Fjørt sprechen über "Couleur": Haltung bewahren
30.11.2017 | Jakob Uhlig
Wir schreiben den 12. Januar 2015. Seit knapp drei Monaten macht sich in Dresden der Rechtsruck der deutschen Gesellschaft durch wöchentliche Protest-Aktionen von Pegida bemerkbar. Die Teilnehmerzahlen dieser Kundgebungen steigen stetig, erreichen dramatische Höhen – so auch an jenem 12. Januar, an dem die Masse der faschistischen Bewegung mit über 25.000 Leuten durch die Straßen zieht. Es sind Bilder, die spätestens zu diesem Zeitpunkt unmissverständlich klarmachen, dass Rassismus und Fremdenhass eben keine Randerscheinungen einer sozial isolierten Gruppe mehr sind, sondern wieder Platz in der Mitte der Bevölkerung gefunden haben. Und es sind Bilder, die eine junge Aachener Post-Hardcore-Band namens Fjørt zu ihrem bis dato wohl politisch motiviertestem Song „Paroli“ bewegen. „Bleibt stehen, trotzt der braunen Pest“, heißt es darin, ein deutlicher Satz des Widerstands, der so ungewöhnlich aus dem Mund einer Band klingt, die ihre Lyrik sonst eher unter einem Mantel der Verschleierung versteckt.
Knapp drei Jahre später. Pegida spielt in der Medienlandschaft mittlerweile keine große Rolle mehr, aber Donald Trump ist in den USA zum mächtigsten Mann der Welt geworden, Marine Le Pen scheitert in Frankreich nur um wenige Prozentpunkte an der Präsidentschaft und auch in Deutschland zieht die AfD erstmals in den Bundestag ein. Die Welt sieht sich vom Populismus bedroht, und Fjørt stehen im Prinzip wieder vor dem selben Scherbenhaufen. Nur die Akteure sind andere. Das die Band zur Ankündigung ihrer neuen Platte daher einen Song wie „Raison“ voranstellt, der mit der niedergeschlagenen Feststellung „Ich habe 1933 Gründe schwarz zu sehen“ eine ähnlich pessimistische Prämisse wie sein gedanklicher Vorgänger „Paroli“ aufzeigt, ist daher nicht wirklich verwunderlich. „‚Raison‘ zeichnet dennoch ein etwas positiveres Bild als ‚Paroli‘“, bemerkt David Frings, Bassist von Fjørt. „Natürlich nicht in der Sache als solche. Aber ich habe bei jenen Demonstrationen in Dresden eben auch gemerkt, dass dort ebenso viele Menschen aufstehen, um sich gegen faschistisches Gedankengut zu wehren.“ Frings hat recht: Neben den 25.000 Pegida-Anhängern marschierten bundesweit auch über 100.00 Gegendemonstranten. „Man kann nicht einschätzen, wie viel Einfluss wir als Band auf solche Themen haben. Aber wir wissen, dass wir die Pflicht haben, uns bei solchen Angelegenheiten zu positionieren. Ich bin der Ansicht, dass nicht nur Fjørt, sondern jeder Mensch, der das Privileg hat, Andere zu erreichen, gegen Rechtspopulismus Stellung beziehen sollte. Oft wird das aus monetären Gründen leider nicht gemacht, das soll uns aber auf gar keinen Fall davon abhalten. Wir wollen damit auch keine Werbung machen oder als Trittbrettfahrer dastehen, für uns ist das einfach ein extrem wichtiges Anliegen.“
Dabei haben Fjørt sich eigentlich nie die Aufgabe gesetzt, als politische Band zu wirken. Während ihren Konzerten beschränken sie sich im Gegensatz zu zahlreichen anderen Bands aus ihrer Sparte auf eine klare Ansage, und trotz klarer Ausreißer wie eben „Raison“ und „Paroli“ behandelt das Trio in seinen Texten eigentlich mit Vorliebe innere Konflikte. Doch die Haltung zu bewahren spielt eben nicht nur im Leben von Fjørt, sondern auch auf dem Album „Couleur“ eine tragende Rolle: „Das Wort ‚Couleur‘ stellt die Frage nach deiner Ausrichtung, deiner Gesinnung, wie du dich nach außen gibst und was deine Ansichten auf die Welt sind. Viele der Geschichten auf dem Album handeln davon, wie es ist, eine Meinung zu haben, und diese dann entweder zu äußern oder für sich zu behalten. Es kommt so oft vor, dass Leute Angst haben, ihre Haltung zu kommunizieren. Es kann sein, dass ihnen Gewalt droht, oder dass sie Sorge haben, mit ihrer Position anzuecken. Gerade bei Dingen wie Faschismus wird es aber umso wichtiger, dass die Gegenseite ihre Meinung mindestens genauso selbstbewusst und standfest kundtut. Viele der Songs hadern wiederum aber auch damit, wie man mit dem Thema Meinungsfreiheit umzugehen hat.“
Frontmann Chris Hell weiß, wovon er spricht, wenn er von inneren Konflikten redet. Viele der Texte auf „Couleur“ stammen aus seiner Feder, eines dieser Stücke trägt den Titel „Windschief“. Die Lyrik des Songs spricht von bedingungsloser Hingabe, und dem Willen, sich selbst aufzugeben. „Was dir fehlt, schneide ich aus mir heraus. Ich habe alle Zeit, und kann alles sein, was du brauchst“, heißt es da, bis der Song auf den letzten Takten plötzlich einen einschneidenden Bruch erfährt: „Du bist nicht echt, nur Gedanken, Pest.“ Der Track verklingt auf einer unheilvollen Dissonanz, die sich der vorangegangenen Soundwand wie ein triumphaler Gegenspieler in den Weg stellt. „Dieser Song spricht davon, sich mit jeder Faser in etwas zu werfen – so stark, dass es schon zur Obsession wird, die dich selbst zerstört. Schließlich legt der Protagonist so viel Gutes in diese Obsession, dass am Ende für ihn selber nichts mehr Gutes bleibt.“ Hell könnte die Geschichte hinter dem Song noch vertiefen, hält sich aber bewusst vage. Fjørt ist es wichtig, ihre Texte nicht eindeutig zu formulieren, sondern immer Interpretationsspielraum zu lassen, der ihre Hörer herausfordert. „Ich als Musikfan liebe es, wenn mir eine Band etwas an die Hand gibt, von dem ich zunächst gar nicht weiß, wie ich es einzuordnen habe“, erklärt Hell seine Faszination für verschleierte Texte. „Nehmen wir mal ‚Happiness By The Kilowatt’ von Alexisonfire: Du weißt nicht, warum Dallas Green das singt, was er da singt. Für mich ist es aber das Allerkrasseste und hat eine ganz bestimmte Bedeutung. Viele andere Leute finden den Song sicher genau so wichtig, sehen darin aber etwas ganz anderes als ich. Das ist für mich eines der schönsten Dinge an Musik.“ Fjørt selbst wissen aber stets ganz genau, was sich hinter ihren eigenen Geschichten verbirgt. „Ich könnte dir zu jedem der elf Songs auf ‚Couleur‘ nur ein Wort nennen, und du wüsstest sofort, worum es geht“, erklärt Frings die Herangehensweise seiner Band an Lyrik. Nur „Raison“ spricht auf „Couleur“ erneut eine andere Sprache. Wie kein anderer Song der Platte spricht er sein Problem völlig unmittelbar an und versteckt sich nicht hinter zwiespältigen Aussagen. David Frings lodert innerlich ein wenig, wenn er dieses Thema erläutert: „Es gibt bei uns Grenzen. Bei zwischenmenschlichen Problemen kann ich nicht sagen, ob etwas richtig oder falsch ist. Ich kann höchstens äußern, dass ich mich mit einer Situation unwohl fühle. Allerdings fällt dieser Wall sehr schnell, wenn eine bestimmte Menschengruppe die Dreistigkeit besitzt, sich selbst über Andere zu stellen. Da gibt es für mich wenig Argumentationsspielraum, denn wie soll ich legitimieren, dass ich besser als ein anderer Mensch bin? Natürlich muss man auch darüber reden und diskutieren, ich kann in diesem Fall aber keinen Kompromiss eingehen. Bei faschistischem Gedankengut komme ich schlichtweg nicht weiter, ich bleibe in einer Sackgasse stehen.“
Es scheint nicht zum grundlegenden Konzept von „Couleur“ und generell von Fjørt zu passen, Themen so direkt zu postulieren. Aber bei dem Aachener Trio gibt es eben keine Linie, die nicht durchbrochen werden kann, wenn sie sich richtig anfühlt. Und so versucht die Band gar nicht erst, ihre Musik hinter etwaigen Prämissen zu verschränken, sondern verlässt sich auf ihre ganz unabhängige Intuition. So ist auch zu erklären, dass „Couleur“, gemessen am üblichen Output-Rhythmus moderner Bands, erstaunlich früh erscheint. Zum Release der neuen Platte ist der Vorgänger „Kontakt“ noch nicht einmal zwei Jahre alt. Eine große Geschichte zu ihrer rasanten Arbeit gibt es dabei gar nicht. Nach ihrer jüngsten Tour kommt der Band schlichtweg schnell wieder neue Inspiration, die in nur wenigen Monaten zu den neuen Songs von „Couleur“ führt. Der Schneeball gerät ins Rollen, die ersten Demos erreichen das Büro des Hamburger Labels Grand Hotel van Cleef. Das ist von den Ergebnissen ebenso angetan wie die Band selbst – es gibt keinen Grund, noch länger zu warten. Auch die aufwendigen Musikvideo-Drehs in einem verlassenen Hotel zählen für Fjørt zu solchen Faktoren, die sich einfach „richtig“ angefühlt haben. Besonders Hell gerät ins Schwärmen, wenn er von den Arbeiten in der beeindruckenden Kulisse spricht: „Man kann sich gar nicht vorstellen, was für ein Gefühl es war, an diesem Ort zu sein: Eigentlich ein totaler Luxusschuppen, mit dem atemberaubendsten Interieur, das du dir vorstellen kannst – aber halt total heruntergekommen. Du fragst dich nur, was hier wohl passiert ist, was hier für Leute waren, was für Geschichten das Hotel zu erzählen hat.“ Jenen Rahmen nutzt die Band schließlich, um tiefschürfende Geschichten in mehreren Episoden zu erzählen. Die Clips zu „Magnifique“ und dem Titelsong „Couleur“ präsentieren ein Paar, dessen Glück durch verschiedene Hindernisse durchbrochen wird – sei es durch den Einfluss Außenstehender, oder, wie im Fall von „Magnifique“, durch eine Demenz-Erkrankung: „Man muss ja sagen, dass es uns als Band eigentlich verdammt gut geht. Wir können das machen, was wir wollen, und man lässt uns auch das machen, was wir wollen. Gerade deswegen bewegen uns aber Geschichten, in denen Menschen in Situationen geraten, in denen sie das nicht mehr kontrollieren können. Wir wollen, dass auch unsere Hörer sich das vor Augen führen: Nutzt die Kraft, die ihr habt, wenn ihr mit euch im Einklang seid. Seid für andere da, und wertschätzt das, was ihr habt.“
So ziehen Fjørt die Lehren aus einem Album, das sich in allen Punkten schlichtweg gut anfühlt. Der Band ist es wichtig, bei ihrer Arbeit keine Kompromisse einzugehen – erst dann können sie uneingeschränkt hinter ihrer Musik stehen. Frings versieht diese Grundhaltung mit einem wesentlichen Ultimatum: „Ich sage das immer wieder: Es kann sein, dass das hier die letzte Fjørt-Platte war. Denn wenn wir uns zusammensetzen würden, und die Inspiration bliebe aus, würden wir auf keinen Fall zwanghaft ein Album schreiben.“ Vielleicht ist es diese dann doch ganz rationale Vorgabe, die erklärt, warum das Trio mit jedem neuen Album immer höhere Grenzen zu durchbrechen scheint. Das nach wie vor unruhige politische wie gesellschaftliche Klima lässt jedenfalls nicht darauf schließen, dass Fjørt so schnell das thematische Material ausgehen könnte. Denn ein Album wie „Couleur“ funktioniert auch als Konfliktbewältigung, Verarbeitung und Katalysator für eigene Problemstellungen. Die Welt braucht solche Platten – und ein wenig Haltung.
Jakob Uhlig
Jakob kommt aus dem hohen Norden und studiert zur Zeit historische Musikwissenschaft. Bei Album der Woche ist er, neben seiner Tätigkeit als Schreiberling, auch für die Qualitätskontrolle zuständig. Musikalisch liebt er alles von Wiener Klassik bis Deathcore, seine musikalische Heimat wird aber immer die Rockmusik in all ihren Facetten bleiben.