Thees Uhlmann und “Sincerely, Thees Uhlmann”: Freundliche Grüße zurück
20.12.2024 | Frank Diedrichs
Vorweg sei gesagt, dass diese Review sich nicht auf die klanglichen Qualitäten der Songs stürzen wird. Wer sich eine Analyse von Text- und Songstrukturen erhofft, dem sei empfohlen, andere Quellen ergänzend zu lesen.
Das Abenteuer dieses Albums beginnt schon mit dem Cover und dem Booklet. Thees Uhlmann sitzt in einer Backstage-Garderobe blickt mit einer nachdenklich-rückblickenden Mimik in den Spiegel. Es schimmert immer noch der jüngere Thees Uhlmann durch, der Ende der 90er Jahre mit Tomte die Hamburger Schule weiterentwickelte. Aber auch der Thees Uhlmann, der im Jahr 2024 angekommen ist, gerade mal sieben Monate jünger als der Autor dieser Zeilen, steckt in diesem Stillleben aus Melancholie, Erinnerungen, Nostalgie und Geschichte. Front- und Back-Cover ergeben ein Wimmelbild an Erinnerungsstücken aus der Tomte-Ära (1998 bis 2010) und den Solowegen Uhlmanns (seit 2011): von Fotografien über Bücher bis hin zur Nasendusche. Zu jedem Erinnerungsstück erzählt Thees im beigelegten Booklet eine Geschichte, nimmt den Betrachter und Leser mit in die Vergangenheit. So erklärt sich die Maske Chewbaccas ebenso wie das doch zuerst verstörende Vorhandensein eines Rattengold-Kulturbeutels. An diesem Punkt hat das Album den Plattenteller noch nicht erreicht, dennoch ist mensch mittendrin in der Geschichte Uhlmanns und steigt ein in die Geschichte Tomtes, deren Anfänge in AJZ liegen, hin zum Stadion-Indierock eines Thees Uhlmanns.
Kann mensch sich ausmalen, wie emotional-intensiv diese Zusammenstellung dieser Historien-Collage gewesen sein muss? Allein die ersten Ansätze für das eigene Leben eine ähnliche Zusammenstellung zu erstellen, führt zum Zusammenbruch einzelner Hirnareale und zwingt Synapsen, sich auszuschalten. Aber diesen Prozess haben die Menschen um Thees Uhlmann mit ihm nochmals auf musikalischer Ebene durchlebt, um aus fünf Tomte- und drei Solo-Alben die Quintessenz dieses Gesamtwerkes herauszupressen. Wenn die Memorabilien den Spot eher auf einzelne Wegmarken und Einflüsse richten, unterlag die Auswahl der 29 Songs einem Prozess, der von Wiederentdeckung und Bewusstwerdung der eigenen musikalischen Evolution geprägt war. Diese Auswahl ist letztlich sehr persönlich und von innen heraus entstanden, wobei gerade die Auseinandersetzung mit den älteren Songs für Uhlmann herausfordernd gewesen sein muss. Und so ist „Sincerely, Thees Uhlmann“ kein Best Of-Album mit Songs, die alte und neue Fans hören müssen, sondern das Ergebnis intensiver Auseinandersetzung, letztlich geprägt von Freude, „die sich hoffentlich auf jeden Menschen überträgt, der [dieses Album] anhört.“
Aus diesem Grund obliegt es niemanden, die Auswahl zu kritisieren oder zu bewerten. Jede(r), der sich intensiv in Tomte und Thees Uhlmann hineingehört und der Musik Einlass in das eigene Leben gewährt hat, wird Lieblingssongs haben, zusammengestellt in einer persönlichen Playlist. Aber sich auf diese Compilation einzulassen und zu ergründen, was die Songs anderen Menschen bedeuten könnte, ist etwas, was empathischer nicht sein könnte.
Viele Werkschauen bauen sich chronologisch auf und wollen die musikalische Entwicklung der Künstler aufzeigen. „Sincerely, Thees Uhlmann“ bricht mit diesem Aufbau. Scheinbar nach dem Zufallsprinzip wurden die Songs aneinandergereiht, eine aufreibende Offensichtlichkeit einer fehlenden Systematik. Aber glaubt mensch den Liner Notes, steht hinter der vielfach intern diskutierten Abfolge der Songs etwas Tieferes, was sich den Hörenden wahrscheinlich erst nach unendlichen Rotationen und einem Eintauchen in die Textstrukturen erschließen wird. Und so wird mensch, nachdem sich die Platte endlich dreht und die Lieder aus den Boxen fließen, beim Hören immer wieder auf neue Zeitreisen geschickt und gezwungen sich immer wieder neu zu orientieren. Da folgt beispielsweise auf den hingerotzten Tomte-Song „In Köln und dann in meinem Zimmer“ („Du weißt, was ich meine“, 1998) das intime, erzählerische „Ich bin der Fahrer, der die Frauen nach Hip Hop Videodrehs nach Hause fährt“ („Junkies und Scientologen“, 2019). Und nachdem sich vor „Avicii“ („Junkies und Scientologen“, 2029) verneigt wurde, wirft „Wilhelm, das war nichts“ („Eine sonnige Nacht“, 2000) die Hörenden zurück in eine melancholische Phase mit dem Wusch, sich selbst lieben zu können.
Jede Werkschau wird sich immer mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob sie nötig sei, auch Thees Uhlmann und GHvC. Besonders wenn ein Album als variantenreiche Vinyl herausgebracht wird, wird der Speer der Konsumkritik geschleudert. Zum einen muss aber endlich erkannt werden, dass die Künstler:innen und unabhängigen Labels ausschließlich durch Streaming nicht (über-)leben können. Die physischen Tonträger sind neben Konzerten und Merch ein existentieller Faktor, um überhaupt Einnahmen zu erzielen. Zum anderen muss sich niemand gezwungen sehen, sich überhaupt mit Werkschauen auseinanderzusetzen. Dass GHvC ihrer absoluten Überzeugung gefolgt sind, „Sincerely, Thees Uhlmann“ herauszubringen, verdeutlicht erstmal grundsätzlich die Wertschätzung, die der Band Tomte und dem Künstler Thees Uhlmann entgegengebracht werden. Und dieses Album bietet Menschen die Möglichkeit, die Musik (wieder) zu entdecken, aber auch zu erfahren, wie Thees Uhlmann sich seinen Songs gegenüber positioniert, ihre Wertigkeit und Wichtigkeit empfindet.
Und mal im Vertrauen – auf dem Album sind 29 starke und hörenswerte Songs, die in dieser aus dem Empfinden des Künstlers erstellen Zusammensetzung und Reihenfolge eine von Hörenden zu erforschende Einheit bilden.
Wertung
Die Songs von Tomte und Thees Uhlmann in dieser Zusammenstellung zu hören, ist ein Genuss. Das Eintauchen in das Cover offenbart die Geschichte hinter Band und Künstler, das Einlassen auf die persönliche Songauswahl, die selber einem intensiven Prozess unterlag, eröffnet eine neue Herangehensweise an das Gesamtwerk. Ich habe vieles neu und wiederentdeckt und rätsle immer noch , wie die einzelnen Songs in ihrer Reihenfolge wohl zusammenhängen. Vielleicht hilft mir wiederholtes Hören. Fällt mir bei dem Album nicht schwer.
Frank Diedrichs
Frank lebt seit über zwanzig Jahren in der Mitte Niedersachsens und unterrichtet Kinder und Jugendliche an einer Oberschule. Nach seiner musikalischen Erstprägung durch die Toten Hosen und Abstürzenden Brieftauben erweiterte er seine Hörgewohnheiten: Folkpunk, Singer-/Songwriter, Blues, Deutschpunk, US-/UK-Punk. Dabei kommt von Johnny Cash über The Beatles und Pascow bis hin zu Marvin Gaye eine Menge Vielfalt aus den Boxen, am liebsten als Vinyl.