Im Kreuzverhör #30: Merzbow - "Pulse Demon"
07.01.2021 | Niels Baumgarten
Für mich liegt immer der Vergleich zu Kunst wie abstraktem Expressionismus und Action Painting auch noch aus einem anderen Grund auf der Hand. Redet man mit Leuten über ein Jackson-Pollock-Gemälde, so hört man immer wieder die gleichen Floskeln: „Sowas kann ich auch malen.“, „Das soll Kunst sein?“, „Ich sehe darin keinen Sinn. Was soll das denn bitte bedeuten?“. Natürlich ist es einfacher, Marmor-Skulpturen der Renaissance gut zu finden. Allein die handwerkliche Komponente sollte hier Argument genug sein. Wie schwer es wohl doch sein mag, organische Formen aus hartem Marmor zu schlagen. Aber das ist keine Kategorie, mit der man einen Pollock bewerten kann und es bleibt eine breite Welt an Kunst und Musik verschlossen, wenn man sie mit starren und alten Parametern verstehen und vergleichen will. Noise ist extrem und grenzüberschreitend. Es denkt Sachverhalte, die hunderte von Jahren in der Musik schon geklärt waren, neu: „Ist es reproduzierbar?“, „Wie kann man es notieren?", "Kann man es überhaupt notieren?“. Kann man aber über solche Fragen nicht einfach diskutieren? Naja, Ideen von Pollock können nicht einfach in ein Museum ausgestellt werden, sondern müssen erst manifestiert werden. So ist das auch bei Noise.
Wenn man alle Musikgenres in einer Normalverteilung darstellen würde, so hätten man viele Menschen in der Mitte, die Sachen wie Pop und Rock hören. Geht man immer weiter an die Enden, so durchquert man Genres wie Punk, Metal, Elektro, Jazz und Klassik. Ganz am Ende - da wo der Graph schwindend klein ist – da findet man Musik wie Noise oder Drone. Für mich als Musiker und Musikliebhaber ist es von größter Bedeutung, auch diese Extreme zu erforschen, sich Hörherausforderungen zu stellen und seine Hörgewohnheiten zu erweitern.
Okay, ist Noise also nur eine Manifestation einer grenzüberschreitenden Idee? Nicht nur. Es gibt viele Arten, um Musik zu genießen oder zu verstehen. Über die Lyriks, Erinnerungen, über das Instrumentale oder im Kontext des Albums. Noise hingegen will über das Erlebnis verstanden werden. Hat man den ersten Schock überwunden, so kann man in „Pulse Demon“ sogar kleinste Nuancen hören und das Erlebnis vertieft sich. Für mich persönlich ist „Pulse Demon“ aber auch die Abstinenz jeglicher Ästhetik und daher universell hörbar. Ich such was Härteres als den härtesten Metal, was Düstereres als das Düsterste und die volle Portion Nihilismus, da mich an dem Tag „konventionelle“ Musik in einer absurden Welt im Stich lässt? - Es ist Zeit für „Pulse Demon“ von Merzbow.
Niels Baumgarten
Aus Köln stammend studiert Niels mittlerweile Kunstgeschichte und Musikwissenschaften in Düsseldorf. Hier ist er auch als Bassist und Gitarrist tätig und übernimmt immer wieder die Aufgabe des Bookers für lokale Konzerte und Festivals. Mit Punk, Prog und Hip-Hop aufgewachsen, hat er das Gefühl, dass die Bands seiner Teenager-Tage monoton und langweilig geworden sind und widmet sich deswegen heutzutage dem Experimentellen und Einzigartigen.