Boygenius und „The Record“: Schlicht-Weg
21.04.2023 | Jakob Uhlig
Allein das Wort „Supergroup“ ist bereits ein verdächtig nach industrieller Marketingkanone klingender Begriff, der auf die Sensationseffekte buhlt. Da werden ohnehin schon halbgottgleichen Männer wie Eric Clapton, Jack Bruce und Ginger Baker als Teil der Super-Ultra-Mega-Kombo Cream zu noch legendäreren Legenden, denen Plattenbosse am liebsten mit Feuerwerk und teurem Zigarrengrinsen augentränend die Hand schütteln. In diesem Konzept, das seit dem allmählichen Ende der Gitarrenära und dem Trend schnelllebigerer Features heute tendenziell eher weniger Bedeutung beikommt, sind Boygenius eine gleichzeitig angenehme und sich frisch anfühlende Erfahrung. Denn erstens sind Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus ohnehin schon weder in ihrem Auftreten noch in ihrer Musik für laute Töne bekannt. Und zweitens kauft man dem Trio – vielleicht gerade deswegen – auch ab, dass all das hier auf der schlichten Freude am gemeinsamen Musikmachen entsteht.
Spätestens nach den ersten Tönen vom ganz gemäß der soeben geschilderten Rahmenbedingungen schlicht betitelten „The Record“ ist nämlich das ganze Brimborium drumherum sowieso egal. Wichtiger ist das Changieren zwischen größer und kleiner instrumentierten emotionalen Momenten. Da fängt das Intro „Without You Without Them“ als bezeichnend schlichte A-Capella-Harmonie an, während der Closer „Letter To An Old Poet“ das Album zwar sanft, aber orchestral beendet. Die Platte entfaltet sich so über ihren gesamten Raum als Wechselbad verschiedener Ausprägungen eines Indierock- und Songwriter-Konglomerats, in dem sich keine der Protagonistinnen in den Vordergrund drängt, sondern die kollektive Lust am Musikmachen im Vordergrund steht. „The Record“ merkt man in der Schlichtheit seiner Anlage eben genau das an: Das, was am Ende klingt, ist immer am entscheidendsten. So viel Demut und gleichzeitige musikalische Klasse täte noch viel mehr Platten gut.
Wertung
Betörend schön, ohne sich nur darauf zu beschränken. Boygenius haben den egalsten Kult der Welt um sich versammelt.
Jakob Uhlig
Jakob kommt aus dem hohen Norden und studiert zur Zeit historische Musikwissenschaft. Bei Album der Woche ist er, neben seiner Tätigkeit als Schreiberling, auch für die Qualitätskontrolle zuständig. Musikalisch liebt er alles von Wiener Klassik bis Deathcore, seine musikalische Heimat wird aber immer die Rockmusik in all ihren Facetten bleiben.