überdacht, kostenfreies Trinkwasser bleibt für immer ein Lifehack und ganz ehrlich, ich warte auf den Tag, an dem in meinem Lidl endlich Callejon läuft!