Frank Turner und "Undefeated": Vom Leben ungebrochen
06.05.2024 | Frank Diedrichs
Auf den vergangenen Alben hat Frank Turner gezeigt, dass sein Songwriting einen großen Bogen von Punk über Folk hin zu Balladen spannen kann. Dass der langjährige Fan dabei auch mit ruhigeren, politischen Alben („Be More Kind“) oder Konzeptalben („No Man’s Land“) konfrontiert wurde, spricht uneingeschränkt für die Vielseitigkeit des Songwriters. Spätestens mit „FTHC“ kehrte Frank Turner musikalisch zu seinen Anfängen zurück, und auch „Undefeated“ liefert Songs, die punkig-folkig nach vorne treiben („Never Mind The Back Problems“), mit Sing-Alongs zum Feiern einladen („Do One“) oder durch ruhigere Klänge die Lyrics unterstreichen, ihnen Halt geben („Undefeated“). Und es wird ebenso deutlich, dass die Wut, die die früheren Alben stärker dominiert hat, mehr in den Vordergrund rückt. Dies mag der persönlichen pandemischen Rückschau („Pandemic PTSD“) oder dem Eintritt in ein neues Lebensjahrzehnt („No Thank You For The Music“, „Ceasefire“) geschuldet sein, aber er findet treffende Worte, lässt die Hörenden teilhaben und sich wiederfinden in seinen Lyrics.
Der Opener „Do One“ fasst die Kernaussage des Albums bereits zusammen und nimmt vorweg, welche Botschaft Frank Turner für seine Hörer:innen bereithält: „Just be a better you“ und „Don’t take anyone’s shit“. In „Nevermind The Back Problems“ weist Turner all diejenigen zurück, die immer noch jedem einreden wollen, Punk sei tot. Punk ist (sein) Leben, es ist „beer and straight egde kids and music that’s just noise, […] hardcore, grind and ska, and emocore and oi“. Wer vermag ihm da zu widersprechen? Die Auseinandersetzung mit dem eigenen jugendlichen Ich findet in „Ceasefire“ statt. Der Gegensatz zwischen dem heutigen Ich und dem Ich der Vergangenheit, dessen Ideale und Ziele Jahre später, wie ein quälender Geist für innere Konflikte führen wird, lässt Frank Turner in einen Waffenstillstand münden. Dieser Konflikt, der zu sein, der mensch eigentlich nicht sein möchte, wird in „Somewhere Inbetween“ nochmals aufgegriffen.
Es folgen weitere teils biografische Songs über Verliebtsein („Girl From The Record Shop“), den Verlust von Menschen und des Zuhauses („Letters“, „East Finchley“). Einen bleibenden Eindruck hinterlässt der gesellschaftskritische Song „No Thank You For The Music“, in dem Turner mit einer Direktheit klar macht, „[that he] wouldn’t give a fuck about“ all diejenigen, die sich anmaßen zu bestimmen, was Kunst oder Style sei. Und mensch kann sich in Anbetracht der gegenwärtigen Situation, in der Algorithmen und angebliche Influencer:innen maßgeblich den Mainstream bestimmen, der Hoffnung anschließen, „that the kids have fangs to chew their way through the little Gordian knots“, um diese Entwicklung zu durchbrechen. In einem der kürzesten Songs des Albums, „The Leaders“, findet sich eine der wichtigsten Aussagen des Albums: „If we want this shit to change, it’s up to us and no one else“. Der Song „Show People“ knüpft an die Aufforderung an die Jugend, ihren Weg zu gehen, an. Auch in diesen Lyrics findet sich viel Autobiografisches, den Turner berichtet von seinem Weg, trotz Widerstände sich den eigenen Traum zu erfüllen, auch „that you were scorned just for being yourself“. Der Song „On My Way“ ist eine gefühlvolle, akustische Liebeserklärung an seine Frau und gleichzeitig eine Entschuldigung für seine Liebe zum scheinbar nie enden wollendem Touren. Aber vielleicht führt uns „International Hide And Seek“ in eine mögliche Zukunft, in der Frank Turner mit seiner Frau, sich auf den Weg macht, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen.
Der Song „Pandemic PTSD“ nimmt eine besondere Position im Kanon des Albums ein, da er nicht nur in medizinischer Klarheit den Begriff im Refrain erläutert, sondern auch auf fast intime Weise die Auswirkungen der Pandemie auf Frank Turner und dem Eingeständnis, „that I didn’t know how to feel about the shit that we just lived through“. Der Titel gebende Song „Undefeated“ am Ende des Albums führt letztlich Gedanken aus dem Pandemic-Song fort. Die Offenheit Frank Turners, dass vieles im Leben schmerzt, das Zugeben von Fehlern und das Zeigen von Reue, aber auch Stolz, zeigt wieder mal die Authentizität des britischen Musikers.
Frank Turner wird auch auf diesem Album von seiner Backing-Band The Sleeping Souls begleitet. Nach ihrem Solo-Album „Just Before The World Starts Burning”, welches im vergangenen Jahr released wurde, stellen sie ihre musikalischen Fähigkeiten wieder in den Dienst Frank Turners. Mit neuem Schlagzeuger (Callum Green) und einer differenzierten Instrumentierung, die das Piano ebenso einschließt wie Streicher- und Bläserarrangements, wirken die Harmonien, Riffs aber auch Schlagzeugparts und Lyrics perfekt aufeinander abgestimmt. Und es wird deutlich, Punk und klassische Instrumente schließen sich nicht aus. Die ersten zehn Songs versprechen dabei wilde Konzertmomente, bevor das Album am Ende ruhigere Töne anschlägt und die Hörenden mit fast orchestral anmutendem Closer „Undefeated“ im Bewusstsein ihrer eigenen ungebrochenen Lebenskraft entlässt.
Diskografie (Studioalben)
- Sleep Is For The Week (2007)
- Poetry Of The Dead (2009)
- England Keep My Bones (2011)
- Tape Deck Heart (2013)
- Positive Songs For Negative People (2015)
- Be More Kind (2018)
- No Man's Land (2019)
- West Coast Vs. Wessex (2020)
- FTHC (2022)
Wertung
Mit „Undefeated“ veröffentlicht Frank Turner ein lyrisch wie musikalisch facettenreiches Album. Dabei bildet die unverhohlene Auseinandersetzung mit den Geistern seiner Jugend, falschen Führern und Propheten, Liebe und Zerbrechlichkeit die Grundlage für eine Rückschau, die die Hörenden zurück in die Pandemie aber auch in Turners Jugend führt. Mit The Sleeping Souls an Turners Seite spannt sich der vielfältig instrumentierte, musikalische Bogen von Punk zu Balladen. Frank Turner zeigt sich auch hier wieder als authentischer Mensch und Musiker, mit der klaren Botschaft, sich vom Leben nicht brechen zu lassen. So habe ich ihn entdeckt und deshalb liebe ich seine Songs.
Frank Diedrichs
Frank lebt seit über zwanzig Jahren in der Mitte Niedersachsens und unterrichtet Kinder und Jugendliche an einer Oberschule. Nach seiner musikalischen Erstprägung durch die Toten Hosen und Abstürzenden Brieftauben erweiterte er seine Hörgewohnheiten: Folkpunk, Singer-/Songwriter, Blues, Deutschpunk, US-/UK-Punk. Dabei kommt von Johnny Cash über The Beatles und Pascow bis hin zu Marvin Gaye eine Menge Vielfalt aus den Boxen, am liebsten als Vinyl.