Liedfett und „Durchbruch“: Dieses Glück ist kein Zufall
28.07.2020 | Mark Schneider
Zum Ende des Jahres 2019 gingen Liedfett unter dem Motto „Goldene Zeiten“ auf Tour. Dabei traten sie überraschend hart auf. Wer die Hamburger als Akustikpunker kennenlernte, erlebte die Liedfett-Hymnen auf einmal mit einer E-Gitarre in ganz ungewohntem Kleid. Das gab den alten Hits eine komplett neue Note, fügte sich aber mit den ersten Vorgeschmäckern auf das neue Album „Durchbruch“ bereits vor den berühmten neun Monaten zu einer stimmigen Sache zusammen. Diese berühmten neun Monate später erblickt „Durchbruch“, das fünfte Baby (oder Studioalbum) der Band, nun das Licht der Welt. Das härtere Auftreten war kein einmaliges Experiment auf Tour, sondern der neu eingeschlagene Weg, den auch „Durchbruch“ konsequent verfolgt.
Blickt man auf diese Tour mit den ersten live performten Vorboten der Platte zurück, kommen einem diese Erlebnisse wirklich vor wie die besseren, goldenen Zeiten. Damals, als Konzerte wie das im Club Bahnhof Ehrenfeld in Köln noch ganz normal waren und wir uns nass geschwitzt zum spaßigen Sound der Hamburger die Kehle aus dem Hals sangen. Auch Liedfett verschoben Tourneen und mussten schweren Herzens Festivalauftritte absagen. Entgegen anderer Bands, die auch ihre Albumveröffentlichung verschoben haben, erscheint „Durchbruch“ aber mitten in der vielleicht bedrohlichsten Krise einer ganzen Musiklandschaft, um vor allem gefeiert zu werden. Auch ohne Tour, ohne Festival und ohne Releasehow á la Liedfett.
Der Schritt in diese neue Härte ist jedoch keineswegs als Tritt auf die Akustikpunk-Spaßbremse zu verstehen. Auch wenn Liedfett diesen Schritt weg von der Akustikmusik und hin zu lautem, schnellen Punkrock gegangen sind: Die zehn Titel der Platte laden, genau wie viele ihrer Vorgänger, zum lautstarken Mitsingen unter teils nachdenklichen Aspekten ein. Und auch wenn Liedfett die Hälfte der Titel bereits vor Release veröffentlicht haben, ist die zweite Hälfte der Tracks nicht nur Beiwerk. „Komm mal wieder runter“ läutet ein abwechslungsreiches und wie man es von der Band gewöhnt ist auch gut feierbares Album ein. Dennoch beschäftigen sich Liedfett auch auf „Durchbruch“ humorbehaftet mit nachdenklichen Themen wie zum Beispiel Wissen und Nicht-Wissen („Papagei“). Die typischen und altbekannten Attribute „Ballern, Bügeln, Feiern!“ behalten aber ebenso bandtypisch die Oberhand.
Bereits auf der Tour durften sich die Fans zu „3G“ einen abstrampeln. Der Song handelt von der Freude über die zurückerlangte Freiheit nach einer Trennung und hat absolut nichts mit der dritten Generation der drahtlosen Mobilfunktechnologie zutun. Auch die dritte Single „Urteil“ zeigte früh den bevorstehenden Weg auf und liefert die eine oder andere, für Liedfett-Verhältnisse sehr harte Passage. Das Ganze ist zugegebenermaßen gewöhnungsbedürftig, aber treibt das Album und die Musik der Hamburger ordentlich krachend voran. Pogo gab es auf den Konzerten vorher auch, dieser wird aber in Zukunft auch mal ruppiger ausfallen dürfen. Die typische Lucas-Uecker-Ballade „Zeit“ steht seinen Vorgängern sowie der gesamten Soloplatte von Uecker in Sachen Emotionen sowie einer Spur Nachdenklichkeit über die Vergänglichkeit in nichts nach. „Alle wissen Bescheid“ ist DER Ohrwurm der Platte, der uns mit dem gut gelaunten sowie sommerlichen Video gerne durch eben diesen Sommer begleiten darf.
Wertung
Auch wenn Liedfett auf "Durchbruch" lauter und schneller klingen, hat die Band ihren Humor und ihre ganz eigene Art keineswegs verloren. Wer bereits seinen Spaß mit den Hamburgern hatte, sollte der Platte auf jeden Fall die Chance geben, von ihrer härteren Art zu überzeugen. Bei mir hat sie es auf Anhieb geschafft.
Wertung
Mein verspäteter Erstkontakt mit Liedfett gibt Anlass, sich beizeiten näher mit dem bisherigen Schaffen auseinanderzusetzen. Neben dem reichlich humoristischen Albumtitel blitzen aus jeder einzelnen Note geballte Spielfreude und lyrische Finesse hervor.
Mark Schneider
Mark kommt aus der wunderschönen, ländlichen Provinz zwischen Siegen und Marburg an der Lahn. Ob kleine Acts im Club oder Musikgiganten vor Tausenden: Besucht wird, was laut ist und Spaß macht! Dabei sind im Genre (fast) keine Grenzen gesetzt.