Lambrini Girls und “Who Let The Dogs Out”: Die richtige Wut zur richtigen Zeit
15.01.2025 | Frank Diedrichs
Bereits der Albumtitel „Who Let The Dogs Out“ greift misogyne Strukturen an. Dazu muss mensch sich auf eine Zeitreise ins Jahr 2000 begeben. Die bahamaische Band Baha Men veröffentlichte in diesem Jahr den gleichnamigen Song, der bereits 1998 von Anslem Douglas geschrieben wurde. Zu Beginn als Nonsens-Party-Track verschrien, offenbarte sich aber hinter der Aussage eine Kritik an Männer, die mit Cat-Calling und der Suche nach schnellem Sex, Frauen abwerten, wie Douglas in einem Interview 2016 deutlich macht. Das Bild der Party greift die Band auf ihrem Cover ebenfalls auf und entwickelt es zugleich weiter: toxische Männlichkeit, Selbstliebe, Queerness und der Bezug zu FLINTA*-Menschen verdeutlichen den Standpunkt der beiden Musikerinnen.
Die Auseinandersetzung mit den Lyrics der Band aus dem britischen Brighton verdeutlicht, dass die Wahl des Albumtitels schon eine sehr bewusste gewesen sein muss. In „Company Culture“ und „Big Dick Energy“ wird genau diese Misogynie angeprangert, und zwar mit Texten, die sich nicht angeblich gesellschaftlich anerkannten Sprachnormen bedienen. „Smile and ignore that my boss wants to fuck me” –Rat-Schläge, die Lilly Macieira (Bass) und Phoebe Lunny (Vocals, Gitarre) vehement ablehnen.
Aber zurück zum Beginn des Albums. Im Opener „Bad Apple“ legen die beiden Musikerinnen in einem schonungslosen Noise Rock/Riot-Punk-Werk mit ihrer Kritik an der Welt ohne Rücksicht los. Die Wut über die brutale Anwendung des Gewaltmonopols der Polizei („bad apple“) offenbart das marode System der Exekutive („not just bad apples, it’s the whole rotten tree“). In „Nothing Tastes As Good It Feels“ verdeutlicht, dass die bereits seit unendlich vielen Jahren angeprangerte Diet Culture nichts von ihrer zerstörerischen Gewalt verloren hat. Auch das Thema Gentrifizierung beschäftigt die Band. In „You’re Not From Around Here“ sind diejenigen, die sich durch die „Aufwertung“ von Stadtvierteln hier neuen Raum verschaffen, nichts anderes als Eindringlinge. In diesem Song ist einer der wenigen ruhigen Momente des Albums zu finden, wenn Phoebe Lunny mit Nachdruck die Verlierer dieser spätkapitalistischen Stadtentwicklungsprozesse aufzeigt: „Original residents, families, single working mothers, low-income households, are displaced from the very community that they helped build“. „Scarity Is Fake“ – ein 17 Sekunden langer Spoken Word-Einspieler – verdeutlicht diese antikapitalistische Einstellung noch weiter. Es folgen mit „Filthy Rich Nepo Baby“ (scheinheiliger Ruhm aus privilegierter Position heraus), „Special Different“ (gesellschaftliche Missachtung des umfänglichen, individuellen Ichs) und „Love“ (Zweifel an der wahren Lieben) weitere thematisch aktuelle Tracks. Der Schlusstrack „Cuntology 101“ greift mit „cunty“ einen Begriff auf, der immer stärker zum Ausdruck einer Selbstbefreiung gerade im Feminismus und für FLINTA*-Menschen geworden ist. Mit den ausdrucksstarken Lyrics hat dieser Song das Zeug zur Hymne: „Healing your inner child is cunty, getting therapised is cunty, having autistic meltdowns, cunty, learning how to let go is cunty, learning how to say no is cunty“!
Der Sound des gesamten Albums ist von Noise Rock und Riot-Punk geprägt. Dabei werden die musikalischen Vorbilder und Einflüsse sehr deutlich: Le Tigre, Bikini Kill oder White Lung. Die Gitarren verzerrt, rastlos und treibend, während die Drums scheppern und zerstören wollen, was in den Lyrics angeklagt wird. Neben der musikalischen Richtung nehmen sie sich auch an Vorbild in der Wut, die im Gesang der genannten FLINTA-Bands zum Ausdruck kommen. Phoebe Lunny rotzt ihre Texte mit ihrem unverkennbaren britischen Akzent den Hörenden so dermaßen von der Welt angewidert vor die Füße, dass mensch mit Lambrini Girls sofort übereinkommt, dass in diesem gesellschaftlichen Erbrochenem keine Hoffnung mehr steckt.
Was letztlich natürlich so nicht richtig ist. Denn auch das ist Punk: Nicht müde zu werden, auf diese Missstände hinzuweisen, sie im Kleinen verändern zu wollen, nicht die Gesamtheit des Systems verändern zu können, sondern einzelne Schrauben zu lösen, damit sich durch dieses Handeln die Communitys verändern und dem System immer wieder entgegentreten.
Wertung
Ich weiß, bereits Mitte Januar von einem der wichtigsten Alben des Jahres zu sprechen, mag vermessen zu sein. Aber Lambrini Girls liefern nun mal ein so heftiges Album ab, welches durch den Riot-Punk-Sound, die so unfassbare Wut in der Stimme Phoebe Lunnys und den so immens wichtigen Aspekten des menschlichen Niedergangs den Soundtrack dieses Jahres liefern. Mich hat dieses Album bereits beim ersten Hören voll erwischt und auch in der Folge mit seiner schieren Atemlosigkeit und inhaltlichen Präsenz nicht mehr losgelassen. Lambrini Girls sollen live diese Wucht noch stärker transportieren. Sie kommen nach Deutschland… Warum müssen Leipzig und Berlin nur so weit weg sein?
Wertung
Die Lambrini Girls sind genau das, was vielen Line-ups, Playlists und Mindsets fehlt. Hart rotziger FLINTA-Punk, welcher sich nicht davor sträubt, Menschen ans Bein zu pinkeln. Und dann ist das Album qualitativ auch noch absolut hervorragend. Hey Rock am Ring und Highfield, wie wäre es mit mehr Bands wie Lambrini Girls und weniger Tätern?
Frank Diedrichs
Frank lebt seit über zwanzig Jahren in der Mitte Niedersachsens und unterrichtet Kinder und Jugendliche an einer Oberschule. Nach seiner musikalischen Erstprägung durch die Toten Hosen und Abstürzenden Brieftauben erweiterte er seine Hörgewohnheiten: Folkpunk, Singer-/Songwriter, Blues, Deutschpunk, US-/UK-Punk. Dabei kommt von Johnny Cash über The Beatles und Pascow bis hin zu Marvin Gaye eine Menge Vielfalt aus den Boxen, am liebsten als Vinyl.