Alte Liebe leiert nicht - Ein Liebesbrief an die Kassette
31.08.2020 | Johannes Kley
Jahrelang habe ich CDs gekauft und ab und zu, wenn mir das Album besonders gefällt, auch eine Schallplatte ins Regal gestellt. Dann habe ich Vaporwave entdeckt und angefangen, hier ab und zu meine Reviews zu verfassen. Nach der Review zu einem Album von Soul▲Craft, schrieb mich das Label der Band an und wollte mir ein Tape schenken. Seitdem kaufe ich auch Kassetten und habe die Schönheit dieses alten Mediums wiederentdeckt.
Streaming ist nicht meine Welt. Im r/nin-Subreddit habe ich regelmäßig von fehlenden Alben gelesen, weil irgendein Vertrag gerade nicht rechtzeitig verlängert wurde und wenn ich auf Arbeit dem Radio unserer Sekretärin am Stationsstützpunkt lauschen „darf“, möchte ich mir ein Skalpell in's Ohr schieben. Wenn ich das Beste von heute höre oder die selben drei Songs aus den 80ern, habe ich ernsthafte Zweifel an den Menschen, die sich das jeden Tag geben können. Wie wenig eigenen Geschmack kann man haben, um Radiohören genießen zu können? Ich möchte entscheiden was ich höre und wann ich es höre und dabei kein blödes Gelaber mitten im Song, oder Werbung für irgendein verdauungsförderndes Müsli ertragen müssen. Also kaufe ich Musik. Mal ein Album bei iTunes, wenn es mir gefällt, aber nicht so sehr, dass ich den raren Platz in meinem CD-Regal dafür opfern will, oder eben auf einem physischem Medium. Seit ungefähr zwei Jahren habe ich beinahe aufgehört CDs zu kaufen (außer von Nine Inch Nails und zwei, drei weiteren Bands) und kaufe eigentlich nur noch Vinyls und Kassetten. Die Notwendigkeit, die dieses Medium mit sich bringt - nämlich das Album als ganzes genießen zu müssen - finde ich attraktiver als skippbare CDs.
Natürlich konsumiere ich Musik meist digital. Entweder am Rechner oder mit meinem MP3-Player, wenn ich unterwegs bin. Man kann natürlich Alben auch so komplett hören, aber wenn man ehrlich ist, macht man das meist weniger, sondern skippt zu den Songs, auf die man in dem Moment Lust hat. Wenn ich Zeit habe, lege ich eine Kassette in meinen Walkman (auf eine richtige Anlage warte ich noch, aber ich versuche aktuell die 40 Jahre alte Anlage meiner Eltern zu bekommen) und höre das Album so, wie es vom Künstler oder von der Künstlerin angedacht war. Sich die Zeit zu nehmen und Musik diesen Raum zu geben ist etwas, was ich - wie viele andere auch - ein wenig verlernt habe. Da im Vaporwave das Konzeptalbum aber wieder ein Revival erlebt hat, ist es umso schöner, die Alben auch so zu genießen.
Ich will nicht lügen - der Sound ist, im Vergleich zu allen anderen Medien, bescheiden. Selbst Chrom-Tapes, welche ein vergleichsweise eine echt gute Qualität haben, können Höhen und Tiefen der Musik nicht so transportieren, wie es CDs, Schallplatten oder Dateien können. Aber darum geht es auch nicht. Die Gesamterfahrung, welche Tapes bieten, sind das Schöne daran. Die liebevoll designte JCard und die teils atemberaubend schönen Kassetten, zeigen einfach, wie viel Liebe hineingeflossen ist. Natürlich gibt es auch Picture-Vinyls, aber die sind meistens schwarz und eher schlicht im Design. Ich gehöre noch zu den Menschen, die sich Dinge die sie mögen, gerne ins Regal stellen. So habe ich auch bei Discogs einige Kassetten gesucht, die vor sechs Jahren mit einer Auflage von 50 Stück herauskamen und habe viel Geld investiert, um einige ältere Alben, die ich euch auch im VaporPlaza vorgestellt habe, zu erwerben. Das teuerste Tape, welches ich je gekauft habe, war übrigens eine 30 Jahre alte Kassette von Nine Inch Nails für 250€ (runtergehandelt von ca. 400€) und ja, die lässt sich sogar noch problemlos abspielen.
Was macht Kassetten also so großartig? Sie sind ein Medium, welches schön aussehen kann und eine Nostalgie transportiert, die CDs nicht besitzen. Vinyls sind zwar älter, aber waren nie ganz weg. Tapes galten als tot und nun gibt es auch von Bands, die nicht aus dem Retro- oder Vaporwave kommen, wieder Kassetten. In den zwei genannten Genres bietet die Kassette auch noch ein Feeling, die den nostalgischen Sound verstärkt und so die Musik noch schöner macht. Es ist ähnlich wie beim Internetgenre Vaporwave. Es geht mittlerweile mehr um das Gefühl als um den Klang selbst. Klar gibt es da auch CDs zu kaufen, aber wenn ich Musik höre, die nach 80ern oder einfach nur nostalgisch klingt, will ich sie auch von einem Medium hören, das dazu passt. Bei moderner Musik ist es eher eine Spielerei, die man sich ins Regal stellen kann, während man die Songs auf dem Rechner herunterlädt. Vor allem kleinere Bands nutzen diese Idee gern, da Tapes deutlich billiger zu produzieren sind als Vinyls und so weniger Risiko besteht, sich sinnlos zu verschulden. Außerdem sind Kassetten breiter als CDs, sodass man den Namen der Band und den Albmtitel besser auf der Seite besser lesen kann. Ich habe mich gefreut, als ich einen CDplayer bekommen habe und nicht ständig mit Bleistift bewaffnet das Band in meine Kassetten ziehen musste. Ich habe auch lange Vinyls als veraltetes und unnötiges Medium verachtet. Dank Nine Inch Nails (da Reznor immer viel wert auf das Design und die Ausstattung gelegt hat) habe ich wieder begonnen, mich mehr mit physischen Medien auseinanderzusetzen und besitze mittlerweile sämtliche Alben der Band auf CD, Vinyl und Tape. Aber auch abseits meiner ungesunden Obsession kaufe ich ab und an Alben auf Kassette und nehme mir wieder mehr Zeit, Musik nicht als Hintergrundrauschen zu nutzen, sondern sie gezielt zu hören.
Müsste ich mich entscheiden, ob ich meinen MP3-Player oder meine Kassetten abgeben müsste, wäre die Wahl leicht. 64 GB Musik in der Hosentasche gewinnen natürlich gegen Kassetten, die größer sind und klanglich nicht so überzeugen können. Aber ich leiste mir den Luxus der physischen Medien und ich liebe die kleinen Plastikstücke mit Magnetband und kann nur empfehlen, die Schönheit der Kassetten mit eigenen Augen und Ohren zu erleben.
Johannes Kley
Kolumnist und Konzertmuffel Joe ist Gesundheits- und Krankenpfleger in Bochum, liebt seinen Hund, liest leidenschaftlich gern, gibt ungern Bewertungen für Alben ab, ist Musikliebhaber, irgendwo zwischen (emotional) Hardcore, Vaporwave, Goth-Pop und Nine Inch Nails und versorgt euch unregelmäßig mit geistigen Ergüssen aus seiner Gedanken- und Gefühlswelt.