Diversity und Punk: Sind wir wirklich so weit?
21.11.2019 | Julius Krämer
Vor einigen Wochen postete eine Bekannte auf Instagram einen bissigen Erfahrungsbericht vom Konzertbesuch einer großen internationalen Emocore-Band. Der Vorwurf: Die Punkszene würde Feminismus und Awareness groß schreiben, der Großteil der Konzertbesucher wäre aber erstens männlich und würde sich zweitens auch nur unwesentlich darum scheren, für die ganze Community einen Safe Space zu kreieren. Frauen würde das Gefühl gegeben, sie gehörten nicht in den Moshpit, Männer drängen sich scharenweise halbnackt nach vorne. Eine männliche Dominanz auf, hinter und vor der Bühne. Das Fazit: Obwohl sich Hardcore wie wahrscheinlich kein anderes Genre offensiv zu linkspolitischen Themen bekenne, würde in der Realität die Gleichbehandlung immer noch hinterherhinken.
Ein schwerer Vorwurf, der instinktiv erst einmal Entrüstung, oder zumindest Rechtfertigung auslösen dürfte. Niemand hätte etwas gegen mehr Diversität. Schließlich würde es schlicht weniger Frauen- als Männerbands geben. Als Besitzer eines Y-Chromosoms, am besten noch mit Cis-Identität und heterosexueller Orientierung fühlen sich viele Geschlechtsgenossen schnell an die Wand gedrängt, so überfordernd ist die Situation, so groß die Dissonanz zwischen den Vorwürfen und den eigenen Ansichten. Irgendwie ist man ja schon Feminist, oder?
Dieser Text ist aus männlicher Sicht geschrieben und bildet den Versuch ab, den Lösungsversuch einer Debatte zu liefern, die viel zu wenig stattfindet und wenn, zu hitzig und ignorant geführt wird. Selbstverständlich ist kein Mann Schuld an den herrschenden Verhältnissen, und selbstverständlich maße ich mir nicht an, für die Seite zu sprechen, die in unserer Gesellschaft nun mal öfters den Kürzeren zieht. Fest steht, ob man will oder nicht, dass eingangs erwähnter Instagram-Post einen wahren Kern trifft: Während der oftmals als frauenfeindlich bezeichnete HipHop eine immer größere Beliebtheit unter weiblichen Fans vorweisen kann, findet man auf den meisten Punk-Konzerten größtenteils Männer an – ganz zu schweigen von der Repräsentation unter den Musikschaffenden, bei denen eine Frau die absolute Ausnahme bildet.
Geht man von der grundlegenden Annahme aus, dass es keine geschlechterspezifisch zuzuordnenden Präferenzen oder nicht-körperliche Unterschiede jeglicher Art gibt, stellt sich die Frage, wieso die Statistik anscheinend eine andere Sprache spricht. Kaum Männer unter den Erziehern, kaum Frauen im Maschinenbau-Studium. Oder eben bei Hardcore-Shows. Besagter Status Quo ist hierbei gleichzeitig Ursache und Wirkung: Wurden gewisse Dinge wie Berufe, Vorlieben oder Verhaltensweisen, in der Vergangenheit aufgrund herrschender Strukturen nur von einem Geschlecht ausgeübt, reproduziert sich besagtes konservatives Gesellschaftsbild auch im Jahre 2019 immer noch. Konkret: Sieht man auf den Bühnen und Festivals des Landes zum überwältigenden Großteil Männer, wird es wohl natürlicherweise auch vorrangig Männer dazu bringen, eben diesen Part einzunehmen. Glücklicherweise gibt es viele Menschen anderen Geschlechts, die nach dem Motto "Dann erst recht!" mit Eigeninitiative den Versuch unternehmen, die große Bandbreite und Diversität, die wir zum Glück in unserer Gesellschaft finden, auch vernünftig in der Szene zu repräsentieren.
Was aber, wenn das nicht reicht? Die Zeit der ewigen Ausnahmen, DJanes und female-fronted Bands sollte vorbei sein. Die Szene muss ihre eigenen Strukturen hinterfragen und sich klar werden, dass man selbst vielleicht nicht die Ursache fehlender Repräsentation ist, aber oftmals auch nicht genug für die Etablierung der Normalität von Geschlechtervielfalt unternimmt. Eine eigene Erfahrung, wie so etwas funktionieren kann, durfte ich im Rahmen meiner Konzertreihe Constant Collapse machen, die ich in Wuppertal veranstalte. Waren im ersten Konzert Frauen sowohl auf als auch vor der Bühne noch gefährlich unterrepräsentiert, zeichnete die zweite Ausgabe Ende Oktober ein völlig anderes Bild. Der Unterschied im Vorfeld: klare Statements für Awareness und Ermunterungen nicht-männlicher Künstler und Besucher*innen. Nochmal für alle: nicht, weil Männer unerwünscht sind, im Gegenteil. Sondern weil auf Konzerten, gerade auf solchen mit linkspolitischem Aktivismus, der Versuch einer angemessenen Repräsentation stattfinden sollte – im wie hier kleinen Rahmen, und im großen.
Julius Krämer
Julius stammt aus dem hoffnungslos unterschätzten Wuppertal und studiert momentan Musikpädagogik und Politikwissenschaft in Münster. Neben seiner Tätigkeit als Gitarrist in verschiedenen Bands begeistert ihn alles von Prog über Alternative bis Hardcore, er unternimmt aber auch gerne Ausfüge in HipHop, Jazz oder elektronische Musik und mag dabei besonders die Verarbeitung übergeordneter Gedankengänge oder des Zeitgeschehens in der Musik.