Interview mit Disco // Oslo zum Album "Tyke"
04.05.2016 | Torsten Scholz
Wenn man sich „Tyke“ anhört, könnte man denken, ihr seid einfach nur durch die Fußgängerzone einer Großstadt gelaufen und habt alles, was man so wahrgenommen hat, in Lieder gepresst. Holt ihr euch Inspiration aus dem Alltag oder schreibt ihr eure Texte eher losgelöst mit einer Grundidee im Kopf?
Mal so mal so. Es kam wirklich schon ein-zwei Mal vor, dass ich in einem Café saß, Menschen beobachtet habe und dann „vor Ort“ einen Text geschrieben habe. Aber meistens gibt es natürlich eine Grundidee bzw. ein spezielles Thema, worüber man schreibt.
Beim Durchhören eures neuen Albums bekommt man schnell das Gefühl, dass man aus den ganzen Zwängen die dem Leben so auferlegt werden nicht entfliehen kann. Es wirkt recht hoffnungslos und wütend. Denkt ihr, dass es Wege gibt, wie man ein freies Leben miteinander führen könnte? Was müsste geschehen?
Entfliehen kann man schon, aber ich denke es ist einfacher sich zu beschweren und dann im Endeffekt nichts zu ändern. Zu aller erst gehört das Geld allgemein abgeschafft. Es dreht sich doch meist alles nur darum – Geld und Macht. Die Menschen müssen lernen zu teilen und den Egoismus in dieser Hinsicht ablegen. Zu 90% dreht sich alles um Job und Karriere – im Endeffekt wegen der Kohle. Ich kenne so viele Menschen, auch ich gehöre dazu, die nur arbeiten um die Miete zu zahlen. Was wäre aber, wenn es keinen Grund mehr gibt dem Geld hinterher zu rennen und die Menschen einfach nur noch das machen, was sie gerne tun, sich gegenseitig helfen und das was sie haben miteinander teilen. Natürlich wird es dann schwierig den Flatscreen zu füllen, aber man würde sich auch von politischen Fesseln lösen, denn es würde kein Druckmittel mehr von politischer Seite geben. Das klingt natürlich nach einer gewissen romantischen Utopie, aber ich denke es könnte funktionieren, würde alle Menschen näher zusammen bringen, ist aber von den meisten nicht gewünscht, da man sich damit abgefunden hat, Dinge zu tun, mit denen man hier irgendwie durchkommt.
Sicher ist Geld ein wichtiger Faktor, der die Freiheit vieler beeinflusst bzw. beschneidet. Ich denke, dass es aber auch genauso wichtig ist im zwischenmenschlichen Miteinander vernünftiger miteinander umzugehen. Es gibt viel zu viele Idioten, die meinen, dass sie aus verschiedensten Gründen (z.B. religiöser Fanatismus, Rassismus, Sexismus) über anderen Menschen stehen. Dadurch werden Grenzen aufgebaut, die eigentlich von Natur aus gar nicht da sind und wieder mühselig eingerissen werden müssen.
Hui, schwierige Frage. Bei diesem komplexen Thema gibt es viele Perspektiven zu beachten. Ich denke aber, ein "freies Leben miteinander" setzt voraus, dass Menschen bestimmte wesentliche Freiheiten besitzen, wobei ich an finanzielle, kulturelle, politische, etc. Freiheiten denke. Also Freiheiten, die es Menschen überhaupt ermöglichen, sich nach eigenen Wünschen zu entfalten. Dafür müssen aber auch die richtigen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen vorhanden sein. Wenn man sich beispielsweise die berühmte "Schere" anschaut, kann man, meiner Meinung nach, nicht von einer gerechten Gesellschaft sprechen und schon gar nicht davon, dass alle Menschen frei sind (, sich zu entfalten). Mich wundert es immer wieder, wie wenig die Menschen sich in Deutschland über bestimmte Missstände, die sie auch selber betreffen, aufregen. DER Weg ist es nicht, ich würde mich aber freuen, wenn wieder mehr politischer Druck aus der Gesellschaft heraus entsteht.
Wie begegnet ihr Menschen, die meinen, dass der Punk tot ist?
Ist mir ehrlich gesagt egal. Punk hat sich im Gegensatz zu früher natürlich verändert, aber es gibt ein wunderbares weltweites DIY Netzwerk. Das habe ich schon hunderte Male selbst erlebt und weiß Punk ist lebendiger denn je!
Es gibt ja viele Organisationen, die versuchen Menschen auf der Flucht zu unterstützen. Gibt es da welche, die euch am Herzen liegen?
Es gibt viele Organisationen, die gute Arbeit leisten, aber sobald es eine – ich sage mal „eingetragene“ Organisation ist, gibt es auch wieder Behörden und Menschen, die diesen Organisationen einen Riegel vor bestimmte Sachen schieben wollen und können. Daher ist es m.E. mindestens genauso wichtig „Gruppen“ wie z.B. die NoBorders Kitchen zu unterstützen. Oder Privatpersonen, die sich selber auf den Weg machen und vor Ort helfen, Dinge mitzugeben, die dort gebraucht werden.
Kurze Story: Ein Kumpel von mir hat nun mehrere Monate in Griechenland mit einer No Borders Kitchen gekocht. Täglich mussten sie zwischen 7.000 und 13.000 Portionen zubereiten, alles wurde aus eigener Tasche und durch Spenden finanziert.
Es gibt unterschiedliche Organisationen, die sich in unterschiedlichen Bereichen engagieren und die alle eine wichtige Arbeit leisten. Nur eine Organisation zu nennen, fällt mir daher schwer. In Hannover (wo ich wohne) gibt es viele tolle Organisationen und Initiativen in verschiedenen Bereichen - z.B. Initiativen, die traumatisierten Flüchtlingen helfen, eine Lokalgruppe von Anmnesty International und eine Hochschulgruppe von ua. Juristen, die Geflüchteten in juristischen Fragen helfen, etc. Da gibt es viele tolle und wichtige Organisationen. Auf der anderen Seite gibt es Initiativen, die direkt vor Ort arbeiten, wie der Sea-Watch e.V. oder eben auch die NoBordersKitchen. Ich finde es beeindruckend, wenn Menschen so etwas in die Tat umsetzen! Letzte Woche war ich auf einem Vortrag des NoBordersKonvois. Das sind Studierende, die sich, mit Hilfe von Spenden, auf den Weg nach Nordfrankreich gemacht haben, um dort in einem Camp zu helfen. Da ist mir auch wieder klar geworden, wie wichtig doch solche Privatinitiativen sind.
Optisch sowie musikalisch ist “Tyke” ein Gesamtkunstwerk. Über Kunst singt ihr auch im gleichnamigen Lied. Was ist für euch Kunst, wie wird Kunst definiert?
Alles kann Kunst sein und vieles was als Kunst deklariert wird ist es vielleicht nicht. Wer weiß das schon so genau. Was wir aber genau wissen ist, dass wir eben nicht den Anspruch erheben, dass unsere Musik Kunst ist. Es geht uns mehr um die Freude und den Spaß an der Sache, die wir dabei haben. Wenn es dann anderen Leuten gefällt ist natürlich umso schöner.
Zur Kunst fällt mir auch eine weitere Problematik in der jetzigen Zeit ein. Das Kunst- und Künstlersterben. Immer mehr Proberäume werden dicht gemacht, an den Rand der Stadt verschoben, kleine Clubs gehen drauf, Bands und Künstlern wird aufdiktiert, wie sie ihre Musik schreiben müssen, um erfolgreich zu sein. Nehmt ihr das auch so wahr und wo meint ihr, müsste man ansetzen, um diesem Trend entgegen zu wirken?
Der Trend, dass es als Band immer schwerer wird einen Proberaum, Tourbus o.ä. für einen erschwinglichen Preis oder überhaupt erstmal zu bekommen, ist glaube ich in allen Städten der gleiche. Warum Bands das Leben so schwer gemacht wird ist eigentlich schwer zu verstehen. Dem Trend sich etwas aufdiktieren zu lassen (musikalisch, Textlich) kann man ganz einfach entfliehen, indem man seine eigenen Ideen und Kreativität verwirklicht. Ob man damit dann so viel Erfolg hat wie mit einer 0815 Chartnummer ist die andere Frage, aber wenn man es nur für das Geld machen möchte, dann ist einem die eigene Idee vielleicht auch nicht mehr so wichtig.
Apropos Konzerte und Clubs: Ihr wart jetzt ja schon auf Tour um „Tyke“ zu präsentieren. Wie war es für euch? Gab es bestimmte Highlights? Wie kommen die Lieder bei den Fans an und gibt es klare „Live“-Favoriten?
Die Tour im Mai war richtig schön. Es hat unglaublich viel Spaß gemacht die neuen Lieder zu spielen und es gab zumindest in der zweiten Woche der Tour, nachdem die Platte rausgekommen war, auch schon ein, zwei Leute, die die neue Platte schon zu Hause stehen hatten. Soweit ich das mitbekommen habe kommt die neue Platte ziemlich gut an, was uns natürlich total freut. Steckt schließlich auch eine Menge Energie und Herzblut drin. Einen einzigen Favoritensong aus der Playlist habe ich nicht, aber Manifest und Kielwasser sind ganz vorne mit dabei.
Die neuen Songs zu spielen, hat wirklich riesen Spass gemacht, besonders weil wir die letzten drei Jahre fast immer die gleichen Lieder gespielt haben. Einen einzigen Live-Favoriten kann ich auch nicht nennen. Für mich sind aber Manifest und Kiez ganz vorne mit dabei.
Kann man dieses Jahr noch einen zweiten Teil der Tour erwarten?
Kann man – ich buche gerade unsere November Tour. Die Route geht u.a. bis nach Paris, wo wir auf dem „This is my Fest“ spielen werden. Im Oktober spielen wir in Wien, im September die „versprochenen“ Termine in Oldenburg und Hannover. Im August stehen auch noch zwei, drei Shows auf dem Zettel. Mal schauen, was noch so passiert – wir haben Bock!
Touren bedeutet ja hauptsächlich, mehrere Stunden auf der Autobahn unterwegs zu sein um den nächsten Gig zu spielen. Wie vertreibt ihr euch dabei gern die Zeit? Schmökert ihr gern in Büchern? Und wer bestimmt über die Playlist im Bus?
Ärgerlicherweise wird mir oft übel, wenn ich im Bus lese. Sonst war meine Lieblingsbeschäftigung lange Zeit schlafen. Aber – warum auch immer – kann ich irgendwie nicht mehr wirklich im Bus schlafen – es sei denn, da nicht war lang und es gab vorher noch keine Möglichkeit die Augen zu schließen. Eine glückliche Fügung: Wir stehen alle auf Hörspiele und haben schon etliche Busstunden damit umgebracht.
Musik wird gar nicht so oft gehört bei uns im Tourbus. Wenn dann höre ich meist mit Kopfhörern Musik. Lesen und Hörbücher hören steht natürlich auch hoch im Kurs. Außerdem spiele ich ab und zu gerne Gameboy oder stelle neue Flipperrekorde auf dem Tablet auf, denen die anderen dann hinterherrennen können. Aber am schönsten ist immer anzukommen und auszusteigen.
Den Bus fahren :-)
Torsten Scholz
Torsten kommt ursprünglich aus Halle und ist jetzt im schönen Düsseldorf zuhause. Dabei ist der gelernte Krankenpfleger ständig quer durch die Republik auf Tour und versucht soviele Konzerte wie möglich mitzunehmen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er dich schon einmal beim Crowd-Surfen bei einem Punk-Konzert getragen hat, dürfte sehr hoch sein.