Parcels und "Day/Night": Im Zwielicht
21.11.2021 | Niels Baumgarten
Nach einer Fülle an EPs und Singles erschien 2018 das selbstbetitelte Debüt-Album „Parcels“. Es folgten Auftritte bei diversen YouTube Formaten und ein wunderbares Live-Album, welches die bisherige Diskographie zusammenschnürte. Die Betonung liegt hierbei auf „DISKO-graphie“, denn mit ihrem einzigartigen Mix aus Disco, Pop und Funk in einem unverkennbaren 60s Vibe auf höchster musikalischer Könnens-Stufe, spielten die Australier, die Berlin zu ihrer Wahlheimat gemacht haben, sich schnell in die Herzen vieler.
Im Frühjahr 2020, vor Corona und während Australien, das Herkunftsland des Quintetts, in Flammen stand, schrieben Parcels dort in einer Hütte ihr Folge-Album „Day/Night“. Produziert von James Ford, der bereits für Foals, die Arctic Monkeys, Gorillaz oder Depeche Mode als Produzent tätig war. Nach fast zwei Jahren des Vorlaufs entstand so aber nicht einfach ein Album, sondern direkt ein Doppelalbum mit satten 19 Songs. Konzeptuell macht „Day/Night“ einen Cut in der Hälfte. Organisch wie der Tag/Nacht-Zyklus soll auch die Platte wirken, wobei die ersten Songs das „LIGHT“, das helle, fröhliche darstellen und die zweite Hälfte die „SHADOW“ Seite, das melancholische. So zumindest die Theorie. Allerdings wirkt in Praxis die Einteilung der Songs auf ein dichotomes System manchmal schwer nachvollziehen. Es entsteht der Verdacht, dass im Nachhinein ein Konzept gesucht wurde, um ein Doppelalbum zu legitimieren und gleichzeitig den Anschein eines Konzeptalbums zu wecken. Zum Beispiel befindet sich „Nowicaresomemore“ auf der ersten Hälfte wirkt hingegen langsam und meditativ. „Famous“ auf der anderen Seite, klingt aber viel eher an den bisher bekannten 60s-Disco-Vibes orientiert. Findet sich trotzdem auf der Nacht Seite wieder. Aber was wäre ein Abend schon, wenn man nicht die Tanzschuhe auspackt? Rein praktisch gesehen wäre aber auch eine strikte Aufteilung etwas langweilig, wenn man erstmal neun schnelle Tracks und dann nur noch langsame Musik zu hören kriegt. Vielleicht darf man das mit der Zweiteilung auch nicht so ernst nehmen.
Geht man aber etwas weniger zynisch oder korrekt an das die Zweiteilung, kann man aber sicherlich etwas Befriedigung und Bestätigung in der Dualität finden. So befinden sich in der zweiten Hälfte doch überwiegend langsame Songs, die für Parcels untypisch sogar mit Streichern untermalt sind. Das Tempo ist dort langsamer, die Songs weniger aufgeregt.
Konzept hin oder her: Was man aber auf dem ganzen Album findet, sind mehr als starke Songs. Von Parcels kann man aber auch nicht weniger erwarten. Und Parcels liefern ab. „Free“ und „Comingback“ klingen dabei so, wie man sich die Musik der Australier abgespeichert hat. Mehrstimmiger Falsettgesang, rhythmisch, aufregend. Das Parcels aber nicht nur Disco können, beweisen sie mit „Daywalk“, der stärker groovet als manch ein Boogie.
Der Cut zwischen Tag und Nacht ist ganz in der Analogie ein fließender Übergang, also praktisch einen Sonnenuntergang, der passend durch „Outside“ vertont wird. Der Track klingt introspektiv und ist ebenfalls mit Streichern unterlegt - ein Motiv, was sich, wie gesagt, ab der zweiten Hälfte immer wieder findet. „Nightwalk“ kann sicherlich auch als Gegenspieler zum Track „Daywalk“ gesehen werden und kommt ebenfalls mit Streicherarrangement daher.
Am Ende stellt sich aber eine Frage, die sich jedes Doppelalben stellen muss: Hätte es wirklich so Songs gebraucht? Ist jedes Lied so gut oder einzigartig, dass man nicht auf es hätte verzichten können? Denn perfekt ist, wenn man nix mehr hinzufügen kann, aber halt auch nichts mehr wegnehmen kann.
Wertung
Kritik kann vor allem am Konzept geübt werden. Das Konzept ist nicht stark genug nachvollziehbar, um ein Doppelalbum und ganze 19 Songs zu legitimieren. Damit weist auch „Day/Night“ das Problem fast aller Doppelalben auf: hat es wirklich so viele Songs gebraucht? Nichtdestotrotz schmälert das nicht die Qualität einzelner Songs, die, wie von Parcels gewohnt, mehr als abliefern.
Niels Baumgarten
Aus Köln stammend studiert Niels mittlerweile Kunstgeschichte und Musikwissenschaften in Düsseldorf. Hier ist er auch als Bassist und Gitarrist tätig und übernimmt immer wieder die Aufgabe des Bookers für lokale Konzerte und Festivals. Mit Punk, Prog und Hip-Hop aufgewachsen, hat er das Gefühl, dass die Bands seiner Teenager-Tage monoton und langweilig geworden sind und widmet sich deswegen heutzutage dem Experimentellen und Einzigartigen.