The Courettes und "The Soul Of... The Fabulous Courettes": Mit den Sixties soulig ins Jetzt
18.10.2024 | Frank Diedrichs
Vor Jahren trafen sich die Brasilianerin Flávia Couri und der Däne Martin Couri (geb. Thorsen) in einem Tourbus, der sie mit ihren jeweils ehemaligen Bands durch Brasilien fuhr. Im Tourbus lernten sie sich kennen, stellten viele Gemeinsamkeiten fest. Nach über zwei Jahren Fernbeziehung zog Flávia schließlich nach Dänemark. Es folgten gemeinsame Musikaufnahmen, die Gründung ihrer Band The Courettes, die Hochzeit und der Beginn eines Tourwahnsinns, der sie in viele Locations weltweit führte. Glaubt mensch den Ausführungen in den Tiefen des Netzes, liefert das Duo live ordentlich ab.
Live treten die beiden mit Gesang, Gitarre und Schlagzeug auf. Der Sound ihrer Studioaufnahmen ist um einiges vielschichtiger. Unterstützt durch Multiinstrumentalist Søren Christensen, der auf dem Album Klavier, Orgel, Mellotron aber auch Backing Vocals beisteuert, entstand ein Sound, dessen häufige Einordnung in die Girl-Group-Sixties-Ära zu simpel ist. Dieses Grundelement begleitet die Songs, aber in den Songwritingprozess fanden fuzzige Gitarrenriffs und -slides aus Garage und Psychedelic Rock und die Doo Wop-Harmonien Einzug in die Songs. In der Gesamtheit ist somit kein Retrosound entstanden, sondern der Rückgriff auf Vintage-Sound, -Instrumente und -Equipment transportiert diesen ins Hier und Jetzt. Das klingt vertraut, aber erfrischend neu.
Der Opener „You Woo Me“ beginnt so gleich mit diesen typischen Sixties-Doo Wop-Harmonien. Der Gesang wird begleitet von einem kraftvollen, dynamischen Rhythmus der Drums. Beinahe charmant wird hier über Avancen und Liebe gesungen. Wie in „Don’t Want You Back“ reicht ein einzeiliger Refrain, um alles zu sagen. „California“ schließt sich beschwingt an. Träumereien von Sonne und Spaß, die aber trotz aller Sehnsucht nicht über den melancholischen Grundstimmung hinwegtäuschen. Dieses Kalifornien ist zu einem scheinbar verlorenen Sehnsuchtsort geworden. Hier tritt das erste Mal La La Brooks als Gastsängerin auf, deren Sixties-Girl-Group The Crystals eine Inspiration für den Sound des Duos sind. Einen Hauch von British Invasion, Northern Soul und den Beatles liegt über „Keep Dancing“, der das Lyrische Ich auf dem Grab eines Menschen tanzen lässt. Es ist beschwingt durch den Tod eines Peinigers, eines Menschen, der als abscheulich umschrieben wird. Das Beschwingte im Sound und dem Gesang transportiert das Gefühl, durch den Tod eines anderen befreit zu sein. Der Sound von „Here I Come“ ist im Vergleich wesentlich härter, fast punkig. Er transportiert die Drohung, „I’m gonna catch you someday“ gerade durch den etwas treibenden wirkenden Gesang Frávias sehr eindrücklich. Bereits im nächsten Song, „Don’t Want You Back“ hört mensch eher die Erleichterung über eine Trennung heraus, somit finden sich hier eher soulige Töne in Gesang und Sound. Denn bleibt trotz der Erleichterung über die Trennung eine „Wall Of Pain“, aus der mensch sich befreien muss. Der Harmoniegesang erinnert an Vorbilder wie The Four Tops oder The Ronettes. Die erste Seite der Vinyl-Version des Albums endet mit „Wall of Pain“.
Ging es in den ersten sieben Songs vielfach um Trennung, Sehnsucht und Schmerz, oftmals melancholisch interpretiert, beginnt die zweite Seite mit einem Track, der vor Energie überzusprudeln scheint. „Shake“ will zum Tanzen und Feiern bringen. Die eingeflochtenen Blasinstrumente verleihen dem Song einen Hauch von Ska Punk. „Boom Boom Boom“ greift die fast schon epische Frage nach „Stones“ oder „Beatles“ auf. Flávia entscheidet sich eindeutig für die Stones. Mit Textanleihen wie „You Can’t Always Get What You Want“ und “Paint It Black” wird die Entscheidung für die Stones durch das Drum Spiel eines Charlie Watts begründet. Ringo (Richard) Starr zieht den Kürzeren. „Better Without You“ greift nochmals textlich das Motiv einer Trennung auf. Bläser bringen in diese Up Tempo-Nummer souligen Schwung hinein. Der Song „Run Run Runaway“ ist der zweite, auf dem La La Brooks als Gastsängerin auftritt und dem Song mit dem gemeinsamen Harmoniegesang erneut zusätzliche Authentizität verschafft. Der Beginn des Tracks erinnert stark an das Intro von The Walker Brother und deren Hit „The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“, aber im Gegensatz zu dem eher deprimierenden Lyrics steht in „Run Run Runaway“ der Aufbruch und ein möglicher Neuanfang im Vordergrund. „Lies“ rechnet mit den ewigen Lügen ab, die mensch nicht mehr ertragen kann, während „Stop! Doing That“ einer Selbstbefreiung von Unterdrückung und Schmerz gleichkommt. Diese Selbstbefreiung scheint zu erleichtern und Kraft zu mobilisieren, sich zu wehren. Der Sound vermittelt dies durch beschwingt wirkende Drums, das leise Klingen des Tamburins und die Orgel. Das Album schließt mit einem Duett. In „For Your Love“ führen fuzzige Gitarren in den Song ein. Flávia singt über die Sehnsucht nach der unerwiderten Liebe, Martin steigt ein, sie scheinen sich beim Singen umeinander zu bewegen, nicht ahnend, dass der andere ähnlich fühlt und leidet.
The Courettes leben ihren gemeinsamen Enthusiasmus, den sie auf jener Bank im Tourbus entdeckt haben, erneut aus. Ihr Sound, der die Sixties wieder aufleben lässt, aber mit eigenen Inspirationen anreichert, wirkt nie angestaubt, sondern lässt ihre Leidenschaft und Liebe für modernen Garage-Girl Group-Fuzz-Sound erkennen.
Wertung
Dass die Sixties in all ihren Facetten hervorragende Musik herausgebracht haben, ist bekannt. The Courettes schaffen es aber diesen typischen Sound ins 21. Jahrhundert zu transportieren. Entstanden sind dabei Song, die leidenschaftlich von Liebe, Trennung, Sehnsüchten und Befreiung erzählen. Das bereits vierte Album des Duos ist mein persönlich erstes Album. Und genauso wie die musikalischen Vorbilder von Flávia und Martin Courie facettenreich waren, so hat mir an diesem Album die facettenreiche Interpretation einer nur scheinbar angestaubten Ära gefallen.
Frank Diedrichs
Frank lebt seit über zwanzig Jahren in der Mitte Niedersachsens und unterrichtet Kinder und Jugendliche an einer Oberschule. Nach seiner musikalischen Erstprägung durch die Toten Hosen und Abstürzenden Brieftauben erweiterte er seine Hörgewohnheiten: Folkpunk, Singer-/Songwriter, Blues, Deutschpunk, US-/UK-Punk. Dabei kommt von Johnny Cash über The Beatles und Pascow bis hin zu Marvin Gaye eine Menge Vielfalt aus den Boxen, am liebsten als Vinyl.