Amyl And The Sniffers und "Cartoon Darkness": Auf der Überholspur bei sich geblieben
25.10.2024 | Frank Diedrichs
Drei Jahre liegt das letzte Album „Comfort To Me“ zurück. Oberflächlich betrachtet mag sich die Band aus dem australischen Melbourne auf ihre gewohnten Fähigkeiten verlassen, aber „Cartoon Darkness“ ist lyrisch differenzierter und musikalisch variantenreicher. Bereits der Opener „Jerkin“ gleicht einer Abrechnung („You’re an asshole“) mit all denjenigen Menschen (Amy Taylor findet da wahrlich treffendere Worte), deren Lebenssinn die Kritik und die Negation aller nicht der angeblichen Norm entsprechender Menschen ist. Bereits mit dem vorab veröffentlichten Video liefern Amyl And The Sniffers ein Statement für Selbstliebe und gegen Body-Shaming.
Die Reduzierung auf Äußerlichkeiten, die Rechtfertigung Amys für ihre Vorliebe für das Tragen von Bikinis auf der Bühne findet in „Tiny Bikini“ statt. Mit unschuldiger, fast säuselnder Teenie-Stimme steht sie auch hier für Selbstbehauptung ein. Im anschließenden Track „Big Dreams“ wirken die Vocals ungleich reifer, erwachsener. Dieser Song sticht auch durch die Instrumentierung heraus. Die Gitarren sind wesentlich cleaner als in den übrigen Songs, eher im Rock zu Hause als im Punk. Aber mit „It’s Me“ ändert sich auch das. Das Album nimmt Fahrt auf. Die Gitarren, nun stärker verzerrt, bilden einzelne Grundgerüste aus markanten Riffs wie in „U Should Not Be Doing This“. Die scheppernden Becken und Kick- und Snare-Drums treiben die Songs voran und ermöglichen den Songs, in all ihrer Aufgewühltheit in der Spur zu bleiben. Amy Taylor variiert bewusst in den einzelnen Track mit ihrer Stimme. Die Vergleiche mit Poly Styrene (X-Ray Spex) oder Brody Dalle (The Distillers) bieten sich an. Dennoch kopiert Amy keinen Stil. Sie verbindet Gesang und Instrumentalisierung zu einer Einheit und baut ihre Vocals passend zur Stimmung an. So hat sie in „Bailing On Me“, das im Intro klingt wie The White Stripes klingen, eine Stimme, die im Voodoo Club Phillip Boas ihren berechtigten Platz hätte. „Bailing On Me“ bildet mit dem übers Scheitern reflektierenden „Big Dreams“, eher den nachdenklichen Teil des Albums. Das folgende „U Should Not Be Doing That“ versucht all den Kritikern ihres Erfolges entgegenzutreten, denn wie seit Anbeginn des Punks steht bei Erfolg immer der Vorwurf des Punkverrats steht im Raum. Die selbstkritische Auseinandersetzung mit der Frage, was Erfolg aus einer Band, einem Menschen machen könnte, folgt aber in “Do It Do It“: „And when you get to the mountain top, will ya put all the snow on your nose?“ Die oben angesprochene Dunkelheit, die Ungewissheit, dass wir nicht wissen, was die Zukunft bringt, wird in „Going Somewhere“ aufgegriffen. Das Lösen von den negativen Äußerungen anderer („anyone can find dirt“) und das Hinwenden zum Positiven („it get hard work to find that gold“), ist nur möglich, wenn mensch unbekannte Pfade einschlägt. Das Album schließt mit dem starken „Me And The Girls“, eine Hymne der Befreiung aus der gesellschaftlich-erzwungenen, maskulinen Dominanz.
Die Verbindung von Opener und Closer des Albums zum Cover liegt nahe. Amy Taylor präsentiert sich selbstbewusst als sich selbst im Mittelpunkt des Bildes. Dennoch wirken die drei männlich gelesenen Mitglieder keineswegs als Randfiguren. Ein Bild, welches verdeutlicht, was eigentlich ein Grundprinzip unserer Gesellschaft sein sollte: die Gleichheit aller.
Nick Launay produzierte den charakteristischen Sound der Band. Und so klingen Amyl And The Sniffers auf ihrem vierten Studioalbum weiterhin wie Amyl And The Sniffers. Kritiker mögen ihnen vorwerfen, dass trotz erkennbarer musikalischer Entwicklungen, die Band ihre vertrauten Wege nicht verlässt. Aber die ewige Frage im Musikbusiness wird auch hier unbeantwortet bleiben: Müssen Künstler:innen sich immer wieder neu erfinden, um den Vorwurf des „Business as usual“ zu vermeiden. Aber die australischen Punks zeigen durchaus neue musikalische Tiefen, bauen Akustikgitarren ein, variieren in den Drum Parts, klingen wie Garage Rock und New Wave. Mit „Cartoon Darkness“ liefern Amyl And The Sniffers erneut IHR Album ab. Es ist musikalisch an ihren Fähigkeiten orientiert, textlich direkt und ungeschönt und weiterhin wütend und rotzig.
Wertung
Amyl And The Sniffers spielen rotzigen Punkrock, versetzt mit Garage Rock und New Wave. Das sie sich in aller Aktualität mit kritischen Themen auseinandersetzen gehört selbstredend dazu. Die knarzigen Gitarren, Drums wie Blitz und Donner und der unverkennbare Gesang Amys bilden eine Einheit und spiegeln die Fähigkeiten der Australier wieder, Punk mit neuen Elementen zu verschmelzen, ohne ihr Selbst aufzugeben.
Wertung
Auch wenn das Album in der zweiten Hälfte etwas ausfranzt und sich das Gefühl einstellt, es würden sich (durchaus wichtige und relevante) Themen zunehmend wiederholen, büßt "Cartoon Darkness" dabei nichts von seiner kratzbürstigen Energie ein. Wenn Amy Taylor mit beinahe verstörend kindlicher Quietschestimme über ihren "eenie weenie teenie Bikini" singt, dann trifft das genau den Grat zwischen unbeschwert und anklagend, den die Australier*innen seit ihrem Einbruch in die Szene so meisterhaft praktizieren. Amyl and the Sniffers erfinden sich hier keinesfalls neu, müssen sie aber auch gar nicht. Schließlich gibt es noch eine Menge zu sagen, und solange sie das so unterhaltsam tun wie hier, werde ich ihnen auch in Zukunft noch gern zuhören.
Frank Diedrichs
Frank lebt seit über zwanzig Jahren in der Mitte Niedersachsens und unterrichtet Kinder und Jugendliche an einer Oberschule. Nach seiner musikalischen Erstprägung durch die Toten Hosen und Abstürzenden Brieftauben erweiterte er seine Hörgewohnheiten: Folkpunk, Singer-/Songwriter, Blues, Deutschpunk, US-/UK-Punk. Dabei kommt von Johnny Cash über The Beatles und Pascow bis hin zu Marvin Gaye eine Menge Vielfalt aus den Boxen, am liebsten als Vinyl.