Shitney Beers und "Amity Island": Jede:r nur eine Insel
16.12.2024 | Dave Mante
Passend zum Anfang der kalten Jahreszeit, Regenwetter und eisigem Wind bringen Shitney Beers den durchaus passenden Soundtrack mit großem Kontrapunkt. Denn das Album mit Namen Amity Island zeigt eine kleine einsame Insel, irgendwo in blauem Wasser und so klingt auch dieses Album, wie eine winzige, sonnige Insel im tiefen Dunkel der Vorweihnachtszeit.
Dabei beginnt Amity Island so melancholisch, wie es aufhören wird. Das „Intro“ ist dabei schon durchaus mehr als ein solches, denn es spricht von negativen Gedanken und schlimmerem „No more selfharm now. No more helplessness“. Mit „Maya Hawke“, benannt nach der Schauspielerin, welche die Rolle der Robin in der Serie Stranger Things spielt, beginnt die Band ihre kleine Insel Odyssee dann in Gänze und spielt eine ruhige, wenn auch eindrückliche Hymne der Queerness. Shitney Beers sind dabei keineswegs abgeneigt auch Dinge wie Gitarrensoli oder gar stadionrockartige Riffs wie bei „N4N“ einzubauen. Mit solchen kleinen, teilweise im Hintergrund versteckten Spielereien erhält die Band das Unerwartete und jedes Mal ein wenig Vorfreude auf den nächsten Song. Bewiesen wird dies direkt mit „Dawn Girl“, in bester Midwest-Emo Manier werden Hörer*innen mit genretypischen Riffs und mehreren Vocalebenen belohnt, welche auch textlich von Bands wie American Football oder Modern Baseball geschrieben werden könnten. Auch ein Feature der Senkrechtstarterin Brockhoff lässt sich auf dem Album finden. „Done“ ist ein emotional aufgeladenes Duett, inklusive Klavier und leicht sphärischen Instrumentals im Rücken, welches so wohl am besten gehört werden sollte, wenn man irgendwo, ohne Lichtverschmutzung die Sterne anguckt, und die andere Person sehr gern mag. Der Closer „We‘re Gonna Need a Bigger Boat“ beschäftigt sich mit dem Thema der Friendzone und benennt diese Beziehung als eine einsame Insel, umringt von Wasser, die namensgebene „Amity Island“. „I would try to make you mine. But I would only waste your time. So I’m stuck on amity island with you“. Dabei erklingt wie immer wieder auf dem Album ein leises Banjo, dazu gibt es leichte Vibes wie bei einem Lu‘au auf Hawaii und ganz viel Melancholie, wie eben auf einer einsamen Insel.
„Amity Island“ von Shitney Beers ist eines dieser Alben, welches vor allem sprachlos macht. Sprachlos weil alles gesagt wird, worüber man sich gerade Gedanken machen kann und so Geborgenheit versprüht wird. Dazu kommt der immer bleibende Moment der Überraschung, in welchem Aspekt man sich selbst im folgenden Song wiederfindet und vor allem, wie sich der nächste Track anhören wird, denn trotz der Tatsache, dass das Album so gut wie gänzlich beruhigter Emo-Rock ist, spielt die Band mit Erwartungen und lässt, wenn auch ganz sanft und oft im Hintergrund Aspekte anderer Genres einfließen und das ist es, was das Album auf eine weitere, noch bessere Ebene hebt. „Amity Island“ ist ein Winteralbum, aber auch ein Frühlingsalbum, Sommeralbum und Herbstalbum.
Wertung
In kürzester Zeit schaffen es Shitney Beers mich für eine Albumlänge aus der kalten Welt des Vorweihnachtsstresses, dem Geruch vom verbrannten Räucherkerzchen und dem Einprügeln von Weihnachtsliedern in jedem Supermarkt rauszuholen und auf eine kleine Insel, irgendwo zu entführen. „Amity Island“ trieft vor Melancholie, schweren Themen und trotzdem auch brachialer Positivität und Zuversicht, das Album schreit, sehr leise und beruhigt, dass wir alle auf unserer eigenen Insel hocken, wir aber trotzdem nicht allein in diesem Ozean sind.
Wertung
Amity Island ist ein wohltuendes und abwechslungsreiches Album. Der Sound wirkt nie aufdringlich, auch wenn die Gitarren immer wieder verzerrt abdriften, der Gesang bildet den Gegenpart, den die Instrumente brauchen, um nicht gänzlich aus dem Gleichgewicht zu geraten. Nur manchmal, in den kurzen knackigen Soli ufern sie aus, um im nächsten Song wieder in den Hintergrund zu rücken. Der Gesang mit seiner intonalen, berührenden Vielschichtigkeit entführt auch mich und lässt mich mit feuchten Augen von meiner persönlichen Amity Island träumen. Die Lyrics fühlen sich trotz ihrer Tiefe und Schwere immer hoffnungsvoll an. Auch wenn sie für die Generation geschrieben und von den Menschen gefühlt werden, die dreißig Jahre jünger sind als ich, kann auch ich mich in den Lyrics wiederfinden: "I wish I was more hedonistic".
Dave Mante
Aufgewachsen zwischen Rosenstolz und den Beatles hört sich Dave mittlerweile durch die halbe Musikwelt, egal ob brettharter Hardcore, rotziger Deutschpunk, emotionaler Indie oder ungewöhnlicher Hip Hop, irgendwas findet sich immer in seinen Playlisten. Nebenbei studiert er Kunstgeschichte, schlägt sich die Nächte als Barkeeper um die Ohren oder verflucht Lightroom, wenn er das gerade fotografierte Konzert aufarbeitet.