Mia Morgan und "Fleisch": Abrechnungen
22.05.2022 | Paula Thode
Ein unendliches Streben nach Perfektion, um von der Gesellschaft als „schön“ anerkannt zu werden, toxische Beziehungen und das klassische Überdenken von Situationen und Kleinigkeiten - Mia Morgan rechnet in ihrem Debütalbum mit den Dingen ab, die einem den Kopf zerbrechen. „Fleisch“ bewegt sich irgendwo zwischen Indiepop, Wave und Neue Deutsche Welle.
Durch die Synthesizer entsteht ein gewisser Wave Charakter, der dann phasenweise diesen Neue Deutsche Welle Nachgeschmack mit sich trägt. Wohingegen das Intro zu „Segen“ eher nach Gothic Wave als nach Neue Deutsche Welle klingt. Dieser Sound wird dann aber wieder in der Hook gebrochen. Vor allem in dieser Hook spürt man gewisse, musikalische Parallelen zwischen Mia Morgan und Drangsal. Es sind vorrangig ihre Vocals und die Melodie in der Hook, die stark an Drangsal erinnern. Das ist kein Zufall, schließlich arbeiten beide schon länger zusammen und auch bei dieser Produktion hat Drangsal den ein oder anderen Ratschlag verteilt.
„So schön werde ich nie sein“
Wer nach unerreichbaren Idealen strebt, verliert sich und seine eigene Identität irgendwann in diesem regelrechten Schönheitswahn. In „Schönere Frauen“ beschäftigt sich Mia Morgan mit dem unendlichen Streben nach Perfektion und der bleibenden Unzufriedenheit mit dem eigenen Spiegelbild aufgrund von unerreichbaren Beauty Standards, die sich in der Gesellschaft fest verankert haben. Es geht vor allem auch darum, sich ständig mit anderen Menschen vergleichen zu müssen, um immer neue „Fehler“ und „Makel“ an sich selbst zu entdecken.
Vor allem das Riff im Intro zu „Schönere Frauen“ vermittelt ein energiereiches, spannendes Gefühl, welches von Mia Morgan nur selten genutzt wird. Stattdessen bewegt sie sich eher in laschem Indiepop und schafft es nur selten, authentische Emotionen zu vermitteln. Dadurch wirken auch die Texte sehr leblos, obwohl die Thematiken, mit denen sich Mia Morgan in „Fleisch“ beschäftigt, an sich sehr tiefgreifend und persönlich sind.
Natürlich darf bei einem Indie-Pop-Album die Liebe, beziehungsweise eher der Herzschmerz nicht fehlen. Mia Morgan widmet „Widerlich“ ihrer Obsession mit sogenannten „Bad Boys“ und singt über Beziehungen mit eben solchen Menschen und vor allem auch, wie man sich selbst in diese toxischen Beziehungen stürzt, obwohl man vorab schon weiß, dass man sich damit im Endeffekt nur selbst schädigt.
Wertung
Beim Hören des Albums kommt so eine gewisse Gleichgültigkeit auf. Die Platte hat gute Ansätze, aber im Endeffekt schafft es Mia Morgan nicht, wirklich authentische Gefühle zu erzeugen. Stattdessen gibt es überwiegend nervige Pop-Melodien und einen immer wiederkehrender Neue-Deutsche-Welle-Vibe.
Wertung
War die EP „Gruftpop“ von Anfang bis Ende edgy und interessant, ist „Fleisch“ über längere Strecken musikalisch doch etwas gleichförmig und blutarm – trotz Mia Morgans Selbst-Identifikation mit der männerfressenden Titelfigur aus „Jennifer‘s Body“. Im Gesang und in den Texten findet sie hingegen häufig die richtige Balance aus Verletzlichkeit und Selbstbewusstsein, die das Album durchaus hörenswert macht.
Paula Thode
Paula kommt eigentlich aus Cuxhaven, ist dann aber für ihr FSJ nach Hamburg gezogen. Dort hält sie es durch die Liebe zum Underground Hip Hop und aus Faszination zum autonomen Zentrum in der Schanze ganz gut aus. Ihre Liebe zur Musik hat sie durch die Antilopen Gang entdeckt und seitdem interessiert sie sich für alles, was nicht Mainstream-Deutschrap ist.