Yum Yum Club und "Full HD": Nicht gemusst, aber gewollt
01.08.2023 | Frank Diedrichs
Yum Yum Club veröffentlichen also ihr Debütalbum, welches bereits 2019 aufgenommen wurde. Gemischt wurde es von Max Rieger, Mitglied der Band Die Nerven und einer der gegenwärtig umtriebigsten Produzenten. Und mensch kennt sich untereinander. Da wäre Julian Knoth, Zuffenhäusener Lokalpolitiker, hyperaktiver Musiker, der mit Die Benjamins und Njelk dieses Jahr gleich zwei weitere Projekte in Gang bringt. Anscheinend reicht ihm seine Hauptband Die Nerven nicht, um all seine musikalischen Visionen zu verwirklichen. Begleitet wird er von seinem Bruder Phillip, mit dem er in der Band Peter Muffin Trio spielt. Phillip, ehemals Schlagzeuger bei Die Nerven, ist nicht weniger umtriebig wie sein Bruder. Paul Albrecht, Multi-Instrumentalist und mit eigenen Soloprojekten („Paulbright“) unterwegs, und Marius Schwingel, Saxophonist, vervollkommnen die Band. Schwingel zeichnete sich auch als Regisseur für das erste Video „Heute nicht raus“ verantwortlich, welches einen Stuttgarter Straßenreiniger bei seiner Arbeit begleitet.
Die Songs der vier Musiker lassen sich in kein Genre einordnen. Sie klingen improvisiert, vielmehr nach Free-Jazz als nach Pop. Heraus kommt experimentelle Musik, mal dominiert vom Synthesizer, mal überwiegen die Saxophon- und Trompetenparts und plötzlich treiben Bass und Drums das Album in eine andere Richtung („Der Hund sieht aus wie ein Schal“), der Begriff „Improvisationspunk“ wäre eventuell eine treffende Bezeichnung. So entsteht bei Songs wie „Alles tot“ oder auch „Bird“ der Eindruck, im Studio ohne festes Songwriting Sessions abgehalten zu haben, bei denen sich die Instrumente erst während des Aufnahmeprozesses finden und eine Einheit werden. Die fehlende Ordnung, das scheinbar planlose Musizieren und die beim ersten Hören empfundene Konzeptlosigkeit bilden aber den bewusst gewählten roten Faden durch das Album. So erlangt der Sound des Albums seine Spontanität und haben die Musiker losgelöst von ihren starren Konzepten der Hauptbands die Möglichkeit, sich zu entfalten und sich (mit-)treiben zu lassen. Infolgedessen ist es dann auch möglich, Instrumentals („Saubermann“) oder Sprachnachrichten („Timbo Skit“) in das Album aufzunehmen.
Die Texte erinnern in ihrem Minimalismus und ihrer Intonation an DAF („Deutsch-Amerikanische Freundschaft“), deren prägendes Genremerkmal eine ebenso experimentelle Mischung aus Punk und Industrial war. Die Band setzte auf wiederholende kurze Sätze wie in „Tanz den Mussolini“. Auch Yum Yum Club nutzen im Opener „Security Mann“, „Heute nicht raus“, „Musste“ und „Ich verdiene“ diese Vorgehensweise. So entstanden einprägsame Lyrics, die den Hörenden vertraut sind. „Hab es nicht gewollt aber ich musste“ ist einer dieser Sätze, deren Aussage in unserer gegenwärtigen Gesellschaft keiner tieferen Erklärung bedarf.
Es bleibt abzuwarten, ob und wie diese Musik live umgesetzt werden wird. Zu befürchten ist, dass der spielerische und improvisierte Charme verloren gehen könnte. Zur Pre-Release-Party, die am 1. Juli 2023 stattfand, wurde von der Band bereits im Vorfeld angekündigt, dass es dort kein Live-Set geben würde. Zum Glück ist die Musik auf Vinyl gepresst, auf CD gebannt und im Stream zu hören, sodass der Sound auf jeden Fall durch die heimischen Boxen gehört werden kann.
Wertung
Freaky, verrückt, scheinbar ohne Plan und frei von jeden Zwängen kommt das Debütalbum „Full HD“ des Yum Yum Club daher. Aber wer sich die Zeit nimmt, das Album mehrmals zu hören und sich vom Denken einer erzwungenen Genrezuweisung befreit, den erwartet ein experimentierfreudiges Album voller instrumentaler Verspieltheit und pointierten, minimalistischen Lyrics.
Frank Diedrichs
Frank lebt seit über zwanzig Jahren in der Mitte Niedersachsens und unterrichtet Kinder und Jugendliche an einer Oberschule. Nach seiner musikalischen Erstprägung durch die Toten Hosen und Abstürzenden Brieftauben erweiterte er seine Hörgewohnheiten: Folkpunk, Singer-/Songwriter, Blues, Deutschpunk, US-/UK-Punk. Dabei kommt von Johnny Cash über The Beatles und Pascow bis hin zu Marvin Gaye eine Menge Vielfalt aus den Boxen, am liebsten als Vinyl.