Freitag
Ich werde wirklich nicht müde das Pell-Mell Festival in jedem Gespräch zu empfehlen, in dem auch nur das Wort "Festival" fällt. Sei es das wie jedes Jahr wieder großartige Booking, das Publikum oder jede einzelne vor Ort helfende Person, die einem so offen und freundlich begegnet: In Obererbach weiß der Verein zur Jugendkulturförderung Obererbach e.V. nach so vielen Jahren ziemlich genau, wie man ein breite Zustimmung findendes Festival auf die Beine stellt. Das merke ich auch in diesem Jahr von dem Moment an, in dem ich mich bei der Einweisung auf den Parkplatz der Veranstaltung vom Personal begrüßen lasse. Es ist mein dritter Besuch im Westerwald und in diesem Jahr werde ich zum ersten Mal beide Tage vor Ort sein, auch wenn der Freitag terminlich bedingt etwas kürzer ausfallen wird als der Samstag. Das Festivalbändchen gibt es wie bereits vor zwei Jahren auf dem Weg zum Parkplatz in einer Art Drive-In-Station, die Kontrolle am Einlass zum Gelände findet situationsbedingt gründlich und trotzdem mit einem Lächeln sowie einem lockeren Spruch auf den Lippen statt. Endlich heißt es wieder: Pell-Mell Festival!
Dieses Festival macht es einem wirklich einfach, sich wohlzufühlen: Getränkebons und Festivalmerchandise lassen sich sowohl bar als auch mit Karte zahlen, es braucht lediglich Bargeld für Crêpes, Flammkuchen, veganen Döner oder Loaded Fries sowie die klassiche Brat- oder Currywurst, das Steak oder die Frikadelle. Die Getränkeauswahl gleicht erneut einem Paradies für Liebhaber*innen aller erdenklichen Drinks, ob mit oder ohne Alkohol. Ich greife für den Anfang zum Hazy IPA, welchem ich zum ersten Mal auf einem Festival und außerhalb meines eigenen Kühlschranks begegne und inspiziere in guter alter Tradition zuerst einmal das Gelände. Das Festival bietet erneut zwei im Wechsel bespielte Bühnen sowie diverse Kleidungsstände, Bandmerchandise und ein mobiles Tattoo-Studio. Nicht zu viel und nicht zu wenig, um selbst, wenn mal eine Band nicht in den persönlichen Geschmack passt, ein bisschen herumzuschlendern.
Ferris
Lowknox, Accvsed und Our Promise haben das Festival bereits eingeleitet, als Ferris sich auf der Hauptbühne einem mehr als gut gefüllten Platz gegenüber sieht. Das Dasein als Rapper kann das ehemalige Mitglied von Deichkind auch dann nicht verleugnen, wenn er sich mit Punkrockband auf die Bühne stellt und Songs wie "Alle hassen Ferris", "Hass macht hässlich" oder diverse Ferris/Swiss-Nummern wie "Bullenwagen" zum besten gibt, den diverse Personen im Publikum auch nervigerweise nach jedem Song davor lautstark fordern. Die gute Laune kommt bei Ferris nicht zu kurz, den einen oder anderen Spruch gibt's gratis dazu. Im Publikum überwiegt am ersten Festivaltag die Lust auf das zweitätige Festival im Westerwald und nicht wenige hier sind wirklich textsicher unterwegs. Für mich ein passabler Start ins Wochenende!
King Nugget Gang
Bis vor wenigen Tagen sollte dieser Slot As Everything Unfolds gehören, die aber leider kurzfristig die Teilnahme am Pell-Mell Festival absagen mussten. Als Ersatz ist die King Nugget Gang eingesprungen, die mit dem goldenen M und einer gekreuzigten damit in Verbindung stehenden Maskottchenfigur auf dem Banner auf der Bühne stehen. Ein Social-Media-Account der Band ist mit der Beschreibung "Fast Food Trap" ausgestattet, was mir im Verlauf der ersten Songs zumindest einleuchtet. Es geht um Cola, Fast Food an sich, Bratwurst, Bier und "Falsches Fleisch" als Hymne gegen die Ersatzprodukte. Immerhin steht der Food Truck mit den veganen Speisen so weit weg, dass die Lyrics dort nicht ankommen sollten. Rein musikalisch wummert der Bass und der in guter Harmonie performte Sprachgesang beider Vokalisten lässt das vor der Nebenbühne eingefundene Publikum dezent eskalieren. Für die Spontanität in der Organisation und dem Sinn für humorvolle Inhalte, den ich mir jetzt einfach mal attestiere, ein sehr unterhaltsamer Auftritt! Aber jetzt gibt es für mich erst einmal einen veganen Döner.
Emil Bulls
Drei Mal durfte ich die Band aus München schon auf der Bühne sehen, und auch heute sind sie ehrlicherweise mein Highlight, seitdem das Festival das Line-Up und die Running Order bekanntgegeben hat. Eine Stunde Emil Bulls, das heißt für mich von Anfang an Gewissheit darüber, dass sich hier Brecher an Brecher reihen wird. Es ist dunkel geworden im Westerwald und die besondere Atmosphäre vor einem Konzert am Abend verwandelt sich mit dem Intro und "The Ninth Wave" in einen einzigen Rausch vor der Bühne. Mittig toben die Moshpits, Crowdsurfing,
wohin man schaut, und die Band um Frontmann Christoph, der sich an allen Ecken der Bühne blicken lässt und dem man keineswegs anmerkt, dass er neulich noch mit dem Fahrrad von München nach Wacken gefahren ist, liefert komplett ab. Seien es die Chöre im Publikum bei "The Age Of Revolution" oder der brachiale Schlusssprint aus "When God Was Sleeping" und "Worlds Apart": Emil Bulls waren bereits vor zwei Jahren eine perfekte Wahl vom Pell-Mell-Team, und sind es in diesem Jahr erneut. Vielen Dank dafür!
Während sich das Festivalpublikum noch drei Bands inklusive Clawfinger zu Gemüte führen wird, steht für mich noch eine Stippvisite in der nähren Umgebung an. Der erste Tag in Obererbach hielt erwartungsgemäß genau das, was er im Vorhinein versprach, so wie ich es vom Pell-Mell Festival gewohnt bin.
Samstag
Mein Samstag beginnt am Mittag mit einem alkoholfreien Kaltgetränk in der Altstadt von Limburg an der Lahn. Da das Festival nur 15 Minuten Autofahrt von hier entfernt liegt, hatte ich in der Stadt eigentlich damit gerechnet, zumindest mal ein Festivalbändchen zu erspähen, was heute jedoch leider nicht der Fall ist. In Gedanken bin ich daher bereits bei denen, die gerade zwischen Zelt und Frühstückswagen pendeln und sich bereits vor Ort auf Festivaltag Zwei vorbereiten. Bevor ich davon allzu viel zwischen Touristen und Stadtführungen verpasse, geht es auch für mich zurück nach Obererbach, erneut durch die freundliche sowie gewissenhafte Zugangskontrolle und zu den letzten Klängen von "Make The Day" rauf aufs Gelände. Ich sehe und höre mit Blasinstrumenten gespickte Musik auf der zweiten Bühne, die Sonne brennt vom Himmel und der hintere Bereich des Festivalgeländes liegt aufgrund der hohen Bäume in der Umgebung im Schatten. Was will man denn von einem Spätsommertag noch mehr?
100 Kilo Herz
100 Kilo Herz reihen sicht nahtlos in die Reihe von Bands ein, die in der Redaktion immer mal wieder Thema sind, die ich aber bisher weder live gesehen noch großartig aktiv gehört habe. Meine Aufmerksamkeit richtete sich vor einiger Zeit auf die Band, als Steffen von Grundhass als neuer Bassist und Sänger der Band vorgestellt wurde. Mit Steffen hatte ich bezüglich der ersten Veröffentlichung von Grundhass bereits Kontakt, die Vinyl dreht sich immer mal wieder auf meinem Plattenteller zu Hause. Heute wird es endlich Zeit, 100 Kilo Herz auf der Bucketlist abzuhaken und dafür den Weg in die pralle Sonne zu bestreiten. Steffen selbst äußert sich immer mal wieder über die ihm entgegenstehende Sonne ("der ungünstigste Slot des gesamten Festivals, was den Sonnenstand angeht") und lässt sich im Verlauf des Konzertes eine Sonnenbrille reichen. 100 Kilo Herz haben bekanntlich mehr zu sagen als nur gegen die Sonne zu schießen und so werden anstehende Landtagswahlen genauso thematisch behandelt wie die eigene Position gegenüber Sexismus, Homophobie, Rassismus und Co. Vor der Bühne werden Fahnen geschwenkt und Rauchfackeln gezündet, was an einem Sommertag wie diesem ein wirklich schickes Bild abgibt. Der Soundtrack inklusive Trompete und Saxofon bildet das letzte Puzzleteil, um den zu Anfang noch verhalten gefüllten Bereich vor der Bühne relativ zügig zur Tanzfläche zu machen.
Siamese
Bühnenwechsel: Siamese schließen sich nach kurzer Pause an 100 Kilo Herz an. Von der Band selbst habe ich mir eigentlich erst am Vorabend einige Titel zeigen lassen und die Show der Dänen voller Vorfreude mit auf die heutige To-Do-Liste gesetzt. Es dauert nur wenige Songs, bis ich eine Instagramstory absetze und Siamese als "definitiv eine der ganz großen Überraschungen heute" betitel. Sänger Mirza ist offensichtlich nicht auf den Mund gefallen und nutzt jede Pause zur ausgiebigen Kommunikation mit dem Publikum. Er selbst betitelt die Musik der Band als "bastard metalish with huge pop influences", in diesem Sinne knallen Siamese dem Pell-Mell Festival einen Grund zur Moshpitaktivität nach dem Nächsten um die Ohren. Das Ganze gipfelt dann in "This Is Not A Song", der quasi Aufforderung dazu und laut Text auch Moshpit selbst in einem ist. Das Festivalpublikum feiert den Auftritt der Dänen jedenfalls sehr, ich schließe mich hier widerspruchlos an!
Während Paleface Swiss aus der Schweiz auf der Hauptbühne allen Freund*innen von Slam und Beatdown ein breites Grinsen ins Gesicht zaubern, reichen mir aus ganz simplen Geschmacksgründen recht wenige Minuten für die Entscheidung aus, mich erst einmal einem Snack zu widmen und dem sich immer wieder verändernden Angebot am Merchstand einen Besuch abzustatten. Mirza reicht bei Siamese höchstpersönlich Shirt um Shirt über die Ladentheke und auch bei Deine Cousine ist bereits vor der Show einiges los. Im Hintergrund höre vor allem in den Ansagen von Paleface Swiss, dass Ihnen die Außenseiterrolle im Line-Up des Festivals total bewusst ist, sie aber trotzdem die Chance nutzen wollen auch einmal etwas musikalisch anderes auf die Bühne zu bringen. VMZT aus der direkten Nachbarschaft (Raum Limburg) leiten anschließend mit ihrer nicht immer perfekten Performance (sie sagen aus Altersgründen) auf der kleineren Bühne spaßbehaftet langsam aber sicher zu Deine Cousine über, dessen Auftritt für viele eins der großen Highlight des Wochenendes sein wird.
Deine Cousine
Bei mir sieht es da nicht viel anders aus. Gestern waren es ganz klar Emil Bulls, auf die ich am meisten Vorfreude im Gepäck hatte. Heute ist es unter anderem Deine Cousine, die ich im Gegensatz dazu noch nicht ein einziges Mal auf der Bühne erleben durfte. Das soll sich jetzt also endlich ändern! Das Konzert gibt nach einem Intro mit dem gut bekannten Song "St. Pauli" direkt eine Richtung vor, die die Leute ordentlich auf Betriebstemperatur bringt. Auch wenn der Auftritt beinahe noch von einer Platzwunde eines Bandmitglieds verhindert worden wäre, springt Ina aka "Deine Cousine" immer wieder zusammen mit den Mitgliedern ihrer Band wie wild auf der gesamten Bühne herum und zeigt sich dabei auch durch Präsenz an der vorderen Bühnenkante extrem nahbar für ihr Publikum. Ich glaube, dass ich selten eine Band erlebt habe, die wahrscheinlich auch völlig Unbeteiligte so schnell auf ihre Seite ziehen kann. Sei es mit Songs wie "Bielefeld, Paris oder Madrid", "Attacke" oder "Scheiß auf Ironie", bei dem das gesamte Publikum die Mittelfinger in die Luft recken darf, oder sei es die Bühnenfigur Deine Cousine auf oder zwischendurch auch einmal zwischen all den Leuten vor der Bühne: Deine Cousine überzeugt an diesem Abend alle! Erwähnenswerte Geschichten sind das Wiedersehen mit dem Tankstellenbesitzer im Publikum, dem die Band kurz vor dem Festival noch einen Besuch an seiner Tankstelle abgestattet hatte oder das kleine Mädchen, welches am Bühnenrand stehend kurzerhand von Ina zum Tanz gebeten wurde. "Kinderbetreuung Deine Cousine" wird die Band das später auf Instagram nennen.
Den Auftritt von From Fall To Spring nach Deine Cousine sehe ich zwar, brauche aber ehrlicherweise noch etwas Zeit, um die Eindrücke der gerade geendeten Show zu verarbeiten. Man merkt trotzdem, dass die diesjährige Ausgabe des Pell-Mell Festivals langsam dem Ende entgegen geht. Zum einen hat jede*r hier zwar weiterhin große Lust darauf, ausgelassen zu Feiern, zum anderen werden die einen oder anderen Augen aber auch mittlerweile etwas müder, immerhin steht anschließend nur noch ein Konzert auf der Hauptbühne aus.
Skindred
Skindred habe ich im Juni bei Rock im Park in der Nürnberger Eishalle gesehen, vor ich weiß gar nicht wie vielen tausend Leuten im Publikum. Die damalige Show war mein erster Berührungspunkt mit den Walisern und hat mich komplett umgehauen. Aber klappt das auch vor vergleichsweise so wenigen Gästen? Vor allem die Mitmachaktionen wie sie bei "That's My Jam" gepflegt werden? Und hat Obererbach überhaupt Bock auf die ja doch manchmal etwas spezielle Musik der Band? Haben Skindred selbst überhaupt Lust auf ein kleineres Festival oder folgt eine Routineshow?
Die auf meine Gedanken folgenden 75 Minuten beantworten wirklich alle gerade gestellten Fragen nur positiv! Bereits bei "Set Fazers" zeigt sich, dass Obererbach auch zu späterer Stunde noch Kraft hat, bei "That's My Jam" klappt der Wechselgesang zwischen "Woop Woop" rechts vor der Bühne und "That's My Jam!" links vor der Bühne doch erstaunlich gut. Benji fährt Verkleidung um Verkleidung auf, trägt zwischendurch verschiedene Brillen, Hüte sowie Krawatten und die Band fährt mit "Kill The Power", "If I Could" oder "Gimme That Boom" wirklich jede große Nummer auf. Im Publikum wurden mal mindestens bei einigen Gästen fleißig Texte gelernt, sodass das letzte Konzert des diesjährigen Festivals nochmal alles zu bieten hat, was mein Fanherz im Vorfeld erwartet und begehrt hat.
Story of the day!
Auch wenn mit "Jak's Garage" in meiner Abwesenheit noch eine Aftershowparty bis 1:45 Uhr ansteht, möchte ich unter diesem Punkt meine ganz persönliche Geschichte des Wochenendes erzählen. Sie begab sich am Samstag, als ich von einem mir komplett fremden Mann mit Fischerhut und seinem Personalausweis in der Hand mit den Worten "Kann ich vielleicht ein Foto mit deinem T-Shirt machen?" angesprochen wurde. Mein fragender Blick bescherte mir mehr Informationen: Er hatte walisische Wurzeln und sein Nachname entsprach dem Bandnamen auf meinem Rücken (den ich aus Schutz der Persönlichkeitsrechte hier unerwähnt lasse). Den Personalausweis zeigte er mir zum Beweis. Mir war bis zu diesem Moment nicht bewusst, dass es Leute gibt, die wirklich den Namen dieser Band als Nachnamen tragen. Jedenfalls stimmte ich zu und ließ ihn ein Foto mit meinem Rücken machen. Bei jeder weiteren Begegnung auf dem Pell-Mell Festival nickten wir uns anerkennend zu. Falls du das liest: Viele liebe Grüße, Herr R.