"Ich wollte dieses Album eigentlich nicht schreiben." - William Fitzsimmons über "Ready The Astronaut"
30.04.2021 | Jan-Severin Irsch
Eine Videokonferenz, selbst wenn sie über den Atlantik führt, ist heutzutage nichts besonderes mehr. Eigentlich. Denn William Fitzsimmons ist nicht nur ein begnadeter Musiker, sondern auch eine unglaublich interessante, intelligente und spannende Persönlichkeit. Der frühere Psychotherapeut, der mittlerweile durch diverse Alben, Tourneen und Auftritte seinen Namen auch international gefestigt hat, begrüßt mich um 11 Uhr seiner Ortszeit aus den USA. “Hey Buddy” sagt er lächelnd, als würden wir uns schon länger kennen. Blaues Jeanshemd, Brille, Vollbart und Glatze - Fitzsimmons wirkt entspannt und trotz der ganzen Pandemie recht glücklich, während er seine Kaffeetasse in der Hand hält.
Mit mehreren Alben und Preisen in seiner Diskographie hat William Fitzsimmons nun sein neuntes Studioalbum fertig geschrieben. Wie immer, geht es um sehr persönliche Themen. Auf die Frage, wo der kreative Auslöser herkam, diese Platte zu schreiben, antwortet er, dass er immer eine Art Ziel, ein Erlebnis brauchte, um in einen Schaffensprozesse einzusteigen. Besagtes Erlebnis hat sich aus mehreren Dingen zusammengesetzt. So begann Fitzsimmons zum einen Bücher über den ersten Weltkrieg zu lesen. “Ich habe dieses Buch, es heißt 'Berichte aus erster Hand', in dem es um die Erlebnisse der Soldaten auf beiden Seiten geht, wie sie in ihren Fuchsbauten, in den Schützengräben gelegen haben. Für mich ist das unglaublich spannend und interessant. Und in der Mitte von all dem ist mein Leben quasi abgestürzt und hat einen Crash erlebt. Mein vorheriges Album, “Mission Bell”, ist eigentlich eine Art Liebeserklärung an meine Jetzt-Ex-Frau. Ich hatte es fertig geschrieben und herausgegeben zum Pressen, aber das dauert halt Monate. In der Zwischenzeit haben wir dann versucht, die Dinge zu reparieren. Es war echt ein bisschen komisch.”
Es sei aber kein Scheidungs- oder Trennungsalbum. “Davon habe ich schon bestimmt 30 geschrieben”, sagt er lachend. "Ready The Astronaut" ist vielmehr eine Platte über die Angst des Versagens. “Es ist eine individuelle Reise, ähnlich wie ein Astronaut, der aus der ISS aussteigt und das Weltall betritt. Diese Person hat Partner und ein Team, aber wenn etwas schief geht da draußen, ist er auf sich allein gestellt. Gibt es eine Erfahrung, in der man sich mehr alleine fühlt, als eine Reise ins Weltall?”
Die Devise ist die Angst vor einem neuen Kapitel des Lebens, das man anfangen muss, auch wenn man nicht will. Nach besagter Scheidung ist Fitzsimmons nun neu verlobt und wird bald Vater. Er weiß aber selber gerade nicht wo sein Leben hinführt, ähnlich sei es beim Entstehungsprozess des Albums gewesen. “Ich konnte also entweder aufgeben oder springen. Das war das Genesis, das war der Anfangspunkt. Ich wollte dieses Album eigentlich nicht schreiben. Aber ja, das ist das Leben.”
Von der Pandemie im kreativen Sinne beeinflusst ist das Album jedoch nicht. Vor dem globalen Ausbruch des Virus wurde das Album fertig geschrieben und aufgenommen. Eine gute Sache, meint Fitzsimmons. Er betrachtet die Pandemie nicht als etwas Spannendes, worüber man gut schreiben kann. Seine Zeit hat er trotzdem gut genutzt. Eine Art “Ready the Astronaut” Version 2.0 war eines seiner Projekte, auch ein Coveralbum ist momentan in der Mache. “Ich könnte entweder jeden Tag Kette rauchen und mich besaufen, und naja, irgendwo mache ich das auch mal hier und da, und jeden Tag 15 Stunden schlafen und Fernsehen, oder ich könnte ins Studio gehen und besser werden.”
“Never waste a crisis” sage ich und seine Augen leuchten auf. “Ja, total. Das ist so schön formuliert! Da bin ich dankbar für meine Kinder. Ich kann ja nicht ein totales Wrack sein, durch das sie dann leiden, nichts davon ist deren Schuld”, sagt Fitzsimmons und nimmt einen großen Schluck Kaffee. Der Tonfall wird nachdenklicher, der Blick wandert kurz zum Fenster raus. Nicht touren zu können wäre allerdings gerade das Schwerste für ihn, sagt er. Geld sei zwar das Eine, aber es ist die psychologische Seite daran, die wirklich schmerzt. “Auf Tour zu sein macht Spaß, mit den Leuten abzuhängen mit denen man musiziert, die man kennt und liebt. Viele Künstler kämpfen gerade mit sich selbst und den Umständen. Es ist aber auch irgendwo eine Herausforderung. War ich vielleicht zu süchtig nach Bestätigung und Applaus?” Eine spannende These ist das allemal. Spielt man als Musiker*in nicht, des Spielens Willen, sondern wegen der Bestätigung und des Applauses den man erfährt, wenn man auf der Bühne ist? “Aber Bestätigung?” denkt Fitzsimmons weiter, “Das ist eigentlich nichts Gutes, das zu brauchen. Es ist vielleicht etwas klischeehaft, aber ich vermisse einfach das Spielen.” So hoch ein Astronaut auch “fliegen” mag, so sehr am Boden geblieben ist William Fitzsimmons dann doch.
Ich frage Ihn, ob es vielleicht eine David-Bowie-Referenz gibt? Schließlich ist das Album “Space Oddity” eines der bekanntesten Alben der Musikgeschichte. Er kratzt sich am Bart und erzählt, dass, “Major Tom” einer seiner Lieblingssongs während seiner Schulzeit war, doch dass das hier nicht direkt der Fall sei. Und doch ist die Thematik eine Ähnliche. “Es ist glaube ich ein ähnliches Thema, diese Isolation in einer sich verändernden Welt, nur ist meins mehr persönlich und seins eher genereller und kultureller, uns alle betreffend.” "Persönlich", das ist eines der Schlüsselwörter, um die Songs von William Fitzsimmons zu verstehen. “Ich selber mag es, die Dinge einfach klein zu halten. Ich werde zum Beispiel nie einen Song über Politik schreiben. Oder über eine bestimmte soziale Bewegung. Man will und braucht jemanden wie Bruce Springsteen, der ein Album über die Präsidentschaft Bushs schreibt, das ist eine super Sache. Aber man braucht auch Leute auf der anderen Seite des Spektrums, die über diese kleinen, geheimen persönlichen Erfahrungen schreiben, und da beginnt dann mein Part.”
Wahre Worte. Alle Songs, die Fitzsimmons bisher veröffentlicht hat, beschäftigen sich mit persönlichen Erfahrungen, schlimmen wie schönen. Von seiner familiären Vergangenheit über Beziehungen und Ehen, die nicht so gelaufen sind, wie man sich das zu Beginn vorgestellt hat, bis hin zum einsamen und doch mutigen Astronauten, der allein ins Weltall schaut. Alle kennen diese Geschichten und Erfahrungen, oder können sie zumindest nachempfinden. Er ist nur derjenige, der einen Schritt weitergeht und diese Tür im dunklen Keller öffnet und das dunkle, verborgene beim Namen nennt. “Ja, es ist dieser dunkle Raum. Schon in meiner Kindheit war ich echt wütend und frustriert, wenn Leute nicht über Sachen geredet haben, über die man hätte reden sollen. Ich habe mich da auch sehr ängstlich und sehr allein gefühlt. Dann auch als Teenager, wenn man in der Pubertät anfängt sexuelle Gedanken zu haben, und sich zum Teil echt wütend zu fühlen, aber es nicht anzusprechen, weil die Leute dann denken könnten, ich wäre ein Monster oder so. Und das geht mir immer noch unglaublich gegen den Strich.”
Natürlich ist es Humbug, mit jemand wildfremden an der Supermarktkasse über die persönlichen Geheimnisse und Erfahrungen zu sprechen. Alles hat seine Zeit und seinen Ort. Doch Fitzsimmons meint, dass man dort öfters hingehen sollte, einfach um einiges auszumisten und anzusprechen. “Ich finde, wir sollten alle öfter mal in diesen Raum gehen. Wenn jemand meine Musik nicht mag, dann ist das in Ordnung, aber es gibt Leute, die eine sehr starke negative Reaktion zu meinen Liedern und meinen Texten haben. Das gibt mir die Erkenntnis, dass es etwas in dem Leben der Person gibt, wo die sich noch nicht herangetraut hat. Dann frage ich mich: Wie kann man denn über Folk-Musik angepisst sein? Aber man geht dadurch halt in tiefere Gewässer. Wenn Dich deine Frau zum Beispiel auf ein Thema anspricht, was zu sehr trifft, dann nimmt man automatisch eine Schutzhaltung ein, weil man weiß, dass es getroffen hat. Ich versuche es, dass Leute sich ein wenig unwohl fühlen, das sehe ich als Teil meines Jobs an.”
Oder anders gesagt: Die Quintessenz zu William Fitzsimmons ist, dass er versucht, die Menschen durch seine Songs, Texte und Erzählungen aus ihren Komfortzonen zu bewegen. Evolutionär bedingt sagt er, dass Schmerz ein Signal ist, um zu zeigen, dass gerade etwas falsch läuft und etwas geändert werden muss. Doch haben wir uns so weiterentwickelt, dass der Schmerz heutzutage eigentlich etwas ist was uns helfen würde, wir es aber nicht zulassen. “Ich mag auch keinen Schmerz. Ich bin ja kein Idiot. Als meine Ex-Frau mich betrogen hat, bin ich ja nicht hingegangen und habe mir gedacht: 'Boah, da werde ich jetzt so dermaßen dran wachsen, cool!' Nein, es war richtig schlimm. Aber jetzt? Heilige Scheiße, bin ich jetzt ein anderer Mensch. Vielleicht nicht besser per se. Aber anders.” Eine Tür schließt sich, eine andere öffnet sich. Nicht immer der Weg, den man angedacht hatte, aber das muss ja nichts Schlechtes sein. Auch wenn es im Moment des Geschehens keinen Sinn ergeben mag.
Vom Schreibtisch aufgestanden ist William Fitzsimmons jetzt zum Kühlschrank gegangen, hat sich eine Limo geschnappt und sich in sein Heimstudio gesetzt. Schön, dass es nur rein optisch der dunkle Raum ist, denn Fitzsimmons ist durch all die Geschehnisse seines persönlichen Lebens zu einem besseren Vater geworden. Darüber hinaus hat er auch “den Schlüssel zum Glück” in einem Buch von Anthony de Mello gefunden. “Er war Jesuitenpriester und Psychologe. Er sagt, dass der Schlüssel zum Glück die Akzeptanz des Jetzt, der Realität ist. Oder sich von externen Ereignissen loszulösen. Wenn meine Glückseligkeit abhängig davon ist, wie jemand über mich denkt und fühlt, dann fühle ich mich gut wenn der oder die mich mag und wenn nicht, fühle ich mich traurig und fertig. Ich mag diesen Spruch: 'Manchmal bist Du der Käfer, manchmal bist Du die Windschutzscheibe.' Verdammt toll, oder?” Lächelnd lehnt er sich im Stuhl zurück, fährt sich über den Kopf und fügt hinzu “Aber wenn ich akzeptieren kann, dass beide Dinge passieren können, dann muss ich keine Angst haben.”
Lebensweisheit nach Lebensweisheit. Ehe die Erkenntnis eingetreten ist, hat sich das Interview etwas weg von der Platte und hin zu einem tiefenphilosophischen Gespräch bewegt. Doch spielt alles in die Art rein, wie William Fitzsimmons komponiert, die Welt sieht und versteht. Das ist das Spannende an diesem Künstler; alles worüber er singt wurde erlebt. Jeder Song hat eine Geschichte, jedes Album ein oder mehrere Themen, die behandelt werden und alles ist echt. “Meine Therapeutin hat gesagt 'Wenn Du am Leben bist, dann hast du 100% Erfolg, mit Scheiß umzugehen.' Sprich, wenn du noch hier bist, dann machst du 'nen super Job. Niemand ist perfekt. Immer dieses 'Ich hätte das eine Bier mehr gestern nicht trinken sollen, ich hätte Joggen gehen sollen' - das motiviert einen nicht. Es ist eigentlich ziemlich simpel; Du musst nur nett zu dir und nett zu anderen sein. Klar, das ist sehr überspitzt und vereinfacht gesagt, weil es wirklich akute Probleme in der Welt gibt. Rassismus, Sexismus, Klimawandel und der ganze furchtbare Scheiß. Aber wenn man nett ist, dann funktioniert viel Zeug. Gib dir selbst ab und zu eine Pause.”
Selbst beim “nur zu Hause sein” erlebt jeder Mensch im Alltag Stress, Stichwort Uni daheim oder Homeoffice. Da zum Beispiel einmal die Woche einen Self-Care-Tag einzuführen, ist nicht verkehrt, meint auch der ehemalige Psychotherapeut. Scherzend äußere ich, dass ich mir auch den Lego-Todesstern von Star Wars mit meinen 24 Jahren kaufen würde, hätte ich das Geld dazu. “Thats my shit, man!” lacht Fitzsimmons und fährt fort, wie wichtig es sei, das innere Kind glücklich zu machen und es nicht zu verlieren. Er selbst sieht sich gerade auch wie ein ängstliches Kind. Der Zerfall der globalen Musikindustrie durch die Pandemie bereitet ihm und seinen Freunden und Kollegen ernsthafte Sorgen. “Wenn Du Taylor Swift heißt, OK, aber sie wird’s auch gespürt haben”, sagt er ernst. “Bei uns jedenfalls ist das echt angsteinflößend. Denk mal an all die Musik, die gerade verloren geht.”
Auch die momentane Lage der USA bereitet ihm Sorgen. Der Scheuklappenblick der Bevölkerung, die nicht mehr wirklich auf Dialog aus ist und eine Spaltung durchs Land zieht, beschäftigt ihn. “Ganz viele Menschen sind gerade generell verwirrt, was man machen soll. Die Suizidraten sind leider gestiegen. Die Menschen sind verängstigt und allein. Hoffentlich bewegen wir uns zu einem besseren Ort. In den USA haben wir allerdings eine Art Identitätskrise. Wer sind wir überhaupt als Land?”
Twitter, Facebook und Co. tragen nun wahrlich nicht zur Verbesserung der menschlichen Psyche bei. Fitzsimmons erzählt von einer Studie der New York Times, die einer Menschengruppe über einen längeren Zeitraum nur negative Schlagzeilen gezeigt hat. Das Resultat, wer hätte es geglaubt, war ein zunehmend negatives und schlechtes Weltbild der Probanden. “Twitter hat noch nie jemanden glücklich gemacht. Ich meine, wer beendet die paar Minuten auf Facebook mit dem Gefühl: 'Ich fühle mich so gut, weil ich gerade auf Facebook war, boah wie schön!'" Diese Plastik-Realität ist in der Tat ein seltsames Konstrukt. Jede*r ist dort unterwegs, doch so richtig glücklich ist vermutlich keine*r damit. “Und ich frage mich: Helfe ich damit, wenn ich die Art Songs schreibe, die ich schreibe oder mache ich dadurch Sachen schlimmer? Vielleicht sollte ich anfangen, die Leute aufzuheitern?”
Möglich ist das, doch gesteht sich William Fitzsimmons dann doch lächelnd ein, dass er den nostalgisch-traurigen Vibe bei seinen Shows gerne mag. Bei einem Auftritt in der Kölner Philharmonie sagte er mal: “Entschuldigung an die Leute, die hier hergekommen sind für aufheiternde Musik, aber ihr werdet nur emotionale Songs hören“. Er lacht erneut und fügt abschließend hinzu: “Oh Mann, ich fühle mich immer schlecht für den Partner oder die Partnerin, die dann mitkommt. Wenn dann die Frage gestellt wird: 'Schatz, wen sehen wir noch mal? William Fitzsimmons? Oh, macht er so tanzbare, heitere Musik?' Nee, es ist immer ein Raum voller Menschen, die da stehen und zuhören. Einige weinen dann. Das ist der Vibe der Show. Aber hey, ich mag's.”
Wertung
Um die Tiefe dieses Albums zu begreifen, muss man sich bewusst Zeit nehmen, um es zu hören. Und man wird merken: Es lohnt sich. William Fitzsimmons lädt auf eine klangliche Reise durch den Kosmos ein, malt Bilder vor dem inneren Auge und eröffnet manche gedanklichen Anstöße. Ein großartiges Album für das emotionale Denken und Lernen.
Wertung
Singer-/Songwriter laufen gut und gerne Gefahr, sich in Gefühlsduselei zu verlieren. Mister Fitzsimmons kann sich hiervon nicht vollends freisprechen, liefert allerdings eine wohlklingende Symbiose aus folkloristischen und elektronischen Mengenanteilen, die für bedächtiges Entertainment sorgt. „Ready the Astronaut“ entfaltet seine Wirkung auf Albumlänge.
Jan-Severin Irsch
Jan-Severin macht seit er denken kann Musik. Durch verschiedene Chöre, Bands und Lehrer ist er mittlerweile Lehramtsstudent für Musik mit Hauptfach Gesang, ist Sänger seiner eigenen Alternative/Punkrock-Band und Teil eines Barbershop-Chores in Köln. Von Klassik bis Jazz, von Chor- bis Punkrockmusik hört und spielt er alles gern. Ohne Musik geht nicht.