“Kneecap”: Wie drei Iren Biopics wieder cool gemacht haben
06.02.2025 | Kai Weingärtner

Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen: 2018 saß ich in einem Osnabrücker Kinosaal und bewunderte “Bohemian Rhapsody”, einen der höchstgehandelten Filme des Jahres. Die bewegende Geschichte eines jungen Mannes aus bescheidenen Verhältnissen, der nichts mehr liebt als die Musik. Talent und Durchhaltevermögen zahlen sich letztlich aus, mit dem großen Durchbruch kommen aber auch andere Verlockungen in sein Leben. Drogen, Sex und Ruhm steigen ihm zu Kopf und der Künstler erlebt eine tiefe Krise, aus der er sich aber zum Jauchzen des Publikum schließlich emporkämpft und es damit wieder allen beweist. Elektrisiert von dieser einzigartigen Geschichte folgte ich einem Großteil der Musik- und Film-Internetbubbles ins Queen Rabbithole.
Ein knappes Jahr später erscheint “Rocketman”, der das Leben Elton Johns nacherzählt. Die bewegende Geschichte eines jungen Mannes aus bescheidenen Verhältnissen, der nichts mehr liebt als die Musik. Talent und Durchhaltevermögen zahlen sich letztlich aus, mit dem großen Durchbruch kommen aber auch andere Verlockungen in sein Leben. Drogen, Sex und Ruhm steigen ihm zu Kopf und der Künstler erlebt eine tiefe Krise, aus der er sich aber zum Jauchzen des Publikum schließlich emporkämpft und es damit wieder allen beweist. Wow, ein beeindruckender Film.
2021 dann “Respect” über Aretha Franklin. Die bewegende Geschichte einer jungen Frau aus bescheidenen Verhältnissen, die nichts mehr liebt als die Musik. Talent und Durchhaltevermögen zahlen sich letztlich aus, mit dem großen Durchbruch kommen aber auch andere Verlockungen in ihr Leben. Drogen, Sex und Ruhm steigen ihr zu Kopf und die Künstlerin erlebt eine tiefe Krise, aus der sie sich aber zum Jauchzen des Publikum schließlich emporkämpft und es damit wieder allen beweist. Yess, endlich werden auch die Geschichten von Frauen auf der großen Leinwand gezeigt.
Nicht ganz 12 Monate danach schlüpft Austin Butler in die Rolle eines der größten Aneigner afroamerikanischer Kultur. “Elvis” ist die bewegende Geschichte eines jungen Mannes aus bescheidenen Verhältnissen, der nichts mehr liebt als die Musik. Talent und Durchhaltevermögen zahlen sich letztlich aus, mit dem großen Durchbruch kommen aber auch andere Verlockungen in sein Leben. Drogen, Sex und Ruhm steigen ihm zu Kopf und der Künstler erlebt eine tiefe Krise, aus der er sich aber zum Jauchzen des Publikum schließlich emporkämpft und es damit wieder allen beweist. Puuh, kennen wir ja dann doch alles irgendwie schon, oder?
Aber bei Amy Winehouse ist es doch bestimmt anders, oder? Stimmt, denn “Back to Black” ist die bewegende Geschichte einer jungen Frau aus bescheidenen Verhältnissen, die nichts mehr liebt als die Musik. Talent und Durchhaltevermögen zahlen sich letztlich aus, mit dem großen Durchbruch kommen aber auch andere Verlockungen in ihr Leben. Drogen, Sex und Ruhm steigen ihr zu Kopf und die Künstlerin erlebt eine tiefe Krise, aus der er sich aber zum Jauchzen des Publikum schließlich emporkämpft und es damit wieder allen beweist. Aber diesmal endet es tragisch. Klar, das ändert natürlich alles.
Wem der Zynismus abhanden gekommen ist: Mich nerven Musiker-Biopics. Klar, eine wirklich neue Entwicklung ist das nicht, schließlich gab es schon 2005 Filme wie “Walk The Line”, aber selbst die verliefen mehr oder weniger nach dem (zugegebenermaßen stark vereinfachten) Schema, das ich oben skizziert habe. Aber in den letzten Jahren schießen diese Filme wirklich aus dem Boden wie Pilze. Gleichförmige, fad schmeckende Pilze. Und das Schlimmste daran ist: Es sind ja nicht mal wirklich schlechte Filme! Die schauspielerischen Leistungen, Set-Designs und die Musik aller genannten Filme waren in aller Regel mindestens passabel, manchmal sogar richtig mitreißend. Das wird sicher auch beim in Kürze erscheinenden “A Complete Unknown” so sein, in dem Hollywood-Darling Timotheé Chalamet seinen Bob Dylan zum Besten gibt. Und doch weiß ich schon jetzt, dass mich das komplett kalt lassen wird. Da können da noch so ikonische Songs und Momente rekreiert werden, es ist mir völlig egal. Das Musiker-Biopic war für mich verbrannte Erde – bis Ende des Jahres ein Film aus Belfast Wellen zu schlagen begann, der meine Hoffnung in das Genre nochmal aufflackern ließ. “Kneecap” macht vieles richtig, einiges anders, vor allem aber fast alles besser als alle anderen genannten Filme.
Es beginnt schon mit dem Trailer. In einem fast schon gelangweilten Voice-Over offenbart uns Liam Óg Ó Hannaidh, alias Mo Chara, was uns hier erwartet. Statt Autobomben, Schießereien und dramatischen Stand-Offs zwischen Monarchist:innen und Republikaner:innen wählt “Kneecap” eine andere Erzählweise als die meisten Filme, die sich den Konflikt in und um Nordirland – oder, wie Mo Chara sagen würde, dem Norden Irlands – zum Schauplatz nehmen. Schnell wird klar, “Kneecap” ist nicht so ein Film. Und hier offenbart sich schon die erste und vielleicht größte Stärke dieses Films: Er nimmt sich selbst nicht zu ernst. Schon im Trailer wird alles und jeder auf die Schippe genommen. Die Cops, die Krone, das UK sowieso. Aber auch die Künstler selbst kriegen im Verlauf der Geschichte ordentlich ihr Fett weg, und sogar in Richtung irischer Unabhängigkeitsbestrebungen wird augenzwinkernd geschossen. Dabei geht die Aufrichtigkeit der Filmschaffenden allerdings keinesfalls verloren. Die Kämpfe um Anerkennung und Repräsentation – sei es sprachlich oder politisch – sind und bleiben allen Beteiligten ein echtes Anliegen; vor, auf und hinter der Bühne/Leinwand.
Aber vielleicht ein kurzer Exkurs zu unseren Protagonist:innen: Kneecap sind Naoise Ó Cairealláin alias Móglaí Bap, Liam Óg Ó Hannaidh alias Mo Chara und JJ Ó Dochartaigh alias DJ Provaí. Die drei machen aufmüpfige Rapmusik und mischen dabei englische und irische Lyrics. 2024 releast das Trio ihr Album “Fine Art”, auf dem sich unter anderem Grian Chatten, Sänger des Dubliner Exportschlagers Fontaines D.C. die Ehre gibt, und noch im selben Sommer spielen Kneecap auf dem legendären Glastonbury Festival in England.
Und hier kommt ein weiterer großer Unterschied ins Spiel: Der Film “Kneecap” entsteht mehr oder weniger zur selben Zeit wie die musikalische Karriere der drei, das bedeutet auch: Kneecap spielen sich selbst. Ohne das Schauspiel von Joaquin Phoenix, Rami Malek oder Marisa Abela kleinreden zu wollen, es ist einfach authentischer, wenn Künstler:innen nicht von jemandem gespielt werden, sondern sich selbst darstellen. Umgekehrt gehört vor Kneecap der Hut gezogen für den Mut und die Gelassenheit, sich selbst in einem Film zu spielen, über dessen Laufzeit sie das ein oder andere Mal nicht besonders glorreich davon kommen. Dadurch, dass hier nicht Hollywoodgrößen mit mehr oder weniger prosthetisch veränderten Gesichtern zum Publikum sprechen, sondern die tatsächlichen Figuren, verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation, was “Kneecap” immer wieder für seine Zwecke nutzt. Denn was hier echt und was Trip ist, bleibt durchgehend unklar.
Móglaí Bap, Mo Chara und DJ Provaí sind ein Paradebeispiel für den Stereotyp des unzuverlässigen Erzählers, was neben den bewussten Freiheiten, die sich der Film mit Bezug auf Kneecaps tatsächliche Bandgeschichte nimmt, auch daran liegt, dass die drei ständig halb sediert und völlig lädiert durch Belfast stolpern, rennen und fallen. Und das “Erzählen” ist hier tatsächlich wörtlich zu nehmen, denn Mo Chara durchbricht immer wieder die vierte Wand und wendet sich direkt ins Publikum, was einen nicht unwesentlichen Teil des Charmes von “Kneecap” ausmacht.
Es ist eben einfach sehr erfrischend, einen Film über Musiker:innen zu sehen, der nicht komplett von Nostalgie verklebt ist, an dem die Künstler selbst massiv mitgewirkt haben, und der es schafft, authentische Geschichten, liebenswürdige Charaktere und ehrliche Botschaften zu zeigen, ohne dabei den Spaß an der eigenen Kunst zu verlieren. “Kneecap” quillt geradezu über von diesem Spaß. Alles ist ein Witz, aber alles ist auch echt. Es muss eben nicht immer Period-Piece oder Unterhaltung sein, es geht auch beides. Was will ich euch also damit sagen? Guckt “Kneecap”! Und hört Kneecap, denn beides ist unmittelbar miteinander verwoben. “Kneecap” ist kein Film über eine Band, es ist ein Film einer Band. Das zeigt auch eine Anekdote, die die gesamte Interaktion zwischen den beteiligten Künstler:innen, diesem Film und dem Publikum wunderbar umschließt: Für die Finanzierung ihres Films beantragte das Team eine Förderung des britischen “Music Export Growth Schemes”, deren Auszahlung durch business secretary Ami Badenoch blockiert wurde. Er berief sich in seiner Begründung auf die klar ausgesprochenen republikanischen Ambitionen der Band, die auch im Film zentraler Bestandteil sind. Völlig zurecht klagten Kneecap gegen diesen Zensurversuch und gewannen selbstverständlich. Die knapp 14.000 Pfund spendete das Team an zwei Organisationen für Jugendhilfe, die mit katholischen und protestantischen Communities in Belfast arbeiten. Wenn das nicht stabil ist!

Kai Weingärtner
Kai studiert zur Zeit mehr oder weniger erfolgreich Politikwissenschaft und Anglistik in Osnabrück. Da man damit natürlich keinerlei Aussichten auf einen “vernünftigen” Job hat, ist er nun bei Album der Woche angeheuert um sich seine Zukunft als Taxifahrer etwas aufzulockern. Sein Musikgeschmack umfasst alles, was E-Gitarre und Schlagzeug hat oder anderweitig Krach macht.