Im Interview mit Culcha Candela: Positivität
20.05.2021 | Jan-Severin Irsch
Chino, Johnny und Matteo heben pünktlich den Hörer ab und trotz der Pandemieumstände sind allemann wohl auf. Die Freude über ihr neues Album ist groß und die Tatsache, dass man sich nach getaner Arbeit zurücklehnen kann, erfreut ein jedes Musikerherz. Nach den ersten Minuten Small-Talk erzählt Matteo über das musikalische Arbeiten während der Pandemie. “Der Prozess des Musikmachens, der hat sich bei uns nicht geändert. Wir sind oft im Studio und machen Musik, schreiben und recorden. Die Auftritte sind halt weggefallen. Wir hatten also theoretisch mehr Zeit Musik zu machen, und das auch konzentrierter. Aber die Liveauftritte sind ein riesengroßer Verlust, finanziell wie auch emotional. Und das ist das, was sich geändert hat.” Entsprechende Vorkehrungen und Sicherheitsmaßnahmen, um sicher im Studio sein zu können, wurden getroffen, allerdings haben Culcha Candela “nicht die große Entourage, die im Studio hängt, Joints dreht und Hennessy-Whisky trinkt”.
Wenn man so lange wie Culcha Candela im Business ist, ist das ein schwerer Verlust. “Es ist für alle eine Veränderung, wenn ich sage, dass es schlimm ist mit Live-Auftritten.” Wie jede andere Band auch ist das Spielen vor Publikum unabdingbar. Matteo zitiert seinen Freund und Bandkollegen John, der treffenderweise sagt: “Live is Life”. “Die Bühne ist das geilste an unserer Karriere. Aber es ist schlimm für Tausende von Menschen, die eben in der Veranstaltungsbranche arbeiten, die seit über 14 Monaten keinen Job und quasi Berufsverbot hatten. Das ist eine Riesenkatastrophe.” Im Streaming funktionieren Culcha Candela gut, doch hat das Fehlen von Liveauftritten für alle Beteiligten große Nachteile.
Vielleicht doppelt schlimm, waren Culcha Candela eine der Bands, die ihre letzte Tour nicht vollständig beenden konnten. “Wir haben das live mitbekommen” erzählt mir einer der Sänger. “So...Halt, Stop, für Euch gehts jetzt nicht weiter und seitdem hat sich da nichts dran geändert. Und das ist natürlich schade. Gastronomen tun uns ja auch mega leid. Aber wenn man von der Bedeutung her quasi unter das Niveau von Friseuren rutscht, dann weiß man ungefähr wie groß der Stellenwert von Musik in der Gesellschaft ist. Und das ist etwas, was uns wirklich traurig stimmt. Aber ey, nichts gegen Friseure”, sagen die Band lachend.
Chino sagt dazu: “Es war echt ein bisschen bizarr, wir waren genau in der Zeit in der das losging mit der Pandemie auf Tour, im Februar und März. Quasi vor der ersten Welle haben wir da unterwegs und die letzten Shows waren dann auch die letzten überhaupt in dem Bundesland. Das letzte Konzert in Hessen, die letzte Show in Bayern und das Abschlusskonzert in Berlin konnten wir dann schon gar nicht mehr spielen, weil dann schon der Lockdown gegriffen hatte. Es war ganz merkwürdig für uns. Wir hatten total Spaß, es war ausverkauft und dann zack Pandemie. Dann war nichts mehr so wie es vorher war.” Vielleicht aber auch irgendwo Glück im Unglück, dass die letzte Tour von Culcha Candela “nur” das Konzert in Berlin als Tribut gefordert hat. Manch andere Band oder Künstler:in stand in den Startlöchern, als die Pandemie einsetzte.
Inhaltlich gibt es auf der neuen Platte “Top Ten” viele Songs, die “Positivität besingen und bestärken. Also, zusammenhalten und so die größten Herausforderungen überwinden. Songs wie 'Leb jetzt', 'Hope' oder 'Für Immer' - thematisch hat uns das schon bewegt, aber Culcha Candela steht immer für Positivität, fürs nach Vorne schauen.” Auf die Berliner hat die Pandemie auch gewirkt und wenn der Miesepeter eingezogen ist, ist es schwer, Partysongs zu schreiben. “Aber auf der anderen Seite haben wir es vermieden, explizit Lieder über Corona zu schreiben, das will doch auch kein Mensch hören.”
Musikalisch und handwerklich ist alles gleich geblieben, aber mental hat die seltsame Zeit dann doch zugesetzt. "Eine sehr bedrückende Situation. Und man darf auch nicht vergessen, dass wir eine 20-köpfige Livecrew haben, die für diese Zeit dann kein Einkommen hatte. Eine riesige Katastrophe, vor allem für die Crew.” So ein Aspekt wird tatsächlich leicht vergessen, dass eine Band eben nicht nur aus den Musikern besteht, sondern auch Menschen hinter und vor der Bühne hat. “Es gibt Tage, an denen einem mal die Decke auf den Kopf gefallen ist. Und wir hoffen, dass wir mit der hoffnungsvollen Musik und dem neuen Album den Menschen etwas Positivität geben können. Beim Song 'Hope' zum Beispiel haben wir eine Riesenresonanz bekommen, also haben wir da offenbar einen Nerv getroffen.”
Die Songs entstehen meist, dass alle zusammen im Studio sind und, ganz klassisch, bei Null angefangen wird. Aber immer mit der Prämisse “Alles kann, nix muss”. “Der Teufel liegt im Detail. Das Grobe zu entwickeln dauert meist nicht lang, aber dann an den Lyrics zu feilen, das dauert dann immer etwas länger.” Mit der quasi geschenkten Zeit haben Culcha Candela den Fokus erst einmal eher weg von der Bühne und hin zu weiteren Songs gelegt. Chino sagt: “Wir überlegen jetzt schon, bald wieder etwas Neues zu droppen. Jetzt haben wir erstmal die 'Top Ten'-Platte mit den zehn besten Songs aus unserer jüngsten Vergangenheit.” Und doch, Das live Auftreten ist dann doch nicht ganz weg vom Tisch. “So langsam gibt es da ein kleines funzeliges Licht am Ende des Tunnels”, sagt Chino. Einige Konzerte mit Hygienekonzept, Abstand und kreativen Leuten für die Umsetzung hat die Band auch gespielt, doch ist Ihre Tour jetzt auf den Mai nächsten Jahres verlegt. “Dann wird es auch wieder so richtig Vollgas Culcha pur Vibes geben.”
Der Titel “Top Ten”, ist allerdings nicht so zu verstehen, dass Culcha Candela Ihre persönlichen Lieblingssongs gesammelt und auf Platte gepresst haben. Auch wenn Songs wie “Rhythm Is A Dancer” für den Track “RWET” oder “Gimme hope, Joana” als Vorlage genommen wurden, hatte die Band “einfach Bock”. “Zu dem Zeitpunkt war gefühlt ganz viel 90er-Jahre-Cover-Bearbeitung. Wir hatten Bock, das auch mal zu machen. Also haben wir uns ins Studio gesetzt und uns ein paar Songs aus der Epoche reingezogen. Und bei “Rhythm Is A Dancer” dachten wir uns, lass uns den Song doch mal ein bisschen modernisieren und ummodeln. So etwas machen wir selten, dass wir covern oder bearbeiten. Da ist nichts gesampled, sondern alles von uns eingespielt, die Autoren haben den Song gehört, fanden ihn cool und so ist das entstanden.”
Trotz aller positiven Vibes schafft es auch ein bisschen Kritik auf die Platte. Der Song “Real Life” ist eine Kritik an der Social-Media-Blase in der sich nicht nur eine, sondern mehrere Generationen befinden. Wir sehen das kritisch, aber nicht mit dem Zeigefinger, wir sind da total mit dabei. Wir sind keine Boomer, die jetzt auf die jüngere Generation schimpfen, ganz im Gegenteil. Der Song schließt uns mit ein, in diese Social-Media Abhängigkeit.” Fluch oder Segen, Erleichterung oder Sucht und Zeittöter? “Es heißt ja Social Media, aber so social ist das gar nicht. Es macht die Menschen asozialer, indem es sie vermeintlich mehr verknüpft. Für die Kommunikation vor allem in Zeiten der Pandemie ein super Fortschritt, aber wenn die mal vorbei ist und sich die Leute trotzdem über Zoom austauschen, auch wenn sie in der gleichen Straße leben; das ist das Problem, um das es geht.”
Jan-Severin Irsch
Jan-Severin macht seit er denken kann Musik. Durch verschiedene Chöre, Bands und Lehrer ist er mittlerweile Lehramtsstudent für Musik mit Hauptfach Gesang, ist Sänger seiner eigenen Alternative/Punkrock-Band und Teil eines Barbershop-Chores in Köln. Von Klassik bis Jazz, von Chor- bis Punkrockmusik hört und spielt er alles gern. Ohne Musik geht nicht.