Riot V und „Mean Streets“: Die guten Seiten der Konformität
15.05.2024 | Marco Kampe
Das zurückliegende Jahrzehnt brachte für einige, in wechselnder Besetzung teils seit Jahrzehnten musizierenden Bands die ersten Nummer-1-Platzierungen, speziell im deutschen Musikmarkt. Seit 2014 waren dies u.a. Accept, Helloween, Motörhead und Kreator. Judas Priest reihten sich unlängst mit dem von Kritiker:innen gefeierten Spätwerk „Invincible Shield“ in ebendiese illustre Gesellschaft ein. Die Stilisierung als Outlaws, gefangen im Kampf um Ingroup/Outgroup-Identitäten, funktioniert nurmehr auf einer metaphorischen Ebene, stößt jedoch nichtsdestoweniger auf immensen, zuweilen selbstironischen Anklang und ist auch aus anderen Stromgitarrenspielarten nicht wegzudenken (funktioniert Punkrock ohne Abgrenzung von „den anderen“ überhaupt?). Nico Rose’s Buchveröffentlichungen zum Wesenskern der Szene seien an dieser Stelle wärmstens empfohlen.
Mit dieser Kontextualisierung im Sinn dreht nun also „Mean Streets“ seine Runden. Die US-Formation Riot (V) hat sich eine halbe Dekade für neue Klänge Zeit gelassen und möchte sich laut Presseveröffentlichung durchaus mit den zuvor benannten Größen messen (lassen). Pathos und der Dreck der Straße werden hier in Großbuchstaben geschrieben. Und „Hail To The Warriors“ bzw. „Feel The Fire“ liefen uns Zug um Zug Erwartbares in Hülle und Fülle. Das darauffolgende „Love Beyond The Grave“ muss sich in Rob Halfords Gesellschaft nicht unwohl fühlen, was angesichts der musikalischen Sozialisation der heutigen Besetzung keinesfalls überrascht. Lederkutten, überhöhter Bier- und Fleischkonsum, ein Fable für fossil betriebene Kraftfahrzeuge - Eindrücke des inneren Auges, welche in letzter Konsequenz genau so intentioniert sind.
„Before This Time“ oder der tonale Frontalangriff „Higher“ bewegen sich im Kielwasser melodischer Spielarten der Marke Blind Guardian. Todd Micheal Halls Gesang taugt hierfür allemal, an unangenehmes Gekreische erinnernde Gesangshöhen anderer Mitstreiter des klassischen Heavy Metal bleiben beruhigenderweise aus. Die Wahl von „Mean Streets“ als Titeltrack macht aufgrund des hymnischen Charakters Sinn, verkörpert es doch mit Bravour das nimmermüde Substrat des bislang Dargebotenen. Dieser Melodieliebe zum Trotz bleibt aber auch genug Spielzeit zum innerlich entspannten, äußerlich hingegen stoisch-grimmigen Kopfnicken, während „Mortal Eyes“ oder „Lean Into It“ keine nennenswerten Hartmetallwünsche offenlassen.
Müssen wir in der Gesamtschau nicht ein vernichtendes Urteil über erwartbare Kunst, Zielgruppenanbiederung oder gar Rückwärtsgewandtheit ziehen? Das kommt ganz auf den Bewertungsmaßstab an. Ja, wenn sich Albumveröffentlichungen ihre Daseinsberechtigung über Innovationsfreude verdienen müssen. Nein, wenn ein stimmiges Gesamtbild im Sinne eines Handwerks ausreicht, welches wieder und wieder zu achtbaren Produkten führt. Unweigerlich drängt sich die vielfach herausgetragene Selbstvergewisserung „Metal Will Never Die“ auf. Egal ob Durchhalteparole oder nüchtern-analytische Aussage, abzustreiten ist das nicht.
Wertung
Klar, man könnte von einer moralisch überhöhten Position über triefende Klischees und einen konservativ anmutenden Habitus urteilen. Ich erkenne allerdings die Langlebigkeit von Riot (V) und dem unmittelbaren Kollegenkreis durchaus an. Ein bisschen Beständigkeit in turbulenten Zeiten kann wohltuend sein, selbst wenn es nur ein Ritt über die „Open Roads“ ist.
Marco Kampe
Der vormalige Fokus auf verzerrte E-Gitarren ist bei Marco einem übergeordneten Interesse an der Musikwelt gewichen. Die Wurzeln bleiben bestehen, die Sprossen wachsen in (fast) sämtliche Richtungen. Darüber hinaus bedient er gerne die Herdplatten oder schnürt sich die Laufschuhe.