schubsen und „Das Öffnen der Visiere“: Männer von Athen
20.05.2024 | Moritz Zelkowicz
Die Welt ist aus den Fugen. Auch wenn das eine komplett überstrapazierte Allegorie ist, so wird sie von Jahr zu Jahr immer zutreffender. Die großen Fragen des Lebens werden umgeschrieben, denn als gegeben geltende Fakten werden plötzlich angezweifelt, die neuen Antworten darauf sind schlichtweg Wahn. Und in diesen Wahnsinn treten schubsen aus Nürnberg und stellen unverhohlen die wichtigen Fragen der Existenz. Und sich diese Frage zu stellen, war jüngst für die Band eine ganz zentrale Aufgabe, schließlich haben zwei von vier die Band verlassen.
„Das Öffnen der Visiere“ präsentiert sich musikalisch wie textlich ebenso unaufgeregt wie komplex. Man verzichtet auf wildes Schlagzeug Dreschen und auf verzerrte Gitarrengewitter. Ein unaufgeregter Drummer, eine unscheinbare Gitarre, dafür komplexe Basslines, minimalistischer Postpunk eben.
Der Fokus liegt dann auf den Texten und den großen Fragen, die gestellt werden: Muss ich immer alles sein? Woher kommt die Zufriedenheit? Wer baut die Häuser der Gewalt? Und wer reißt sie ab? Oder noch banaler: Wie soll ich es dir beschreiben? Weißt du was ich meine? Was sagen die Prognosen? Was machen wir jetzt?
Gerade letztere Frage fängt den Geist des Albums sehr gut ein. Wir können die großen Fragen erfassen, wir suchen aber mehr nach Antworten, als dass wir sie wirklich beantworten könnten. Und so bewegen wir uns irgendwo zwischen Rausch, Wahnsinn und einem Abgrund der Wirklichkeit, in den man sich zu selten traut hineinzuschauen.
Doch wo ist nun Aristoteles auf diesem Album? Nun, auch wenn die gewählten Worte sehr kryptisch sind, so sagen sie doch einen Kern der Philosophie des Aristoteles aus. Menschlicher Fortschritt ergeht meist durch logisches Schlussfolgern. Und doch werden Wirklichkeiten im heutigen Wahnsinn derart verschoben, dass in großen Kreisen wissenschaftliche Wahrheiten plötzlich wie Gotteslästerung behandelt werden und auch so behandelt werden sollen wie im alten Griechenland, nämlich mit der Todesstrafe. Die Parallelen zwischen heutigem Populismus und Fake News und der Anklage des Aristoteles wegen Gotteslästerung sind gravierend. An dieser Stelle sei „Die Apologie des Aristoteles“ empfohlen, ein philosophisches Einsteigerwerk, auch in seiner Länge erquicklich.
schubsen sind mit ihrem nun mehr dritten Album absolut unübersehbar in der Postpunkszene, denn diese Texte sind schlichtweg sensationell und sie dürfen sich durchaus mit Szenegrößen wie Turbostaat messen. „Das Öffnen der Visiere“ ist ein schier unerschöpflicher Brunnen an hervorragenden Zitaten und definitiv jetzt schon ein kleiner Meilenstein in der deutschen Postpunkhistorie.
Wertung
Es ist kompliziert, es hat wenig Ohrwurmpotential, es ist nichts für zwischendurch. "Das Öffnen der Visiere" ist ein komplexes Album, das sein volles Potential erst nach und nach entfaltet, da man sich intensiver damit auseinander setzen muss. Wer sich die Mühe macht, der wird von schubsen mit einem vortrefflichen Postpunkalbum belohnt.
Moritz Zelkowicz
Moritz deckt als Franke den Süden Deutschlands ab. Er versucht beständig Teil der Lügenpresse zu sein, ist aber ansonsten im Marketing tätig. Musikalisch ist er überall dabei, ob Punk, Core oder Rap, erlaubt ist, was gefällt.